Recht

Unternehmensrecht: Organisationsreglement

Haftungsbeschränkung für den Verwaltungsrat

Der Verwaltungsrat einer AG trägt die gesamte Verantwortung und das Haftungsrisiko aus der Geschäftsführung und hat seine Tätigkeit auch gleich selbst zu überwachen. Eine Möglichkeit zur Haftungsbeschränkung ist das Organisationsreglement. Welche Voraussetzungen dazu notwendig sind, zeigt dieser Beitrag.
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Bei familieninternen Unternehmensnachfolgen verbleibt der Senior häufig als Verwaltungsratspräsident erhalten. Ferner benötigen Unternehmer in einer immer komplexer werdenden Welt oftmals mit Spezialwissen ausgewiesene Verwaltungsräte.

Die übrigen Verwaltungsräte sollten sich dabei die Frage stellen, ob es zweckmäs­sig ist, in diesen Konstellationen die gesamten Haftungsrisiken der Geschäftsführung mitzutragen, oder ob nicht besser haftungsbeschränkende Vorkehrungen zu treffen wären, um eine gerechte Haftungsallokation zu bewirken. Ein Lösungsansatz dazu und ein geeignetes Mittel zur Haftungsbeschränkung ist das Organisationsreglement.

Im Unterschied zu ausländischen Rechtsordnungen sieht das schweizerische Aktienrecht vor, dass die Überwachungs- und Geschäftsführungsfunktionen einzig und alleine beim Verwaltungsrat der Aktiengesellschaft liegen. Dieser trägt die gesamte Verantwortung und das Haftungsrisiko aus der Geschäftsführung und hat seine Tätigkeit auch gleich selbst zu überwachen (sog. einstufiges oder monistisches System). Beide Aufgaben mit der notwendigen Distanziertheit zu erfüllen, verlangt einiges ab. Bei mittleren und grossen Unternehmen ist eine (ganze oder teilweise) Trennung von Überwachungs- und Geschäftsführungsaufgaben angezeigt.

Das gesetzlich vorgesehene monistische System darf aber abgeändert werden. Es bestehen unter anderem sogar spezialgesetzliche Regelungen, welche diese Personalunion zwischen überwachenden und geschäftsführenden Organen (Bsp. Bankengesetz) verbieten und ausdrücklich eine Delegation vorschreiben. Mit einer Delegation werden die mit der Geschäftsführung einhergehenden Aufgaben und Risiken ganz oder teilweise an einzelne oder mehrere Personen übertragen. Die Überwachungsfunktionen verbleiben dabei weiterhin beim Verwaltungsrat.

Im Rahmen der Delegation der Geschäftsführung an Dritte sind zwei Erscheinungsformen typischerweise anzutreffen. Erfolgt die Delegation an einen anderen Verwaltungsrat, liegt ein – mit dem amerikanischen Recht vergleichbares – Board-System vor (Abb. 1). Dieser Geschäftsführer und Verwaltungsrat wird als «Delegierter» bezeichnet. Erfolgt die Delegation an einen nicht im Verwaltungsrat Einsitz nehmenden Dritten, liegt ein dualistisches System vor. Beim dualistischen System ist eine Überschneidung von Geschäftsführungs- und Überwachungsaufgaben per se ausgeschlossen (Abb. 2).

Erfolgt eine gehörige Delegation der Geschäftsführungsaufgaben an Dritte und kommt der Verwaltungsrat bei der Auswahl, der Unterrichtung und der Überwachung des Geschäftsführers seiner nach den Umständen gebotenen Sorgfalt nach, haftet er nicht mehr für den von diesem verursachten Schaden (Art. 754 Abs. 2 OR). Die Delegation bewirkt diesbezüglich eine Haftungsbeschränkung der nicht geschäftsführenden Verwaltungsräte. Ohne Delegation verbleibt die Geschäftsführung bei allen Mitgliedern des Verwaltungsrates gesamthaft (Art. 716b Abs. 3 OR).

Die Einführung eines Organisationsreglementes bedarf gewisser formeller und materieller Voraussetzungen, die zu erfüllen sind.

Statutarische Grundlage

In den Statuten der Gesellschaft muss zwingend eine Bestimmung enthalten sein, wonach der Verwaltungsrat ermächtigt wird, die Geschäftsführung nach Massgabe eines Organisationsreglementes ganz oder zum Teil an einzelne Verwaltungsratsmitglieder oder an Dritte zu übertragen. Ohne statutarische Grundlage bleibt eine allfällige Delegation wirkungslos und verbleibt beim Verwaltungsrat.

Verwaltungsratsbeschluss und Erlass eines schriftlichen Organisationsreglementes

Neben der statutarischen Grundlage hat der Verwaltungsrat mittels Verwaltungsratsbeschluss die Delegation zu beschlies­sen und ein schriftliches Organisationsreglement zu erlassen. Dabei ist es zulässig, das Organisationsreglement sogleich in den Verwaltungsratsbeschluss zu integrieren. Es ist nicht zwingend notwendig, ein separates Dokument zu erstellen. Der Verwaltungsratsbeschluss ist zudem – wie sämtliche Beschlüsse des Verwaltungsrates – zu protokollieren (Art. 713 OR). Empfehlenswert ist es, das Organisationsreglement in einem separaten Dokument zu erstellen. Da sowohl Aktionäre wie auch Gläubiger bei Glaubhaftmachen eines schutzwürdigen Interesses vom Verwaltungsrat über die Organisation der Geschäftsführung schriftlich zu orientieren sind, vereinfacht ein separates Dokument die diesbezüglich Orientierung.

Das Organisationsreglement hat zwingend über die Ordnung der Geschäftsführung und Bezeichnung der erforderlichen Stellen, die Umschreibung der Aufgaben der Geschäftsführung und der zuständigen Stellen sowie dem Berichterstattungswesen zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsführung Auskunft zu geben. Ferner dürfen keine Aufgaben delegiert werden, welche dem Verwaltungsrat unentziehbar und unübertragbar zustehen (Art. 716a OR). Darunter fallen z. B. die Oberleitung der Gesellschaft, die Organisation und die Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle und der Finanzplanung. Die Abgrenzung ist nicht immer ganz einfach. Als Faustregel diene, dass die Aufgaben des Tagesgeschäftes delegierbar sind und in diesem Bereich auch Entscheidbefugnisse übertragen werden dürfen. Erwähnt werden können exemplarisch die zu erbringenden Marktleistungen (Produkte, Preis, Absatzplanung, Qualitätssicherung), die Personalpolitik, die Beschaffung der notwendigen Betriebsmittel und Anlagen, etc.

Festzustellen ist, dass der Verwaltungsrat mit der Diskussion über die Delegation der Geschäftsführung wertvolle Gedankenanstösse erhält und sich selbst und das Unternehmen und deren Entscheidungs- und Kontrollprozesse reflektiert. Insofern stellt das Organisationsreglement auch ein wertvolles Instrument der Qualitätssicherung dar und kann belegen, dass eine Grundlage für ein internes Kontrollsystem (IKS) besteht.

Unbestritten ist, dass die Geschäftsführung an natürliche Personen delegiert werden kann, sei dies ein anderer Verwaltungsrat, ein Verwaltungsratsausschuss oder ein Dritter.

Verschiedene Meinungen bestehen darüber, ob auch eine juristische Person Delegationsempfänger sein kann. Von der Lehre vorgebracht wird, dass nur natürliche Personen Organstellung einnehmen können und als solche im Handelsregister eintragungsfähig sind. Fakt ist dennoch, dass in Konzernen entweder die Muttergesellschaft selbst oder eine Managementgesellschaft die Geschäftsführung für die anderen Konzerngesellschaften ausübt und bereits heute teilweise die Geschäftsführung delegiert erhält.

Das in der Schweiz fehlende Konzernrecht könnte diese Situation klären und eine Delegation explizit für zulässig erklären. (Anmerkung: Der Initiativtext zur Volksinitiative «gegen die Abzockerei» sieht ferner vor, dass eine Delegation von Geschäftsführungsaufgaben an eine juristische Person nicht gestattet ist. Inwiefern dies v.a. für Konzernverhältnisse sinnvoll ist, ist fraglich.)

Mit der rechtsgültigen Delegation geht eine Haftungsbeschränkung der nicht geschäftsführenden Verwaltungsräte insoweit einher, als Geschäftsführungsfunktionen zulässigerweise delegiert worden sind. Zudem greift diese Haftungsbeschränkung nur, wenn bei der Auswahl, der Unterrichtung und der Überwachung der Delegationsempfänger die Verwaltungsräte ihrer nach den Umständen gebotenen Sorgfalt nachgekommen sind bzw. nachkommen. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Umschreibung der Aufgaben und das Berichterstattungswesen zwischen den Verwaltungsräten und der geschäftsführenden Person zu legen.

Neben der zu begrüssenden Haftungsbeschränkung muss sich der Verwaltungsrat bewusst sein, dass er das Organisationsreglement regelmässig zu überprüfen hat. Die gelebte Unternehmenswirklichkeit soll sich im Organisationsreglement widerspiegeln. Stimmen die Abläufe noch mit dem Organisationsreglement überein? Werden definierte Grenzwerte für beispielsweise nicht budgetierte Investitionen eingehalten? Erfolgt das Reporting an den Verwaltungsrat in den festgelegten Zeitperioden in der vorgeschriebenen Form? Bei ordentlich revidierten Gesellschaften hat die Revisionsstelle nämlich allfällige Verstösse gegen das Organisationsreglement dem Verwaltungsrat zu melden.

Ohne Organisationsreglement oder ohne rechtsgültige Delegation der Geschäftsführungsaufgaben an einen Geschäftsführer haftet der Verwaltungsrat gesamthaft für sämtliche Handlungen des Geschäftführers wie für eigenes Handeln.

Mit einer gehörigen Delegation bewirkt der Verwaltungsrat eine Haftungsbeschränkung, d.h. für die Handlungen des Geschäftsführers muss er nicht mehr haften, sofern er seinen Auswahl-, Unterrichtungs- und Überwachungspflichten nachgekommen ist. Er haftet im Bereich der delegierten Aufgaben nur noch für seine pflichtwidrige Auswahl, Unterrichtung oder Überwachung.

Mit der Einführung und der regelmässigen Überprüfung des Organisationsreglementes geht darüber hinaus eine Qualitätssicherung der Entscheidungs- und Kontrollprozesse (IKS) einher.«

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