Ein Volumen von rund 40 Milliarden CHF, 8 Prozent des Bruttoinlandproduktes der Schweiz und 25 Prozent des Schweizer Staatshaushaltes – das ist das öffentliche Beschaffungswesen in Zahlen. Diese Zahlen zeigen: Der schweizerische Markt für öffentliche Beschaffungen ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und die öffentliche Hand somit eine bedeutsame Auftraggeberin. Mit der jüngsten Vergaberechtsrevision wird das Schweizer Beschaffungswesen umfassend revidiert. Nebst der Umsetzung des revidierten WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA 2012), welches von der Schweiz angenommen wurde, wurde mit der Revision bezweckt, die Beschaffungsordnungen von Bund und Kantonen einander soweit möglich und sinnvoll anzugleichen. Dies entspricht seit Jahren einem Anliegen der Wirtschaft, da die heutige heterogene Rechtslage zu unnötigen Rechtsunsicherheiten und kostspieligen Verfahren führt.
Das «Beschaffungsrecht»
Die öffentliche Hand benötigt für ihre Aufgabenerfüllung Sachmittel und Leistungen. Diese kauft sie unter anderem auch bei privaten Anbietern. Im Gegensatz zu privaten Unternehmen darf die öffentliche Hand diese Sachmittel und Leistungen nicht frei nach ihrem Willen einkaufen, sondern unterliegt dafür gewissen Regeln. Das Beschaffungsrecht regelt das Verfahren, wie die öffentliche Hand ihre Sachmittel und Leistungen einkaufen darf beziehungsweise muss.
Rechtsgrundlagen
Das Beschaffungsrecht stützt sich sowohl auf nationale Gesetze als auch auf internationale Abkommen. Auf internationaler Ebene massgebend ist das Agreement on Government Procurement (WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen, GPA). Dabei handelt es sich um ein plurilaterales Abkommen, welches Mindestvorgaben enthält. Das GPA bindet nur die ratifizierungswilligen Vertragspartner, was für die Schweiz zutrifft. Für die Schweiz ist das GPA am 1. Januar 1996 in Kraft getreten und es wurde anschliessend in nationales und kantonales Gesetzesrecht überführt.
Wie oben bereits erwähnt, wurde das GPA in der Zwischenzeit revidiert und von der Schweiz ebenfalls wieder angenommen. Ferner gibt es das bilaterale Abkommen CH-EU, welches am 21. Juni 1999 in Kraft getreten ist. Dieses sichert der Schweiz den Zugang zu EU-Vergaben, nachdem die Schweiz den Beitritt zum EWR 1992 abgelehnt hatte.
Diese internationalen Abkommen wurden auf Bundesebene mit dem Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB, Inkrafttreten 16.12.1994) und der dazugehörigen Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (VöB, Inkrafttreten 11.12.1995) umgesetzt.
Auf kantonaler Ebene gibt es die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB). Diese gilt für sämtliche Kantone und muss durch das kantonale Recht umgesetzt werden. Dementsprechend haben die Kantone ihr eigenes Beschaffungsrecht erlassen. Im Kanton Luzern sind dies das Gesetz über die öffentlichen Beschaffungen (öBG, Inkrafttreten 19.10.1998) und die Verordnung zum Gesetz über die öffentlichen Beschaffungen (öBV, Inkrafttreten 7.12.1998). Für Beschaffungen der Kantone und Gemeinden und anderer Träger kantonaler und kommunaler Aufgaben, nicht aber für Bundesbehörden, ist zudem das Binnenmarktgesetz (BGBM) massgebend, welches zusätzlich zum kantonalen Vergaberecht Anwendung findet und gewisse zusätzliche Vorgaben für Vergabestellen beinhaltet.
Die Neuerungen
Das heutige Beschaffungsrecht mit seiner zersplitterten Rechtslage ist selbst für Experten nicht einfach zu verstehen. Die heterogene Rechtslage führte oft zu unnötigen Rechtsunsicherheiten und kostspieligen Verfahren. Das gemeinsame Projekt von Bund und Kantonen zur Revision des Beschaffungsrechts, welches 2012 begann, sah deshalb die weitgehende Harmonisierung des BöB und der IVöB vor. Zwischen dem neuen BöB und der neuen IVöB bestehen nun kaum mehr markante Unterschiede. Allerdings gibt es im Vergleich zum alten Recht einige Neuerungen. Folgende stechen dabei hervor:
Elektronische Auktionen
Elektronische Auktionen werden bereits im GPA 2012 eingehend geregelt. Neu werden sie nun auf Bundes- und Kantonsebene ebenfalls eingeführt. Die Offerten werden anhand eines iterativen, automatisierten Verfahrens bewertet. Wichtig ist, sicherzustellen, dass die Eingaben der Teilnehmenden in pseudonymisierter Form erfolgen.
Dialog
Was auf Bundesebene bereits möglich war, wird nun auch auf kantonaler Ebene eingeführt. Bei komplexen Aufträgen, intellektuellen Dienstleistungen oder innovativen Vorhaben kann ein Auftraggeber im Rahmen eines offenen oder selektiven Verfahrens einen Dialog mit mindestens drei Anbieterinnen durchführen mit dem Ziel, Lösungswege oder Vorgehensweisen zu ermitteln und festzulegen. Nach Abschluss des Dialogs werden die Anbieter über die Ergebnisse orientiert und aufgefordert, innert Frist ihr endgültiges vollständiges Angebot einzureichen. Nicht zulässig ist es, den Dialog für Preisverhandlungen zu nutzen.