Recht

Unfallversicherung

Nicht immer gilt das Schweizer Unfallversicherungsgesetz

Aufträge aus ganz Europa und Grenzgänger als Mitarbeiter − für viele Schweizer Arbeitgeber ist das Alltag. Doch für die Betriebe ergeben sich zum Unfallversicherungsschutz immer wieder neue Fragen, denn bei Unfällen im EU- oder EFTA-Raum gelten besondere Regeln.
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Landesgrenzen haben in der Wirtschaft an Bedeutung verloren: Schweizer Firmen übernehmen Aufträge jenseits der Grenzen oder beschäftigen Mitarbeiter, die im grenznahen Ausland wohnen und täglich zu ihrem Arbeitsort in die Schweiz pendeln. Zugleich ist auch die Zahl der Unfälle von UVG-Versicherten im Ausland gestiegen. Das belegt ein Blick in die Statistik: 2009 verunfallten im Ausland rund 52 000 Menschen, die in der Schweiz unfallversichert sind. Der Grossteil davon sind Freizeitunfälle, 2300 aber gehen auf Arbeitsunfälle zurück, die sich vorwiegend im EU- und EFTA-Raum ereignet haben. Zum Vergleich: 2002 waren es 1800 Arbeitsunfälle bei einem Total von 41 500 Unfällen im Ausland. Dabei ist die Zahl der Arbeitsunfälle im Ausland um rund ein Viertel gestiegen, derweil die Zahl der Arbeitsunfälle in der Schweiz leicht gesunken ist.

Regeln des EU-Landes gelten

Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU ermöglicht das Arbeiten jenseits der Grenzen ohne Bewilligung. Damit die unterschiedlichen sozialversicherungsrechtlichen Regeln in den einzelnen Ländern den freien Personenverkehr nicht behindern, sieht das Abkommen die Koordinierung der sozialen Sicherheit nach dem Muster der EU-Regeln vor. Vor diesem Hintergrund stellt sich für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die in der Schweiz nach UVG versichert sind, immer wieder die Frage, wie der Unfallversicherungsschutz im EU-Raum aussieht. Grundsätzlich sind die UVG-Versicherten auch im Ausland unfallversichert. Wichtig aber ist, dass Arbeitgeber den Arbeitseinsatz ihrer Mitarbeiter in den Ländern der EU und EFTA bei der Ausgleichskasse anmelden und eine sogenannte «Entsendungsbescheinigung» beantragen. Sind die Voraussetzungen für eine Entsendung erfüllt, stellt die AHV-Ausgleichskasse das Formular E 101 aus und sendet es an den Arbeitgeber, der es seinem Mitarbeiter aushändigt. Damit erhält der Versicherte eine Bescheinigung, dass er während seines Einsatzes im EU- oder EFTA-Land weiterhin UVG-versichert ist. Für die Betroffenen kann es bei einem Unfall in einem EU- oder EFTA-Land bei den Leistungen Abweichungen geben, je nachdem, in welchem Land sich ein Unfall ereignet. Das Freizügigkeitsabkommen sieht vor, dass das Land, in dem sich der Unfall ereignet, Vorleistungen für medizinische Leistungen erbringen muss. Für diese Leistungen wendet die zuständige Versicherung im EU- oder EFTA-Land die dort geltenden Regeln und Tarife an.

Diese Vorleistungspflicht besteht ausschliesslich für Sachleistungen, also ambulante oder stationäre Behandlungen, Medikamente und Hilfsmittel; Geldleistungen wie Taggelder oder Renten werden für UVG-Versicherte im Unterschied zu den Sachleistungen immer nach den Regeln des UVG entrichtet. Die Kosten für die medizinische Behandlung werden anschlies­send dem zuständigen Versicherer in der Schweiz verrechnet. Dieser muss die Kosten auch dann übernehmen, wenn das UVG eine der verrechneten Leistungen nicht vorsieht.

Praxisbeispiel

Ein Beispiel: Hans Weber wohnt in der Schweiz und arbeitet als Maschinenführer bei einem Schweizer KMU. Als Mitarbeiter dieses Bauunternehmens ist er bei der Suva obligatorisch unfallversichert. Nun erhält das Unternehmen einen Auftrag im deutschen Singen, weshalb Hans Weber für einige Wochen dort eingesetzt wird. Eines Morgens stürzt er von einer Leiter und verletzt sich an der Schulter. Die Ambulanz bringt ihn in ein deutsches Krankenhaus. Eine Operation ist nötig. Er wird für einige Tage auf der allgemeinen Abteilung hospitalisiert, bis er wieder transportfähig ist und in die Schweiz zurückkehren kann. Sein Arbeitgeber muss der Suva den Unfall möglichst schnell melden. Die Suva übermittelt darauf dem deutschen Krankenhaus eine Kostenbestätigung (Formular E 123), damit das Krankenhaus die Leistungen über eine zentrale Verbindungsstelle in Deutschland abrechnen kann. Hier gilt gemäss den Regelungen des Freizügigkeitsabkommens der Leistungskatalog der deutschen Sozialversicherung, und das Spital rechnet nach deutschem Sozialversi-cherungstarif ab. Die Verbindungsstelle in Deutschland prüft die Rechnung, bezahlt diese und verrechnet den Betrag anschliessend der Suva. Sobald der Versicherte in die Schweiz zurückgekehrt ist, gilt für die weitere Behandlung wieder der Leistungskatalog des UVG.Die Abrechnung über zentrale Verbindungsstellen in Europa sichert, dass der korrekte Tarif angewandt wird, was wiederum die hiesigen Unfallversicherungen administrativ entlastet. Bei Berufsunfällen und Berufserkrankungen agiert die Suva als Verbindungsstelle zur EU/EFTA.

Bei Freizeitunfällen

Die Regelungen gelten auch für Nichtberufsunfälle von Versicherten in einem EU- oder EFTA-Land. In den meisten europäischen Ländern untersteht ein Freizeitunfall dem Krankenversicherungsgesetz und nicht wie in der Schweiz dem Unfallversicherungsgesetz. Damit gilt der Sachleistungskatalog des Krankenversicherungsgesetzes im Unfallland, und der aushelfende Träger der Krankenversicherung im EU-Land muss die Vorleistungen erbringen. Die Abrechnung erfolgt über die schweizerische Verbindungsstelle für Krankenversicherer in Solothurn. Diese prüft und bezahlt die Rechnungen. Anschliessend wird dieser Betrag beim zuständigen Versicherer zurückgefordert, da ein Freizeitunfall in der Schweiz dem UVG untersteht. Geldleistungen werden auch hier direkt durch den zuständigen Versicherer in der Schweiz ausbezahlt.

Spezialfall Grenzgänger

Die Arbeitnehmergruppe Grenzgänger, die im EU-/EFTA-Raum wohnen und in der Schweiz ihren Arbeitsplatz haben, hat sich in den letzten zehn Jahren um rund 90 000 Personen auf 246 000 Männer und Frauen vergrössert. Auch das spiegeln die Unfallzahlen: 2009 verunfallten gemäss UVG-Statistik rund 45 500 Grenzgänger in der Schweiz oder im Ausland, 2002 waren es noch rund 34 200. Verunfallt ein Grenzgänger, der in der Schweiz nach UVG versichert ist, in seinem Wohnland, muss der Arbeitgeber den Unfall möglichst schnell der Unfallversicherung melden, die anschliessend wie im Beispiel von Hans Weber das Formular E 123 an den Leistungserbringer im EU-Land schickt. Die Verrechnung der Sachleistungen erfolgt anschliessend genau gleich wie im Fall von Hans Weber. Für Renten oder Taggelder − also Geldleistungen − gelten auch hier die Bedingungen des UVG. Einen Unterschied zu UVG-Versicherten, die in der Schweiz wohnen, gibt es für Grenzgänger allerdings: Sie können Sachleistungen auch im Gebiet ihres Wohnsitzes erhalten und somit wählen, wo sie sich behandeln lassen wollen.

Sicherheit zählt

Doch auch für Einsätze im Ausland gilt, dass sich durch die richtigen Arbeitssicherheitsmassnahmen Unfälle vermeiden lassen. Darum sollen Arbeitgeber auch hier entsprechend qualifiziertes Personal für die verschiedenen Arbeiten einsetzen und dieses in Sicherheitsfragen instruieren. Weil die Suva Gewinne in Form tieferer Prämien an die versicherten Betriebe weitergibt, tragen Unternehmen, die bei der Suva versichert sind, mit der Einhaltung von Sicherheitsregeln an den Arbeitsplätzen dazu bei, Kosten zu senken und können so von tieferen Prämien profitieren.