Mensch & Arbeit

Flexibilisierung der Arbeitswelt

Wenn der Bahnhof zum Büro wird

Die Schweiz gilt als einer der Vorreiter der Telearbeit in Europa. Kürzlich haben die Schweizerischen Bundesbahnen SBB beschlossen, an ihren Bahnhöfen professionell ausgestattete Büroarbeitsplätze anzubieten. Die Hintergründe zu dieser Entscheidung beleuchtet dieser Beitrag.
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Der Hauptgrund für die SBB, Büroarbeitsplätze anzubieten: Die Mobilität im Berufsleben nimmt zu. Laut einer Studie des US-Forschungsunternehmens IDC (International Data Corporation) wird die Anzahl mobiler Arbeitskräfte weltweit bis zum Jahr 2015 auf 1,3 Milliarden Menschen steigen und damit 37,2 Prozent der gesamten arbeitenden Bevölkerung ausmachen. Für die Region Europa, Mittlerer Osten und Afrika (EMEA) sagt das Institut 244,6 Mio. sogenannter Mobile Workers bis zum Jahr 2015 voraus – ein Anstieg um 31,6 Prozent, verglichen mit dem Jahr 2010 (186,2 Mio.).

Das bedeutet, dass eine steigende Zahl an Aus­sendienstmitarbeitern bzw. Geschäftsreisenden flexibel nutzbare Arbeitsplätze an verkehrsgünstig gelegenen Orten benötigt. Darüber hinaus wächst eine junge und flexible Mitarbeitergeneration heran, für die traditionelle Büros mit festem Standort ausgedient haben. Die von der SBB neu angebotenen sogenannten Businesspoints werden in Kooperation mit Regus realisiert, einem globalen Anbieter flexibler Bürolösungen.

Laut einer Befragung von Regus sind 70,9 Prozent der Mitarbeiter und Führungskräfte in Unternehmen der Meinung, dass nach 1980 geborene Mitarbeiter traditionelle Büros eher ablehnen. Dies gilt noch mehr für die Generation, die heute noch in die Schule geht. Andere Studien, beispielsweise von Cisco oder Microsoft, bestätigen diesen Trend.

Laut dem Forschungsbericht «Agility@Work» von Regus sind es sechs grosse Bereiche, die den Trend zum flexiblen Arbeiten vorantreiben. Die Studie basiert auf Einschätzungen international tätiger Unternehmen wie Nokia, Accenture, BP, Barclays und BBC sowie auf Fallstudien u. a. von Vodafone, Macquarie Bank und Interpolis. Die sechs Bereiche sind

› Immobilien: Unternehmen beginnen, die Kosten fixer Immobilieninvestitionen zu hinterfragen. Durch Ermittlung des Auslastungsgrads und der Fluktuationskosten werden die echten Raumkosten errechnet. Dabei kommen erstaunliche Erkenntnisse zutage. Beispielsweise ist ein Arbeitsplatz in einem Unternehmen im Durchschnitt nur zu 45 Prozent der gesamten Zeit tatsächlich belegt.

› Arbeitskultur: Wir erleben einen Wechsel von der aufsichtsorientierten Führung (Management by Supervision) zu einem ergebnisorientierten Ansatz (Management by Results).

› Human Resources: Unternehmen beginnen, die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Mitarbeitergenerationen zu berücksichtigen.

› Technologie: Durch Telekommunikation und mobilen Zugriff auf das Internet sowie auf interne Firmennetzwerke können Mitarbeiter an jedem beliebigen Ort arbeiten.

... Reto Schärli, Mediensprecher der SBB und Christoph Rechsteiner, Country Manager Switzerland bei Regus, zu den neuen Büros in Bahnhöfen.

Was waren die wichtigsten Gründe für die Entscheidung, die SBB Business­points zu realisieren?

Schärli: Die Arbeitsmobilität nimmt laufend zu. Das Bedürfnis, unterwegs arbeiten zu können, ist dementsprechend gross. Unsere Kunden haben deshalb die Idee sehr positiv aufgenommen.

Welche strategischen Überlegungen stecken seitens SBB hinter diesem Projekt?

Schärli: Wir möchten unseren Kundinnen und Kunden Angebote bieten, die das Reisen noch leichter machen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, unterwegs zu arbeiten. Diesen Trend unterstützen wir und schaffen mit den Businesspoints entsprechende Angebote.

Haben Sie in der Vergangenheit stärkere Nachfrage bei Ihren Fahrgästen nach flexiblen Arbeitsmöglichkeiten registriert? War dies mit ein Grund für die Entscheidung, die SBB Business­points einzurichten?

Schärli: Wir sind fest überzeugt, dass wir damit ein starkes Bedürfnis der Geschäfts­reisenden treffen. Die SBB Businesspoints Centers decken die Bedürfnisse vieler unterschiedliche Kunden ab: von Grossfirmen, die ihre internen Abläufe optimieren wollen über Kleinunternehmen, die nicht über die geeignete Infrastruktur verfügen bis zu Geschäftsleuten unterwegs, die eine Stunde vor dem nächsten Treffen eine Präsentation vorbereiten und drucken wollen.

Rechsteiner: Eine Studie von Regus hat gezeigt: Bei 72 Prozent der Unternehmen weltweit konnte als Ergebnis flexibler Arbeitsmodelle ein Anstieg der Produktivität festgestellt werden. 68 Prozent der Unternehmen sehen einen direkten Zusammenhang zwischen flexiblem Arbeiten und Umsatzsteigerungen.

Haben Sie vor der Konzeption der SBB Businesspoints eine Kundenumfrage durchgeführt, um die Nachfrage nach einem solchen Angebot abzufragen?

Schärli: Ja, selbstverständlich. Und diese hat ergeben, dass durchaus eine Nachfrage besteht.

Denken Sie, dass die Einrichtung der SBB Businesspoints dem Image der SBB insgesamt nützen wird?

Schärli: Alles was unseren Kundinnen und Kunden nützt, ist auch gut für unser Image.

Werden die SBB Businesspoints dazu beitragen, dass mehr Menschen die Bahn anstelle des Autos verwenden?

Schärli: Wir freuen uns über jeden zusätzlichen Kunden. Wir gehen aber davon aus, dass die Nachfrage bei unseren bisherigen Kundinnen und Kunden gegeben ist.

Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung ein, was die Dezentralisierung und Flexibilisierung der Arbeitsorte betrifft? Wird diese Strömung in Zukunft Ihrer Meinung nach noch stärker werden?

Schärli: Wir gehen davon aus, dass sich der Trend zur Flexibilisierung verstärkt. Auch viele SBB-Mitarbeiter arbeiten unterwegs im Zug oder an einem freien Arbeitsplatz an einem anderen Arbeitsort. Zudem unterstützt die SBB den Home-Office-Day. All diese Trends können auch dazu beitragen, die Hauptverkehrszeit etwas zu entlasten. Viele milliardenschwere Bahnausbauten sind nur nötig, weil eine Mehrheit der Reisenden frühmorgens und abends pendelt. Wenn nur ein Teil dieser Pendler flexibler reiste und arbeitete, müsste die öffentliche Hand viel weniger Geld ausgeben, um alle Mobilitätsbedürfnisse erfüllen zu können.

Rechsteiner: In letzter Zeit wurden dezentrale, flexibel nutzbare Büroflächen immer stärker ausgebaut. Wir erleben ausserdem eine rasante technologische Weiterentwicklung im Bereich der IT und Telekommunikation, die ortsunabhängiges Arbeiten immer einfacher macht. Zudem wünschen sich immer mehr Mitarbeiter eine bessere Balance zwischen Arbeit und Privatleben.

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