Recht

Arrestrecht

Kommen auf Schuldner harte Zeiten zu?

Am 1. Januar 2011 sind die neue Schweizerische Zivilprozessordnung und das Lugano-Übereinkommen (Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, LugÜ), in Kraft getreten. Hierdurch wurde auch eine Revision des Arrestrechts erforderlich. Der Artikel befasst sich mit der wichtigsten Änderung des revidierten Arrestrechts in der Praxis, dem Vollstreckungsarrest.
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Der Arrest dient der Sicherung von Geldforderungen und Sicherheitsleistungen. Auf Antrag des Gläubigers werden durch den Gläubiger genau zu bestimmende Vermögenswerte des Schuldners wie Bankkonten, Wertgegenstände oder Liegenschaften provisorisch in Beschlag genommen, also im Hinblick auf eine spätere Zwangsvollstreckung gesichert. Voraussetzung ist eine zu sichernde Forderung des Gläubigers, das Vorliegen eines Arrestgrunds und das Vorhandensein von Schuldnervermögen, das sichergestellt werden kann.

Bislang setzte der Arrest den Nachweis einer Gefährdung voraus. Der Gläubiger musste nachweisen, dass er Gefahr läuft, in der Zwangsvollstreckung nicht mehr auf das Schuldnervermögen zugreifen zu können. Eine solche Gefährdung wird durch das Gesetz unterstellt, wenn der Schuldner zum Beispiel keinen festen Wohnsitz in der Schweiz hat, wenn er versucht, sich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten zu entziehen oder seine Vermögensgegenstände beiseite zu schaffen (Art. 271 Abs. 1 Ziffer 1-5 SchKG).

Art. 271 Abs. 1. Ziffer 6 SchKG liefert jetzt einen neuen, zusätzlichen Arrestgrund: Der Gläubiger kann die Verarrestierung des Schuldnervermögens verlangen, wenn er einen definitiven Rechtsöffnungstitel besitzt. Der Nachweis der Gefährdung der Gläubiger­interessen in der Zwangsvollstreckung ist dann nicht mehr erforderlich. Damit erfährt der Arrest als prozessuales Sicherungsmittel für Geldschulden eine erhebliche Aufwertung.

Voraussetzung des in Art. 271 Abs. 1 Ziffer 6 neu eingeführten Vollstreckungsarrests ist ein definitiver Rechtsöffnungstitel. Das sind in- und ausländische Gerichtsurteile, gerichtliche Vergleiche und Schuldanerkennungen, Verfügungen und Entscheide von Verwaltungsbehörden und (neu) vollstreckbare öffentliche Urkunden. Diese Urkunden müssen vor einem Notar errichtet werden mit folgendem gesetzlich vorgeschriebenen Inhalt:

› Erklärung der Partei, die direkte Vollstreckung anzuerkennen

› Rechtsgrund der geschuldeten Leistung

› Bestimmbarkeit und Fälligkeit der geschuldeten Leistung

› Schuldanerkennung durch den Schuldner

Zu beachten ist: Der zur Arrestlegung berechtigende Entscheid muss lediglich vollstreckbar, aber nicht rechtskräftig sein. Vollstreckbar ist ein Entscheid, wenn ein Rechtsmittel entweder keine aufschiebende Wirkung hat – also die Vollstreckung nicht hindert – oder wenn das Rechtsmittel zwar aufschiebende Wirkung entfaltet, aber das Gericht auf Antrag des Gläubigers dessen vorzeitige Vollstreckbarkeit bewilligt (Art. 315 Abs. 2 ZPO). Aus dem Entscheid kann dann die Vollstreckung betrieben werden, obwohl noch keine Rechtskraft vorliegt, also die Entscheidung noch mit einem ordentlichen Rechtsmittel angegriffen werden kann. Der Schuldner muss dann im Zuge des Arresteinspracheverfahrens um Aufschiebung der Vollstreckung nachsuchen (Art. 325 Abs. 2 ZPO).

Ausländische Entscheide bedürfen einer inländischen gerichtlichen Anerkennung (Exequatur), bevor aus ihnen vollstreckt werden kann. Die Exequatur kann im Falle eines Arrestantrags im gleichen Verfahren wie der Arrest beantragt und erteilt werden. Der Schuldner wird nicht angehört, damit er sich nicht auf die drohende Sicherstellung einstellen und allenfalls Massnahmen treffen kann. Dieses Verfahren tritt neu neben das bekannte selbstständige Exequaturverfahren im Rahmen der definitiven Rechtsöffnung (Art. 80 und 81 Abs. 3 SchKG). Dieses Verfahren kommt weiterhin zur Anwendung, wenn der Gläubiger im Rahmen der Vollstreckung keine Sicherungsmassnahme (Arrest) verlangt. In diesem Verfahren wird der Schuldner angehört.

Die sachliche Zuständigkeit für alle Sicherungs- und Vollstreckungsmassnahmen ist neu bei einem Gericht konzentriert, dem sogenannten Vollstreckungsgericht (Art. 340 ZPO). Örtlich ist nicht mehr nur das Gericht des Ortes, an dem sich die Vermögensgegenstände befinden, für die Erteilung des Arrestbefehls zuständig. Auch das Gericht am Betreibungsort, also in aller Regel am Wohnsitz des Schuldners, kann angerufen werden. Die Neuordnung der sachlichen und der örtlichen Zuständigkeit ermöglichen eine weitere tiefgreifende Neuerung: Das angerufene Gericht am Betreibungsort oder am Ort, an dem sich das zu verarrestierende Vermögen befindet (Arrestort), kann auf Antrag sämtliche Vermögensgegenstände des Schuldners, die sich in seinem Besitz befinden, mit Arrest belegen. Es ist nicht mehr notwendig, verschiedene Arrestbefehle in verschiedenen Gerichtskreisen zu erwirken. Banken oder andere Vermögensverwahrer müssen damit rechnen, dass Arreste auf alle Konten eines Schuldners in der ganzen Schweiz gelegt werden.

Der Gläubiger aus dem Ausland kann in der Schweiz die Forderung aus seinem Urteil durch einen Arrest sichern lassen. Hierzu benötigt er lediglich eine von dem erkennenden Gericht auszustellende Bescheinigung sowie die Vollstreckbarkeitserklärung durch das Gericht in der Schweiz (Exequatur). Diese stellt das Vollstreckungsgericht am Wohnsitz des Schuldners aus (Art. 271 Abs. 3 SchKG). Im gleichen Verfahren kann der Gläubiger bereits den Arrest beantragen. Das Verfahren ist einseitig, das heisst ohne Beteiligung des Schuldners. Der Gläubiger kann somit einen Überraschungseffekt ausnutzen. Aufgrund der Möglichkeit eines schweizweiten Arrests muss ein Urteil nicht mehr an jedem möglichen Arrest­ort – also an jedem Ort, an dem sich Vermögen des Schuldners befinden könnte – gerichtlich anerkannt werden. Will der Gläubiger allerdings bereits vor der gerichtlichen Anerkennung seines Urteils Sicherungsmassnahmen beantragen, muss er weiterhin einen Gefährdungstatbestand gemäss Art. 271 Abs. 1 Ziffer 1–5 SchKG glaubhaft machen.

Der Gläubiger eines schweizerischen Urteils kann ein Arrestgesuch an das sachlich zuständige Vollstreckungsgericht richten. Er muss lediglich einen vollstreckbaren Entscheid vorlegen sowie das Vorhandensein von Vermögen glaubhaft machen, das mit Arrest belegt werden kann. Hat der Gläubiger (noch) keinen definitiven Rechtsöffnungstitel, stehen ihm weiterhin die Möglichkeiten gemäss Art. 271 Abs. 1 Ziffer 1–5 zur Verfügung.

Der Wegfall des Gefährdungselements beim Vollstreckungsarrest hat zur Folge, dass sich künftig auch der «redliche Schuldner» (zum Beispiel, wenn er das erstinstanzliche Urteil in einer höheren Instanz überprüfen lassen will) mit Wohnsitz in der Schweiz unerwartet in der Rolle des Arrestschuldners wiederfindet. Das hat tiefgreifende Konsequenzen: Der Arrest kommt in aller Regel überraschend, weil der Gläubiger genau diesen Effekt ausnutzen will (und darf). So können beispielsweise plötzlich Güter eines Gewerbebetriebs beschlagnahmt werden, die für eine Lieferung vorgesehen sind, oder die Verfügbarkeit über Konten ist ausgeschlossen. Der Betreibungsbeamte kann im Gegensatz zur Pfändung die Schuldnerinteressen im Arrestverfahren nicht berücksichtigen, sondern ist an die im Arrestbefehl bezeichneten Arrestgegenstände gebunden. Darüber hinaus entstehen Verfahrenskosten, die Kosten des Arrestbewilligungs- und Vollzugsverfahrens fallen unter die Betreibungskosten, mit Ausnahme der Parteientschädigung für den Gläubiger.

Eine schikanöse Arrestlegung – also ein Arrest, der nicht zur Sicherung der Vollstreckung, sondern mit dem Ziel der Behinderung des Schuldners beantragt wird – kann wie eine Schikanebetreibung (vgl. hierzu den Artikel des Unterzeichners im «KMU-Magazin», Ausgabe 6/2012) zu Schadenersatzforderungen des Schuldners gegen den Gläubiger führen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Gläubiger Arrest aufgrund eines noch nicht rechtskräftigen (aber für vollstreckbar erklärten) Urteils beantragt, das anschliessend in der Berufung aufgehoben wird.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit dem neuen Arrestgrund in Art. 271 Abs. 1 Ziffer 6 SchKG bewusst auf bestimmte Schutzmechanismen zugunsten des Schuldners verzichtet hat. Der Begriff des Rechtsmissbrauchs ist in diesem Licht zu interpretieren. Folgende Schutzmassnahmen stehen dem Schuldner zur Verfügung:

› Arrestkaution, Art. 273 Abs. 1 Satz 2 SchKG

› Pfandbestellung

› Schutzschrift

Die Arrestkaution kann der Richter verhängen, um die Schadenersatzpflicht des Gläubigers sicherzustellen. Er hat hierüber von Amtes wegen zu entscheiden. Der Schuldner selbst kann zu jedem beliebigen späteren Zeitpunkt, aber erst nachdem der Arrest gelegt wurde, eine Kaution beantragen. Im Hinblick auf die Tatsache, dass der Gläubiger bei Antragstellung über einen vollstreckbaren Titel verfügt, dürfte für die Unterstellung einer Schikanemassnahme in den wenigsten Fällen Raum sein, sodass der Arrestkaution nur eine untergeordnete Bedeutung beizumessen ist.

Ein Arrest ist ausgeschlossen, wenn eine Forderung pfandgesichert ist (Art. 271 Abs. 1 SchKG). Der Schuldner kann also, falls ein Prozessverlust droht, die Pfandbestellung oder eine andere Art der Sicherung mit dem Gläubiger vereinbaren (Sicherungsübereignung, Zession). Allerdings bestehen in der Praxis dann Schwierigkeiten, wenn der Richter von dieser Sicherung keine Kenntnis hat und der Gläubiger «vergisst», diese zu erwähnen. Zu seiner Absicherung kann der Schuldner eine sogenannte Schutzschrift (bekannt aus Fällen der einstweiligen Verfügung, beispielsweise als Massnahme gegen drohende Presseveröffentlichungen) bei Gericht hinterlegen. Mit einer Schutzschrift wird dem Gericht der eigene Standpunkt im Vorfeld der drohenden Massnahme unterbreitet. Die Gegenpartei erhält hiervon nur Kenntnis, wenn sie tatsächlich eine Sicherungsmassnahme beantragt. Die Schutzschrift muss bei jedem Gericht hinterlegt werden, das theoretisch über ein Arrestbegehren entscheiden kann, also am Wohnsitz des Schuldners oder an jedem Ort, an dem sich verarrestierbares Vermögen befindet.

Der neue Arrestgrund in Art. 271 Abs. 1 Ziffer 6 SchKG ermöglicht die Arrestlegung ohne den Nachweis der Gefährdung des Vollstreckungssubstrats. Für den Gläubiger bedeutet das eine erhebliche Erleichterung: Die Urkunde ist der Arrestgrund. Der Gläubiger muss nur noch wissen, wo sich das Vermögen des Schuldners befindet. Dass dieses Vermögen zur Sicherung der Zwangsvollstreckung mit Arrest zu belegen ist, muss nicht mehr glaubhaft gemacht werden.

Für den Schuldner birgt der neue Arrestgrund in noch höherem Masse als bisher die Gefahr, von einem Arrest unangenehm überrascht zu werden. Er hat praktisch nach jedem Prozessverlust die Arrestlegung zu befürchten, weil der Gläubiger Druck ausüben oder den Weg durch die Instanzen unterbinden will. Er kann auch nicht wissen, welche Teile seines Vermögens von einem Arrest betroffen werden, was die vollständige Lähmung seiner geschäftlichen Aktivitäten bedeuten kann. Will er sich schützen, muss er den Kontakt mit dem Gläubiger suchen und Sicherheiten anbieten. Alternativ kann er bei Gericht eine Schutzschrift hinterlegen.

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