Mensch & Arbeit

Gesundheit

Zum Umgang mit Depressionen am Arbeitsplatz

Eine repräsentative Meinungsumfrage zeigt: Depressionen sind weitverbreitet und können durch das Arbeitsumfeld verschlimmert oder erst gar verursacht werden. Ein sensibilisiertes und gesundes Arbeitsumfeld ist der erste Schritt zur Verbesserung der Situation.
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Gemäss der Meinungsumfrage «Arbeit und Depressionen» (Mai 2013), wird in der Schweiz bereits heute bei jeder sechsten berufstätigen Frau und bei jedem zehnten berufstätigen Mann eine Depression durch eine medizinische Fachperson diagnostiziert. Für die von der Initiative «Lean on Me» beauftragte repräsentative Studie befragte das Marktforschungsinstitut Isopublic 1106 Personen aus der Deutsch- und Westschweiz im Alter zwischen 18 und 64. Dr. Wulf Rössler, emeritierter Professor für Sozialpsychiatrie der Universität Zürich, sieht vielfältige Gründe für diese mehrfach belegten Erkenntnisse. So sei zum Beispiel bei den Frauen die Doppelbelastung durch Beruf und Familie ein mitentscheidender Stressfaktor.

Die Umfrage zeigt, dass es bei Depressionen nicht nur geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, sondern dass auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit­entscheiden kann: Personen, die weniger verdienen, sind auch häufiger von Depressionen betroffen. Tendenziell bleiben von Depressionen betroffene Arbeitnehmer mit kleinem Einkommen aufgrund einer Depression eher von der Arbeit fern als Gutverdienende: Diese gehen trotz einer Erkrankung tendenziell eher noch zur Arbeit. Laut Dr. Rössler haben Gutverdienende eher das Gefühl, unentbehrlich zu sein und gehen deswegen häufiger trotz einer Erkrankung an ihre Arbeitsstelle. Im Durchschnitt geht rund die Hälfte (47 %) aller betroffenen Befragten nicht in eine stationäre Therapie; die meisten arbeiten trotz Depression weiter. Fast 55 Prozent der Frauen lassen sich durch eine Depression nicht von der Arbeit abhalten.

Durch Absentismus – krankheitsbedingte Abwesenheit vom Arbeitsplatz – entstehen Produktivitätsverluste für Unternehmen. Aber auch Menschen, die trotz einer Erkrankung der Arbeit nachgehen (Präsentismus), kosten das Unternehmen, da sie nicht mehr voll einsatzfähig sind. Durch Präsentismus ist die verlorene Produktivität etwa doppelt so hoch wie durch Absentismus (vgl. E.R. Fissler, R. Krause: Absentismus, Präsentismus und Produktivität in betriebliche Gesundheitspolitik: Der Weg zur gesunden Organisation 2010. Springer Verlag).

Der Produktivitätsverlust entsteht, weil Betroffene aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung bei der Arbeit mehr Fehler machen, langsamer arbeiten, Produktivitätsstandards nicht erreichen, mehr Unfälle erleiden, usw. Die Arbeitsleistung der Betroffenen wird qualitativ und quantitativ beeinträchtigt (vgl. Burton et al 1999. Steinke & Badura, 2011: Präsentismus. Ein Review zum Stand der Forschung. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeits­medizin). Denn Depressionen haben nachweislich Auswirkungen auf die Leistung der Arbeitnehmer: In der Umfrage nennen Betroffene vier häufige Folgen einer Depressionserkrankung: Unkonzentriertheit, sinkende Qualität der Arbeit, häufige Fehler und Überforderung durch das Arbeitspensum.

Viele Betroffene bringen laut Umfrage ihre Erkrankung in Zusammenhang mit ihrer Arbeitsbelastung: Zwei Drittel der Depressionskranken sagen, dass ihre Arbeitsbelastung vor oder während der Depression überdurchschnittlich gross gewesen sei. Besonders die Deutschschweizer Arbeitnehmende haben damit zu kämpfen: 70 Prozent fühlten eine überdurchschnittlich grosse Belastung durch ihre Arbeit im Vergleich zu 54 Prozent der Westschweizer. Die Arbeit habe für die Westschweizer offensichtlich einen anderen Stellenwert als für die Deutschschweizer; sie definieren und identifizieren sich aufgrund des lateinischen Hintergrundes weniger über ihren Job, so Dr. Rössler. Über ein Drittel (38 %) der betroffenen Deutschschweizer fühlten sich im Vorfeld oder während ihrer Depression auch weniger gelobt als die Westschweizer (28 %).

Mehr Fachkräfte gefordert

Zur Verbesserung der Situation fordern Führungskräfte von ihrem Arbeitgeber verstärkte Unterstützung durch medizinische Fachkräfte und die Personalabteilung. Die Arbeitnehmenden selber sind der Ansicht, dass Beratungsstellen und bessere Arbeitsgesetze den Betroffenen am meisten helfen würden (IDEA-Umfrage: Impact of Depression at Work in Europe Audit, 2012).

Die Rahmenbedingungen einer Arbeitsstelle, gekoppelt mit dem Anspruch an die persönliche Leistungsfähigkeit, sind wichtige Faktoren, die Stress am Arbeitsplatz, eine Burnout-Erkrankung oder gar eine Depression begünstigen können. Entsteht zwischen den genannten Arbeitsbedingungen und den individuellen Charak­teristika ein grosses Ungleichgewicht, verstärkt sich der Stresspegel beim Mitarbeitenden. Dies kann zu einer Burnout-Erkrankung oder gar zu einer Depression führen (vgl. Maslach 2006. Das Burnout Syndrom. Springer Verlag).

Individuelle Charakteristika

› Beruflicher Ehrgeiz und Wettbewerbsorientierung

› Verausgabungsbereitschaft

› Perfektionsstreben

› Geringe Flexibilität

› Kontrollbedürfnis

› Mangelndes Selbstwertgefühl

› Alleinstehende Personen

› Vorbelastung mit Depressionen

Arbeitsbedingungen, die Stress auslösen

› Arbeitsüberlastung

› Mangelnde Autonomie

› Mangelnde Belohnung

› Mangelnde Gemeinschaft

› Mangelnde Fairness

› Wertekonflikte

Nachstehend einige zentrale Tipps zum Umgang mit an Depressionen erkrankten Mitarbeitenden. (Vgl. Simone Albrecht: Burnout – ein Leitfaden des ifa; Beate Schulze: Burnout heute. Quo vadis?)

Sofortmassnahmen auf das Individuum bezogen

Als Erstes ist das Gespräch unter vier Augen seitens des Vorgesetzten oder der Personalfachpersonen mit dem Betroffenen zu suchen. Hier sollten die zentralen Belastungsfaktoren beim Mitarbeitenden erfragt werden:

› Aktuelle Bedürfnisse des Mitarbeitenden diskutieren

› Unterstützung anbieten, Entlastung von Stressfaktoren

› Jobsicherheit kommunizieren

› Hinweis auf professionelle Unterstützung, Vermittlung von Kontaktstellen (eventuell via Personalfachstelle)

› Klärung Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit

Sofortmassnahmen auf das Team bzw. auf Kunden bezogen

› Neben Sofortmassnahmen, die sich auf den einzelnen Mitarbeitenden beziehen, sind auch Massnahmen im Arbeitsteam bzw. falls gegeben, gegenüber den Kunden zu treffen:

› Absprache mit dem Betroffenen bezüglich Kommunikation gegen innen und aussen

› Organisation einer Vertretung

› Austausch und Unterstützung des Teams, in dem der betroffene Mitarbeitende tätig ist.

Bei der Reintegration von betroffenen Mitarbeitenden

Zur Reintegration eines Mitarbeitenden nach einer Behandlung sind im Rahmen einer Besprechung mit dem behandelnden Arzt bzw. dem Therapeuten und dem betroffenen Mitarbeitenden die Bedürfnisse und Anpassungen am Arbeitsplatz zu eruieren sowie die Integrationsschritte bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz zu planen:

› Absprache und Vorbereitung der Kommunikation gegen innen und aussen

› Regelmässige Standortgespräche

› Falls vorhanden Einbezug eines Case-Managers oder eines Jobcoachs

› Vorbereitung des Teams

› Unterstützung des betroffenen Mitarbeitenden und des Teams «