Mensch & Arbeit

Konfliktmanagement

Wenn Meinungen aufeinanderprallen

Konfliktsituationen in einem Unternehmen gehören zum Geschäftsalltag. Unterschiedliche Interessen, oftmals verbunden mit verschiedenen Weltsichten, stossen aufeinander und entladen sich. Gerade Entscheidungen bringen Konflikte hervor, so wie Konflikte in der Regel zu Entscheidungen führen. Führungskräfte nehmen dabei folglich eine zentrale Rolle ein.
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Ein Fall aus der Praxis: In einem mittelständischen Unternehmen wird über eine Erneuerung des Bonussystems nachgedacht. Bisher wurden alle Teammitglieder individuell mit einem Leistungsbonus bedacht. Nun steht die Frage im Raum, ob zukünftig eine teambezogene Erfolgskomponente Teil des Bonussystems sein soll. Dabei werden auch die Teams selbst in die Diskussion einbezogen. Der Leiter HR, Mitglied der Geschäftsleitung, ist für diesen Veränderungsprozess verantwortlich. Aus seinen Gesprächen mit den Teamleitenden geht hervor, dass in den Teams über diese Thematik heftig diskutiert wurde. Viele der Teammitglieder wollen nach wie vor für ihre eigenen Leistungen belohnt werden, andere führen an, dass man sowieso nicht genau aufteilen kann, wer welche Leistungen erbringt, weil vieles auch gemeinsam erledigt werden muss.

Interpretationsbedarf

In den teilweise hitzigen Wortgefechten kam es zwischendurch auch zu persönlichen Angriffen und empfindlichen Vorwürfen (Stichwort «Trittbrettfahrer»). So hatte sich der Leiter Human Resources diesen Partizipationsprozess nicht vorgestellt. Er fragt sich, was in der Frage nach dem Bonussystem wohl die richtige Lösung ist und wie man dahin kommt.

Solche oder ähnliche Situationen gehören zum betrieblichen Alltag jedes Unternehmens und stellen nicht selten wahre Herausforderungen an alle Beteiligten dar. In vielen Fällen führen sie zu Ärger und Frustration anstelle von durchdachten Lösungen.

  • Wie lassen sich kontroverse Situationen verstehen und welche Handlungsmöglichkeiten sind damit verbunden?
  • Auf welche Weise kann mit diesem Thema grundsätzlich umgegangen werden?

Zunächst einmal signalisiert eine solche Situation einen Interpretationsbedarf. Gedanken und Gefühle, die damit verbunden sind, müssen geordnet und Worte dafür gefunden werden. Eine naheliegende Interpretation ist, dass es sich um einen Konflikt handelt. Hierfür bietet die Konfliktforschung einen bewährten Interpretations- und Deutungsrahmen.

Ein Konflikt liegt dann vor, wenn ein Individuum oder eine Gruppe Differenzen zu anderen Individuen oder Gruppen wahrnimmt hinsichtlich Interessen, Ressourcen, Überzeugungen, Werten oder Praktiken. Die beschriebene Situation kann man so verstehen.

Bei genauerer Betrachtung lassen sich in der beschriebenen Situation sogar unterschiedliche Konfliktarten identifizieren, wie sie ebenfalls in der Literatur beschrieben sind. Dort werden vor allem Interessenkonflikte, Beziehungskonflikte und soziokognitive Konflikte unterschieden. Interessenkonflikte sind Konflikte um knappe Ressourcen und sich widersprechende Ziele. Die Präferenz eines individuellen Leistungsbonus spiegelt ein solches Interesse, dem das Interesse an einem Gruppenbonus unter Umständen diametral entgegensteht.

Ein weiterer Typ sind Beziehungskonflikte. Sie entstehen aufgrund von Selbstwertbedrohungen auf der Basis von ideologie- oder wertorientierten Differenzen und können mit einer subtilen Bemerkung im Handumdrehen erreicht werden («Trittbrettfahrer»). Ein dritter Konflikttyp ist der sogenannte soziokognitive Konflikt. Er zeigt sich dann, wenn die Ideen, Theorien und das Wissen unterschiedlicher Menschen aufeinanderprallen. In seiner besten Form tritt er als Gelehrtenstreit auf, im schlechtesten Fall nimmt man seine Existenz gar nicht wahr, so wie im Fallbeispiel. Immerhin könnte die Frage, die sich der HR-Verantwortliche stellt, in diese Richtung führen: Wie kann man dieses Problem verstehen und wie lösen?

Systematisch betrachten

Konflikte sind erfahrungsgemäss eine Gemengelage aus den unterschiedlichen Konfliktarten. Unterschiedliche Interessen sind oftmals mit verschiedenen Weltsichten verbunden, vielfach bricht sich die Beziehungskomponente mit rasantem Tempo Bahn und drängt die Artikulation von vielleicht legitimen Interessen oder den Austausch von berechtigten Überlegungen drastisch in den Hintergrund. Die Sitzung ist gelaufen, das Thema zerzaust und die Menschen beleidigt und frustriert. Die unkontrollierte Eskalation hat alle fest im Griff.

Um dieser Entwicklung vorzubeugen, hilft eine strukturierende Betrachtung. Die analytische Unterscheidung von verschiedenen Formen oder Dimensionen eines Konflikts, wie sie oben zu erkennen sind, kann hier wichtige Dienste leisten, denn sie orientiert, vor allem dann, wenn alles durcheinandergerät.

Konfliktbearbeitung

So wie in der Forschung unterschiedliche Konflikttypen differenziert werden, lassen sich auch Formen der Konfliktbearbeitung unterscheiden. Verhandlungen zielen in erster Linie auf die Beilegung von Interessenkonflikten ab. Verfahren der Mediation beziehen sich auf die Wiederherstellung von sozialer Gerechtigkeit. Methoden wie die Konstruktive Kontroverse sind darauf angelegt, einen intellektuellen Austausch zu ermöglichen, damit individuelles Wissen, individuelle Theorien und Ideen in gemeinsame Lösungen eingebunden werden können. Wie jeder Konflikt in der Regel einen Schwerpunkt hat, sei es, dass er sich primär als Interessen-, Beziehungs- oder soziokognitiver Konflikte interpretieren lässt – so muss auch die Wahl der Methode sorgfältig vorgenommen werden.

Solche Verfahren und Methoden sind voraussetzungsreich. Sie zu kennen und als analytischen Rahmen zu nutzen, ist ein wichtiger Schritt, reicht aber nicht aus. Um einen auftauchenden Konflikt damit zu bearbeiten, braucht es Methodenkenntnisse und ein Repertoire an Moderationstechniken, viel Hintergrundwissen und jede Menge Erfahrung.

Die Akteure

Konflikte gehen grundsätzlich alle Beteiligten etwas an. So gesehen muss es im Interesse aller Mitarbeitenden sein, einen Beitrag zu ihrer Bearbeitung zu leisten. Dennoch nehmen insbesondere die Führungskräfte eine zentrale Rolle ein, wenn es um Konfliktbearbeitung geht. Denn sie sind in einer spezifischen Verantwortung, wenn es in den organisationalen Prozessen um Entscheidungen geht. Und gerade Entscheidungen bringen Konflikte hervor, so wie Konflikte in der Regel zu Entscheidungen führen.

Auch im Fallbeispiel sind Entscheidungen notwendig. Wie hoch die teambezogenen Anteile am Bonus sein sollen, kann eine Sache des Aushandelns sein. Wie man in Teams eine Atmosphäre gestaltet oder wiederherstellt, in der man konstruktiv über das Thema diskutieren kann, muss eventuell mit Methoden der Mediation angegangen werden (z. B. «aktives Zuhören»). Ob man überhaupt ein neues Bonussystem einführt und wie dies zu gestalten sei, ist insbesondere eine Frage, die auch diskursiv und argumentativ, idealerweise mit Rückgriff auf theoretische Modelle und empirische Befunde bearbeitet werden kann. So betrachtet kann es durchaus möglich sein, dass im Fallbeispiel alle drei erwähnten Verfahren zum Einsatz kommen.

Das Thema zum Thema machen

Über ein analytisches Verständnis von Konflikten und über die Anwendung von Verfahren und Methoden zu deren Be­arbeitung hinaus geht es auch um die Enttabuisierung eines heiklen Themas. Schon ein Problem zu haben bzw. zu artikulieren, ist für viele Führungskräfte und Mitarbeitende im Unternehmen eine Überforderung. Mit Konfliktsituationen umzugehen, pflegen viele durch «Umgehung» zu umgehen oder durch Konfrontation zu lösen. Zwischen Konfliktvermeidung und einseitiger Durchsetzung gibt es eine Menge an Spielarten. Eine der wichtigsten ist die Kommunikation über das Thema Konflikte selbst. Es deutete vieles darauf hin, dass erst dann, wenn man mit dem Thema Konflikte offensiv umgeht, es seine negative Konnotation verliert und neue Lösungen gefunden werden können. Dies ist zweifelsohne ein Stück harte Arbeit und in vielen Unternehmen nichts weniger als eine kulturwandlerische Herausforderung.

Transdisziplinärer Dialog

Die Bearbeitung von Konflikten ist ein gesellschaftliches Thema, das in Unter­nehmen einfach nur ein spezifisches Feld vorfindet. Es übersteigt in der Regel den individuellen Handlungsradius. Individuen sind daher oftmals überfordert, auch weil sie meinen, bei einem Konflikt nicht nur versagt zu haben, sondern ihn auch noch alleine meistern zu müssen.

Es reicht nicht, zu wissen, dass es dokumentierte Konfliktforschung schon seit Jahrzehnten gibt oder dass eine ganze Branche aus Beratenden sich im Thema auskennt und Hilfestellung bietet. Ein zukünftiges Szenario könnte so aussehen, dass Unternehmen viel stärker in den Dialog mit der Forschung treten. Um die Kluft zwischen Theorie und Praxis zu schliessen, braucht es einen starken Austausch zwischen Wissenschaftlern und Praktikern. Letztere würden auf diesem Weg mehr von theoretisch fundierten und empirisch erprobten Methoden profitieren, Wissenschaftler hätten eine wesentlich grös­sere Praxisnähe und somit mehr Gestaltungmöglich­keiten. So könnte man gemeinsam herausfinden, wie nicht nur einzelne Konflikte, sondern ein ganzes Thema zu verstehen und zu strukturieren sind, und welche Methoden in der komplizierten Unternehmenspraxis anschlussfähig und wirksam sind.

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