Recht

Allgemeine Geschäftsbedingungen

Inhaltliche Kontrolle der AGB wird verschärft

Was im europäischen Ausland bereits seit den frühen neunziger Jahren Standard ist, wird per 1. Juli 2012 auch in der Schweiz eingeführt: National- und Ständerat haben sich im vergangenen Sommer auf eine Gesetzes­revision geeinigt, die den Gerichten eine echte Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) erlaubt. Die Grundlage dafür befindet sich im neuen Artikel 8 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).
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Mit der Revision ändert sich die Rechtslage markant: Bis anhin war die Schweiz ein eigentliches Paradies für AGB-Verwender, weil die Gerichte den Inhalt von AGB praktisch nur auf die Übereinstimmung mit zwingendem Recht hin überprüft haben. Ansonsten fand eine Inhaltskontrolle nur in Ausnahmefällen (etwa bei besonders ungewöhnlichen Klauseln) statt.

Anlehnung an die EU-Regelung

Laut dem neuen Artikel 8 UWG sind nun AGB unlauter und damit unzulässig, wenn sie «in Treu und Glauben verletzender Weise zum Nachteil der Konsumentinnen und Konsumenten ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen Pflichten vorsehen».

Wie so oft hat sich der schweizerische Gesetzgeber bei der Formulierung des Artikels keine eigene Schöpfung einfallen lassen: Die Fassung, die sich am Ende durchgesetzt hat, entspricht ziemlich genau dem Wortlaut in der EU-Richtlinie zu AGB-Klauseln. Das legt es nahe, die Gerichtspraxis im europäischen Ausland für die Auslegung des Gesetzes heranzuziehen. Allerdings muss man sich dabei bewusst sein, dass die EU-Richtlinie in den einzelnen Ländern auf verschiedene Weise umgesetzt wurde. Ausländische Urteile können darum zum Teil nicht auf das schweizerische Recht übertragen werden. Einiges ist deshalb noch offen.

Nur für Konsumentenverträge

Schon jetzt kann aber mit Sicherheit festgestellt werden, dass der neue Artikel 8 UWG nur auf Verträge mit Konsumenten angewendet werden wird. Diejenigen Unternehmen, die ihre Produkte oder Dienstleistungen nicht an Konsumenten, sondern nur an andere Unternehmen anbieten, sind deshalb von der Revision nicht betroffen.

Die Einschränkung auf Konsumentengeschäfte stammt aus den parlamentarischen Beratungen. Sie könnte für gewisse Marktteilnehmer problematisch werden, nämlich für Händler, die Produkte als letztes Glied einer Vertriebskette an Konsumenten absetzen. Ein solcher Händler wird gewisse Bedingungen, die er von seinem Lieferanten erhält (zum Beispiel eine Verkürzung der Garantiefristen), nicht mehr an seine Abnehmer weitergeben können. Damit bleiben gewisse Risiken, die sein Lieferant auf ihn überwälzt hat, an ihm hängen. Von diesem Problem werden insbesondere KMU betroffen sein, die häufig keine genug starke Verhandlungsposition haben, um mit dem Lieferant über seine AGB zu verhandeln.

Prüfung eigener AGB ratsam

Jene Unternehmen, die Verträge mit Konsumenten abschliessen, tun gut daran, ihre AGB mit Blick auf das Inkrafttreten der Revision auf den 1. Juli 2012 zu überprüfen oder überprüfen zu lassen. Bereits heute können nämlich mit einem Blick ins Ausland verschiedene AGB-Klauseln identifiziert werden, die unter dem neuen Recht sehr wahrscheinlich nicht mehr zulässig und damit ab Juli 2012 ohne jede Wirkung sein werden.

Das gilt zum Beispiel für zu weitgehende Haftungseinschränkungen des AGB-Verwenders. Speziell heikel sind auch hohe Konventionalstrafen, die den Konsumenten auferlegt werden. Weitere problematische Fälle sind Klauseln, mit denen sich der AGB-Verwender das Recht einräumt, den Vertrag einseitig inhaltlich abzuändern oder ohne Grund zu beenden.

Eine in manchen Branchen beliebte Klausel bestimmt, dass ein Vertrag sich automatisch verlängert, wenn die andere Vertragspartei nicht rechtzeitig kündigt. Auch eine solche Klausel wird nun häufig wirkungslos sein. Andere unsichere Klauseln sind solche, die es dem Konsumenten auf die eine oder andere Weise erschweren, seine Rechte zu verfolgen. Das können beispielsweise Klauseln sein, die die Beweislast zuungunsten der Konsumenten verteilen. Weitere Beispiele befinden sich im Anhang zur EU-Richtlinie.

Stets sollten die AGB gesamthaft überprüft werden, denn im Streitfall wird es nicht selten auf eine Betrachtung der miteinander zusammenhängenden Klauseln und auf gewisse Umstände des Einzelfalls ankommen. Dabei empfiehlt sich in jedem Fall eine rechtskundige Beratung durch eine Anwältin oder einen Anwalt.

Rückwirkende Anwendung?

Eine weitere offene Frage ist übrigens, ob der neue Gesetzesartikel auch rückwirkend auf Verträge angewendet werden soll, die vor dem 1. Juli 2012 geschlossen worden sind. Grundsätzlich sollte dies nicht der Fall sein (Verbot der Rückwirkung), doch möglicherweise werden die Gerichte die Frage bejahen, weil mit der Rechtsänderung ein besserer Schutz von Konsumenten beabsichtigt ist.

Immerhin in einem Punkt kann man heute schon Entwarnung geben: Im Gegensatz zu manchen anderen Vorschriften des UWG (z.B. derjenigen zum E-Commerce, die am 1. April 2012 eingeführt werden) steht die Verletzung des neuen Artikels 8 UWG nicht unter Strafe. Wer AGB verwendet, die den neuen Anforderungen nicht mehr genügen, muss also nicht gleich den Staatsanwalt fürchten.

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