Recht

Arbeitsunfähigkeit

Krank – aber nur in Bezug auf den eigenen Arbeitsplatz

Personalverantwortliche stellen beim Erhalt von Arztzeugnissen vermehrt fest, dass sich eine durch einen Arzt attestierte Arbeitsunfähigkeit ausschliesslich auf den Arbeitsplatz bezieht. Der Mitarbeitende ist also nur auf sein unmittelbares Arbeitsumfeld nicht arbeitsfähig. Wie steht es bei solchen Spezialfällen mit dem Sperrfristenschutz?
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Dass die Sache juristisch betrachtet eine delikate Knacknuss ist, beweist der jüngst entbrannte Lehrstreit, der im August/September dieses Jahres in einem publizistischen Schlagabtausch mündete (jusletter.ch). Personalverantwortliche kommen nicht umhin, sich mit dieser Fragestellung auseinanderzusetzen und manch eine HR-Expertin und manch ein HR-Profi haben bereits Erfahrung mit derartigen Sachverhalten gemacht. Worum geht es und was ist zu tun?

Kündigungsschutz

Allgemein bekannt ist die Tatsache, dass eine Krankheit während der Kündigungsfrist zu einer Verlängerung der Kün­digungsfrist führt. Dieser sogenannte Sperrfristenschutz wird in Art. 336c I lit.b OR konkret beschrieben. Zwei Fallbe­reiche sind zu unterscheiden: Nichtigkeit und Erstreckung. Nichtig ist die Kündigung dann, wenn sie zu einer gesetzlich beschriebenen Sperrfrist ausgesprochen wird. Spricht also der Arbeitgeber eine Kündigung aus, dies während der Arbeitnehmer krankgeschrieben ist, entfaltet die Kündigung erst gar keine Wirkung – sie ist nichtig. Die Kündigung muss also nach Ablauf der Sperrfrist erneut ausgesprochen werden, damit sie überhaupt Rechtswirkung entfaltet. Der zweite Fallbereich ist jener der Kündigungserstreckung. Ist beispielsweise ein Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber gekündigt worden, und wird danach der Arbeitnehmende in der Kündigungsfrist krank, so ruht der Lauf der Kündigungsfrist während der Krankheitstage bis zur maximalen Dauer gemäss Art. 336c OR. Die Kündigungsfrist läuft ab Wiedererlangen der Arbeitsfähigkeit weiter und erstreckt sich bis zum nächsten Kündigungstermin. Faktisch hat dies in beinahe allen Fällen zur Folge, dass bereits eine Arbeitsunfähigkeit von einem einzigen Tag zu einer Verlängerung der Kündigungsfrist um einen Monat führt. Der Einzelfall muss aber immer individuell betrachtet werden – eine pauschal gültige Aussage ist nicht möglich. Nachfolgend sollen aber nicht die Kurzabsenzen beurteilt werden, sondern jene Fälle, bei welchen eine länger dauernde Arbeitsunfähigkeit ärztlich bescheinigt wird, die sich aber ausschlies­slich auf den individuellen Arbeitsplatz bezieht.

Sperrfristenschutz

Um die Bedeutung einer Gesetzesnorm zu erfassen, muss man sich immer fragen, was der Wille des Gesetzgebers beim Erlass dieser Norm war. Der Gedanke hinter dem Sperrfristenschutz ist der Schutz des Arbeitnehmenden während einer Krankheit. Es soll ihm einerseits nicht sofort gekündigt werden können und andererseits soll ihm die volle Kündigungsfrist für die Stellensuche zur Verfügung stehen. Anders ausgedrückt kann man sagen, dass die Sperrfristen den Arbeitnehmenden in seinem wirtschaftlichen Fortkommen schützen und ihm insbesondere Gewähr bieten sollen, sich für eine neue Stelle bewerben zu können. 

Der Sperrfristenschutz richtet sich also weniger auf den angestammten Arbeitsplatz, als vielmehr auf die anderen Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Nun kommt es vor, dass ein Arbeitnehmender nur in Bezug auf seine konkrete Arbeitsstelle an der Arbeit verhindert ist, anderswo aber ganz normal arbeiten kann und auch im Privatleben keine Einschränkungen hinnehmen muss. Solchen Konstellationen gehen oft ein Konflikt, Mobbing oder besonderer Stress voran. Also Situationen am eigenen Arbeitsplatz mit einer erhöhten psychischen Belastung. Führt man sich nun den Zweck des gesetzlichen Sperrfristenschutzes vor Augen, kann man sich zu Recht die Frage stellen, ob denn diese Fälle der arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit überhaupt Sperrfristensachverhalte sind, oder ob hier der Kündigungsschutz gar nicht greift. 

Durch die Zunahme solcher Fälle in jüngster Zeit, ist diese Fragestellung drängender denn je. Erschwerend kommt hinzu, dass solche Sachverhalte fast immer eine enorm hohe Emotionalität aufweisen. Der Mitarbeitende fühlt sich missverstanden, der Arbeitgeber ausgenutzt und betrogen. Es ist daher die Aufgabe des Personalverantwortlichen oder des Arbeitsrechtsjuristen, den vertraglichen Sachverhalt von den zwischenmenschlichen Emotionen zu trennen und zu einer klaren Analyse zu gelangen.

Ein konkretes Beispiel

Aus verschiedenen realen Fällen meiner Beratertätigkeit abgeleitet, soll der folgende konstruierte Fall der Veranschaulichung dienen. Der Vorgesetzte stellt fest, dass die Zusammenarbeit in seinem Team nicht gut läuft. Unzufriedenheit macht sich breit, Personen beschuldigen sich gegenseitig, vermehrt unterlaufen Fehler und die Effizienz leidet erheblich. Der Vorgesetzte wendet sich an die HR-Abteilung mit der Frage, was hier zu tun sei. Gemeinsam beschliessen sie, ein Teamcoaching in Angriff zu nehmen. Einerseits sollen damit die Gründe für die Unruhe eruiert und andererseits gemeinsam Massnahmen beschlossen werden, wie man beispielsweise die künftige Zusammenarbeit miteinander gestalten und verbessern will.

Alle Mitarbeiter dieses Teams begrüssen dieses Coaching und gehen dieses an, wenn auch mit unterschiedlicher Begeisterung. Im Laufe dieses Prozesses wird deutlich, dass die Unruhe weitgehend von einer Person ausgeht. Diese überraschende Erkenntnis führt schliesslich dazu, dass das Arbeitsverhältnis mit dieser Person gekündigt wird. Die Kündigung wird der Mitarbeiterin mündlich genau erläutert, der Kündigungsprozess ordentlich vollzogen und es wird der Mitarbeiterin sogar anerboten, sie von der Arbeitsleistung zu entbinden, wenn sie das möchte. Die Mitarbeiterin reagiert überrascht und etwas enttäuscht. Das Angebot der Freistellung nimmt sie aber gerne an. Zwei Tage später erhält der Vorgesetzte kommentarlos ein Arztzeugnis, welches die Mitarbeiterin ab sofort und für weitere zwei Monate zu 100 Prozent arbeitsunfähig schreibt. Er leitet das Zeugnis der Personalabteilung weiter mit der Bitte, man möge eine vertrauensärztliche Untersuchung anordnen. Dies wird getan und schon zwei Wochen später bestätigt der vertrauensärztliche Dienst, dass sich die Arbeitsunfähigkeit lediglich und ausschliesslich auf den Arbeitsplatz der Mitarbeiterin bezieht. In der Folge teilt die Personalabteilung der Mitarbeiterin mit, dass kein Sperrfristensachverhalt vorliegt und es daher beim ursprünglichen Austrittstermin bleibe.

Nicht lange dauert es, und das Unternehmen erhält eingeschriebene Post des Rechtsanwalts der Mitarbeiterin. Die darin aufgestellte These: Es handle sich sehr wohl um einen Sperrfristensachverhalt und die Kündigungsfrist erstrecke sich dementsprechend. Ob es in diesem Beispiel richtig war, die Mitarbeiterin zu entlassen, ist allenfalls für die Beurteilung der zur Arbeitsunfähigkeit führenden Umstände relevant.

Sachverhalt richtig klären

Die Frage, ob Sperrfristenschutz besteht oder nicht, ist zunächst zweitrangig. Richtig hat der Arbeitgeber gehandelt, als er umgehend eine vertrauensärztliche Untersuchung initiiert hatte. Zwar wird auch dabei keine Diagnose bekannt gegeben, der Vertrauensarzt hat sich aber explizit zur Frage geäussert, ob es sich um eine allgemeingültige Arbeitsunfähigkeit handelt, oder ob es eine rein arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit ist. Damit der Arbeitgeber eine vertrauensärztliche Untersuchung anordnen kann, sollte dieses Recht unbedingt ausdrücklich in den Anstellungsbedingungen (Personalreglement) festgehalten sein. 

So oder so ist es für alle Beteiligten wichtig, zu klären, worauf sich die Arbeitsunfähigkeit bezieht.Gelegentlich gibt der behandelnde Arzt diesbezüglich schon eine klare Stellungnahme ab. Erst wenn medizinisch geklärt ist, welche Form der Arbeitsunfähigkeit gegeben ist, kann man sich mit den Rechtsfolgen auseinandersetzen.

These: Kein Sperrfristenschutz

In Übereinstimmung mit der Lehrmeinung von Rudolph/von Kaenel argumentiert in diesem Beispiel der Arbeitgeber, dass durch diese arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit keine Sperrfrist ausgelöst wird und dass es beim Austrittstermin bleibt. Diese These stellt auf den ursprünglichen Schutzgedanken der gesetzlichen Sperrfristenregelung ab. Im besagten Beispiel war die Mitarbeiterin in keiner Weise in ihrer Stellensuche gehindert und auch in ihrem Privatleben musste sie keine Beeinträchtigung erleiden.

Die Mitarbeiterin muss also gar nicht geschützt werden, da sie für alle anderen Tätigkeiten voll leistungs- und arbeitsfähig ist. Wäre die Mitarbeiterin nicht freigestellt worden, könnte man allenfalls auch eine Zuweisung einer anderen Arbeit anordnen. Dies ist aber jeweils im Einzelfall zu prüfen. Dieser These, dass bei reiner arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit kein Sperrfristenschutz besteht, sind übrigens bereits kantonale Gerichte gefolgt und haben die Sperrfrist in den von ihnen zu beurteilenden Fällen abgelehnt.

Alternativen zur Kündigung

Mitarbeiter sind bei Krankheit nur gegen eine Arbeitgeberkündigung geschützt. Ein Mitarbeitender, der krankgeschrieben ist, kann seinerseits sehr wohl eine Kündigung aussprechen. Auch können Arbeitgeber und Arbeitnehmer jederzeit das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen auflösen. Das ist grundsätzlich auch dann möglich, wenn der Arbeitnehmer krank ist. Gerade in Fällen der arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit kann es für den betroffenen Mitarbeiter geradezu eine Erleichterung sein, wenn er einen endgültigen Schlussstrich ziehen kann und so kann für ihn eine vorzeitige Vertragsauflösung ein willkommener Vorschlag sein.

Aufhebungsverträge während Krankheit sind zwar erlaubt, bedürfen aber sowohl im Angebot als auch in der Ausgestaltung besonderer Beachtung. Nur sauber aufgesetzte schriftliche Aufhebungsverträge, die ehrlich gemeint sind, vermögen auch einer späteren richterlichen Prüfung standzuhalten. Allen Fällen der arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit gemeinsam ist, dass das Gespräch miteinander geführt werden muss, damit der Weg für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bestimmt werden kann. 

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