Mensch & Arbeit

Studie: Betriebliche Gesundheitsförderung

Wohlbefinden stärkt die Selbstkompetenz der Mitarbeitenden

Die bestehenden Angebote zur Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) spiegeln klassische Themen der Gesundheit und der Prävention wider. Themen um das Wohlbefinden allerdings haben Aufholbedarf. Die Schlüsselfiguren dabei sind jeweils die Vorgesetzten mit ihrem Führungsverhalten.
PDF Kaufen

Fragt man nach Belastungen am Arbeitsplatz, tauchen immer dieselben Themen auf. So auch in unserer Studie zur Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF), in der über 200 Personalverantwortliche zu den Belastungen an den Arbeitsplätzen ihrer Unternehmen befragt wurden. Grosse Verantwortung und hoher Zeitdruck liegen ganz vorne, gefolgt von engem Handlungsspielraum und starken körperlichen Belastungen. All diese Belastungen führen zu psychischem und physischem Stress und beeinflussen das Wohlbefinden am Arbeitsplatz.

Psychische Belastungen sind die Treiber, die das «geistige» Wohlbefinden am Arbeitspatz beeinträchtigen. Diese rühren einerseits aus den Aufgaben, die unter hohem Einsatz und zum Teil am Rande der eigenen Qualifizierung erledigt werden, andererseits aus dem sozialen Umfeld, wenn zum Beispiel Ansprüche und Erwartungen bestehen, die in Konflikt mit den eigenen stehen. Auch Konflikte im privaten Umfeld haben Einfluss auf das Wohlbefinden und werden an den Arbeitsplatz mitgenommen, und umgekehrt. Diese Themen des psychischen und psychosozialen Wohlbefindens haben ihren berechtigten Platz im BGF. Unsere Befragung hat gezeigt, dass die Steigerung der Mitarbeitenden-Zufriedenheit das am häufigsten genannte Einführungsmotiv für BGF war, vor Personalkostensenkung und Leistungserhöhung. Daran erkennt man, dass neben dem klassischen Hauptmotiv «Kostensenken» Entlastung und Zufriedenheit einen Wert haben und Wohlbefinden am Arbeitsplatz eine zunehmende Bedeutung erhält.

Acht von zehn der von uns befragten Personaler bejahen, dass ein Unternehmen BGF-Massnahmen ergreifen sollte. Dieser hohe Anteil deckt sich mit anderen Studien und zeigt, dass die Wichtigkeit von BGF bei den Entscheidungsträgern erkannt ist. Nach Einschätzung der Personaler ist jede dritte Führungskraft auf das Thema sensibilisiert. Jede zweite nimmt BGF als Führungsaufgabe wahr oder ist in der Umsetzung aktiv eingebunden.

Die Massnahmenschwerpunkte sind Arbeitsplatzgestaltung, Einrichtungen, Richtlinien, Gesundheitsinfos, Mitarbeitenden-Betreuung im Krankheitsfall und Kursangebote. Als wichtigste Handlungsfelder werden neben Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitsorganisation das direkte Führungsverhalten sowie die Betreuung und Unterstützung von Mitarbeitenden im Erkrankungsfall genannt (siehe Abbildung 1). Zu den priorisierten Massnahmenpaketen gehören die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und das Eingliederungsmanagement.

Eingliederungsmanagement umfasst zum einen Rückkehrgespräche nach längerer Absenz mit gezielter Unterstützung des Betroffenen. Zum anderen sollen Führungskräfte Problemfälle frühzeitig erkennen. Beide Sichtweisen werden in den Massnahmen immer stärker berücksichtigt, und der Wunsch nach Leitfäden und Abläufen ist auszumachen. Das «klassische» KMU wird aber nicht immer die Notwendigkeit eines verschriftenden Ablaufs zum Eingliederungsmanagement erkennen. So gilt hier nach gesundem Menschenverstand zu handeln. Führungskräfte sollen Alarmsignale erkennen, ihre Mitarbeitenden darauf ansprechen und Lösungen im Einklang der Interessen aller entwickeln. Zu einem gewissen Mass ist intuitives Vorgehen der Vorgesetzten erwünscht, doch nur begrenzt. Schnell sind falsche Schlüsse gezogen, noch schneller unangemessene Massnahmen getroffen. Wir empfehlen Abläufe einzuführen. Führungskräfte können sich an Leitfäden orientieren, sind entlastet und zeigen professionellen Umgang, wenn Externe beigezogen werden müssen. Ein intui- tives Vorgehen des Vorgesetzten kann durch Umsichtigkeit oder wohlwollendes Interesse am Mitarbeitenden ausgelöst sein. Eine Führungskraft kann jemanden auch deshalb ansprechen, weil er eigene negative Erfahrungen hat und aus Betroffenheit heraus motiviert ist. Oder aber, so meine Empfehlung, der Betrieb investiert in die Professionalisierung von Führungskompetenzen, schult seine leitenden Angestellten und stellt ihnen Prozesse zur Verfügung. Somit stellt der Betrieb sicher, dass das Vorgehen der Führungskraft mit den Prinzipien der Unternehmenskultur übereinstimmt, wenn es zum Beispiel auf einem Gesundheitsleitbild fusst, das Teil der Unternehmenspolitik ist. Heute ist die Verankerung des Gesundheitsgedankens in der Unternehmenspolitik mit 15 Prozent gering ausgeprägt.

Während sich in den umgesetzten Massnahmen klassische Gesundheitsthemen abbilden, die auf Infrastruktur, Informationen und Unterstützung der Betroffenen abzielen, sind psychologische Themen zu wenig berücksichtigt. Ich empfehle, Themen – wie Gestaltung von Handlungsspielraum, Aufgabenbewältigung, Zumutbarkeit von Verantwortung – ins BGF-Portfolio aufzunehmen. Konkret geht es um das Abklären von Qualifizierungen entsprechend Position und Anforderungen an die Aufgabenerfüllung. Es kann um das Übertragen von Entscheidungskompetenzen und Verantwortung gehen, aber auch um das Entlasten, wenn zum Beispiel Erfahrungen und Unterstützung fehlen und Überforderung oder Scheitern vorprogrammiert sind. Und es geht um den Umgang mit Zeitdruck als Dauerzustand, Einschränkungen beim Zugriff auf Ressourcen, Ziel- und soziale Konflikte.

Kurzum: Diesen daraus erwachsenen psychologischen Belastungen wird massnahmenseitig zu wenig Beachtung geschenkt. So wird heute in den Betrieben immer noch zu wenig für Verbesserung der Konfliktfähigkeit und Teamentwicklung getan. Die Schlüsselfigur – von allen kopfnickend bestätigt – ist der Vorgesetzte mit seinem Führungsverhalten. Dieser Key Player hält quasi den Schlüssel in der Hand und kann als Door Opener zu Gesundheit und Wohlbefinden fungieren. Doch «Klick» machts nur, wenn der Schlüssel zum Schloss passt.

In unsere Studie haben wir auch nach dem Bedarf an Angeboten gefragt, die auf das Gesundheitsverhalten der Mitarbeitenden ausgerichtet sind, um eigene Ressourcen zu stärken und die individuell wirkenden Belastungen zu verringern. Hier geht es um den Einzelnen, wie er die betrieblichen Angebote annimmt und welchen Einfluss sie auf sein Verhalten haben. Beispiele sind die Nutzung von Ernährungs- und Bewegungsangeboten, aber auch die Ausbildung und Stärkung von Kompetenzen im Umgang mit Zeit, Ressourcen- und Energieeinsatz, Stress und Entspannung. Was die Themen betrifft, zeigt sich spiegelbildlich Bedarf an jenen Kompetenzen, die zu den eben beschriebenen Schwerpunkten passen: Früherkennen von beruflich verursachten Gesundheitsstörungen, Bewegung und Stressabbau. Bei den gesundheits­fördernden Selbstkompetenzen geht es darum, sich selbst zu beobachten und «Warn-vor-Alarm»-Signale zu erkennen. Dabei können andere eine Unterstützung sein, wenn sie Rückmeldung zum Verhalten geben.

Das Verständnis von der Eigenkompetenzstärkung hat im BGF Aufholbedarf. Wenn man sich die eingangs beschriebenen Belastungen vor Augen hält, verbergen sich hinter den symptomatisch wiederkehrenden Themen Schwerpunkte, die noch stärker im BGF verankert werden müssen (siehe Toolbox mit zwei beispielhaften Schwerpunktthemen, Abbildung 2). Der Schlüssel-Schloss-Mechanismus funktioniert also auf Grundlage der Kompetenzen zur Selbstwahrnehmung und des Sich-Mitteilens aller Beteiligten. An dieser Stelle lösen sich die Funktionen der Geschäftsleitenden, der Fach- / Führungskräfte und der Mitarbeitenden auf. Denn Gesundheit und Wohlbefinden durchdringt den gesamten Betrieb.«

Porträt