Eine motivierende Vision
Menschen sind motivierter und engagierter, wenn ihre Arbeit einem inspirierenden höheren Sinn dient. Dann kommen sie in einen gesunden Flow. Fehlt der Sinn, wächst der Stress. Dort, wo Mitarbeiter den Sinn erkennen, gibt es weniger Krankheitstage. Leider hängen in vielen Unternehmen eher langweilige Leitbilder an den Wänden: «Wir sind der beste Energielieferant der Region.» Eine inspirierende Vision sieht anders aus. Sie beinhaltet einen Mehrwert oder eine Optimierung, die den Menschen, der Natur oder Gesundheit, der Bildung, dem Wohlstand oder einem anderen Wert dient.
Ein paar Beispiele: Villeroy & Boch hatte nach dem Krieg für saubere Badezimmer geworben, in denen sich die Menschen äusserlich reinigen und gleichzeitig ihre Gesundheit steigern konnten. Das war Balsam für die damalige Zeit. Später wurde eine andere Vision attraktiv: Man ging von der Sauberkeit zum Design und machte Badezimmer zum ästhetischen Wohlfühlfaktor. Die soziale Vision von Walmart ist es, einfachen Menschen zu ermöglichen, die gleichen Dinge kaufen zu können wie Wohlhabende.
Emotionale Bindung an das Unternehmen
Je mehr sich Mitarbeiter emotional ans Unternehmen gebunden fühlen, desto mehr Produktivität, Qualität, Kundenbindung und weniger Fehlzeiten gibt es. Nicht ohne Grund ist die Mitarbeiterbindung in mittelständischen Unternehmen deutlich höher als in Konzernen. Die Gallup-Studie 2016 stellte fest, dass die Möglichkeit, das zu tun, was man richtig gut kann, fünfmal wichtiger ist als das Ge-halt und sonstige Annehmlichkeiten wie Arbeitsplatzsicherung oder Sozialleistungen. Das heisst: Wo Mitarbeiter sich selbst verwirklichen können, entwickelt sich mehr emotionale Bindung als nur durch gute Rahmenbedingungen.
Eine kluge Fehlerkultur
Ob Mitarbeiter stressfrei und kreativ arbeiten können, hängt auch von der Fehlerkultur ab. Wer sich in einem entspannten, angstfreien Zustand befindet, probiert eher neue Prozesse aus und wagt sich über den Tellerrand des Status quo. Die wichtigste Erkenntnis: Irrtümer sind nötig, um auf dem Weg der Weiterentwicklung Erfahrungen zu sammeln. In der Theorie ist das vielen klar, in der
Praxis läuft es häufig anders. Fehltritte werden an den Pranger gestellt und erzeugen Stress. Als Folge verliert das Unternehmen seine wichtigste Ressource: das kreative Entwicklungspotenzial seiner Mitarbeiter. Ausserdem spornt solch eine Kultur eher an, Missstände nicht zuzugeben, sondern zu vertuschen. Dabei sind schon viele Innovationen und neue Sichtweisen entstanden, weil ein sogenannter «Fehler» passiert ist. Ein kluger Umgang mit Fehlern wäre, sie als Lernerfahrung zu analysieren und als Schritt
hin zu neuen Ideen zu betrachten.
Die Führungskraft: …
Stress und innere Kündigung sind häufig die Folge von schwachem Führungsverhalten. Wenn der Chef einen guten Arbeitsrahmen strukturiert und ordnet – und trotzdem für kreative Freiräume sorgt – können Mitarbeiter sich in ihren Stärken entfalten. Wenn jemand «in charge» ist, kann sich jeder beruhigt auf seine Aufgaben konzentrieren und hohe Leistung erzielen. Der stetige und offene Dialog zwischen Team und Chef ist ein erheblicher Faktor für eine entspannte, energetische Unternehmenskultur. Emotionale Stresskompetenz für Manager bedeutet, sich der folgenden Rollen bewusst zu sein:
… als Stammesführer
Wer führen will, braucht zuerst Selbstführung. Emotionale Kompetenz gehört genauso zur Verantwortung als Führungskraft wie die eigene Fachkompetenz. Hier helfen – um nur eine Auswahl zu nennen – Integrität, das Wahrnehmen und Annehmen der eigenen Emotionen, Empathie, konstruktive Selbstgespräche, Kommunikations- und Konflikt-Kompetenz sowie Selbstregulierung bei Stress. So entsteht eine klare Präsenz, die der Mannschaft das Gefühl vermittelt, dass die Führungskraft da ist, wenn sie gebraucht wird – sei es für Strukturierung, Empathie, Feedback oder Hilfestellung. Eine Führungskraft dient emotional und archaisch als ordnende Kraft, die Sicherheit schafft. Fällt diese Rolle weg oder wird sie nicht wahrgenommen, wirkt sich das beunruhigend auf das ganze System aus.
Zur Erklärung: In frühzeitlichen Kulturen war die Erfüllung der physischen Bedürfnisse wie Nahrung, Obdach und Schutz etwas, was ein guter Stammesführer seinem Stamm garantiert hat. War er präsent und aktiv, beruhigte das die Stammesmitglieder. War er physisch oder emotional abwesend, war das eine Bedrohung, die Unruhe und Ängste in den Mitgliedern erzeugt hat. Eine Führungskraft erfüllt stellvertretend die Funktion des Stammesführers. Mit der Annahme dieser Rolle dient der Chef seinem Team mehr, als ihm vielleicht bewusst ist.
… als Orientierungsgeber
Neben dem Stammesführer dient die Führungskraft auch als Orientierungsmarke. Sicherheit gibt der Chef nicht durch Befehle, sondern durch klare Kommunikation, zielorientiertes Führen, kluge Organisation und Konsequenz. Eine grosse Rolle spielt das Thema Verantwortung. Auch wenn einem als Chef die Decke auf den Kopf fällt und so einiges gegen den Strich geht, ist es wichtig, die Verantwortung für seine Aufgaben bei sich zu lassen und eine Opferhaltung zu vermeiden. Aber auch, die Verantwortung, die Mitarbeiter für ihre Aufgaben übernommen haben, bei ihnen zu lassen. Jammern – auch still und innerlich – konserviert Probleme und hilft nicht. Nur wer in der Rolle des Gestalters bleibt, gibt der Stress-Reaktion keine Chance. «Ich bin 100 Prozent verantwortlich, wenn sich hier etwas ändern soll.» Dieser Satz bringt Kraft.
Stress oder Flow?
Wer stressfrei führen möchte, sollte sich bewusst machen, dass Menschen in jeder Situation die Wahl haben: Widerstand oder Akzeptanz und Neugier. Ersteres mutiert fast immer zu emotionalem Stress. Denn Bedrohung ist der Auslöser dafür. Der Auslöser für Bedrohung jedoch ist Widerstand gegen etwas oder jemanden. Denn der Stress-Modus möchte gegen das Abgelehnte, das Bedrohliche schützen. Akzeptanz und zuversichtliche Offenheit mutieren zu Energie und Flow. Egal, wie der Chef sich entscheidet, die jeweilige Stimmung färbt aufs Team ab – und somit auf die Umsatzzahlen.
Eine Führungskraft, der es gelingt, überwiegend konstruktive Gedanken einzuschlagen, einen inspirierenden Sinn im Unternehmen zu vermitteln und Chancen in Fehlern zu entdecken, hat schon viel für eine kreative, stressfreie Arbeitskultur getan. Wer emotional kompetent ist, kann so manchen Misserfolg vermeiden.
Besonders in Zeiten von Digitalisierung und Komplexität ist es wichtig, für die Wiedereinführung des Menschen in Unternehmen zu plädieren. Nur so können Menschen und Unternehmen langfristig mit dem technischen Tempo und der modernen Gesellschaft mithalten.