Mensch & Arbeit

Kommunikation I

Warum gutes Hören so wichtig ist

Ein intaktes Gehör ist die Grundvoraussetzung für die verbale Verständigung. Dennoch leidet laut einer Studie jeder zehnte Erwachsene in der Schweiz an Hörproblemen. Hörminderungen führen bei der Arbeit nicht nur zu Missverständnissen, sie können sich auch auf Produktivität und Absenzen auswirken. Einfache Massnahmen zum besseren Hören.
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Man ist sich kaum bewusst, was unser Gehör tagtäglich und rund um die Uhr leistet. Es ist das einzige unserer Sinnesorgane, das ununterbrochen arbeitet. Egal, ob wir wach sind oder schlafen, ständig leiten unsere Ohren Schallimpulse weiter. Im Gegensatz zu unseren Augen, die sich nur nach vorne orientieren, erlaubt das Gehör eine 360-Grad-Informationsaufnahme. So können wir zum Beispiel im Strassenverkehr wahrnehmen, wenn sich etwas von hinten nähert. Beidseitiges Hören ist aber nicht nur wichtig, um uns vor Gefahren zu warnen. Hören ist die Bedingung, dass wir lernen zu verstehen und zu sprechen – die Grundlage für die Kommunikation untereinander.

Folgen werden unterschätzt

In den meisten Berufen macht die Verständigung über das Sprechen und Hören respektive Verstehen einen wesentlichen Teil der Tätigkeit aus. Sei dies in der Kommunikation unter Mitarbeitenden oder im Gespräch mit Kunden. Versteht man sich schlecht, kann dies möglicherweise an mangelhafter Akustik oder dem Umgebungslärm liegen. Unterschätzt wird allerdings oft ein individueller Faktor: die eigene Hörfähigkeit. Wie die Studie zur Hörsituation in der Schweiz «Euro Trak 2015» zeigt, hat jeder zehnte Erwachsene Probleme beim Hören. Das wiederum wirkt sich auf ganz verschiedene Lebensbereiche aus.

Hörschädigungen am Arbeitsplatz werden meist nur im Zusammenhang mit Schwerhörigkeit diskutiert. Dabei leidet eine Mehrheit der Betroffenen «nur» unter einer geringen beziehungsweise mittleren Hörminderung, was jedoch bereits einem Hörverlust von 20 bis 60 Prozent entspricht. Die Folgen: Es wird schwieriger, Unterhaltungen zu folgen, und entsprechend mühsamer ist die Kommunikation. Für Leute mit einer unbehandelten Hörminderung wirkt sich dies auf das persönliche Wohlbefinden und auf die Gesundheit aus. Denn die permanente Unsicherheit, ob man alles richtig verstanden hat und angemessen reagiert, führt zu höherem Stress im Arbeitsalltag. Gleichzeitig sind Betroffene am Ende eines Tages körperlich und geistig stärker beansprucht als Kollegen mit normalem Hörvermögen oder einem Hörgerät.

All diese Zusatzbelastungen sind vermeidbar, wenn man seine Hörminderung behandeln lässt. So sind 95 Prozent der Berufstätigen mit einem Hörgerät der Meinung, dass dieses im Arbeitsalltag hilfreich ist. Sie gehen noch weiter in der Nutzenbeurteilung. Gemäss ihren Aussagen in der «Euro Trak 2015»-Studie erhöht die Behebung der Hörprobleme die Arbeitsmarktfähigkeit und damit die Chancen, im gewünschten Job zu arbeiten und entsprechend angemessen entlohnt sowie regelmässig befördert zu werden.

Lärm ist eine Hauptbelastung

Hörverluste werden bei Erwachsenen mehrheitlich durch umweltbedingte Beeinträchtigungen verursacht. So zum Beispiel durch selbst- oder fremderzeugten Lärm, Krankheit oder Unfälle. Bei Jugendlichen hingegen ist es ihr Freizeit- und Hörverhalten, das die Hörfähigkeit einschränken kann. Je mehr man seinen Ohren zumutet, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit für Hörminderungen und umso früher treten sie auf.

Im Berufsalltag schädigt Lärm, wenn er zu laut und /oder zu lange auf den Menschen einwirkt. Neben- und Dauergeräusche erschweren die Konzentrations- und damit Leistungsfähigkeit. Sie führen zu Fehlern und erhöhtem Unfallrisiko. Belastet Lärm den Organismus längerfristig, so führt er im schlimmsten Fall zu Tinnitus, Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder eben zu einem zumindest teilweisen Hörverlust. Dennoch gehen wir relativ sorglos mit unserem Gehör um und setzen es meist ungeschützt der Belastung durch Lärm in der Arbeitsumgebung oder im Privatleben aus. Wer sich vor konstantem Lärm über 85 Dezibel nicht schützt, schädigt seine Hörfähigkeit. Zusätzlich zeigt die Studie, dass sich Personen mit versorgter Hörminderung abends weniger erschöpft fühlen und besser schlafen können als Personen ohne Hörgerät. Das Tragen eines Hörgerätes beeinflusst also weit mehr als nur die reine Behebung der Hörminderung und hat entsprechend Einfluss auf das Wohlbefinden und die Produktivität am Arbeitsplatz.

Schäden vorbeugen

Die Arbeitgeber können einen wertvollen Beitrag zur Kommunikation und Produktivität leisten. Deshalb sollten Unternehmen in eine gesundheitsgerechte Arbeitsumgebung investieren, um beispielsweise Ausfälle bei den Mitarbeitenden zu vermeiden. In Bezug auf die Beeinträchtigung des Hörvermögens sollte zum Beispiel analysiert werden, wo Schädigungen durch Lärm oberhalb der Grenzwerte entstehen. Gleichzeitig ist zu beurteilen, wo psychische Belastungen durch Lärm auch unterhalb der Grenzwerte entstehen und wo Lärm die Unfallgefährdung erhöht.

Neben technischen sorgen organisatorische Schutzmassnahmen für die Verringerung des Gefährdungspotenzials. Dazu gehören zum Beispiel Lärmpausen oder Wechsel zwischen lauteren und leiseren Umgebungen. Persönliche Schutzmassnahmen wie Gehörschützer sollten hingegen als letzte Massnahme betrachtet werden, da die Ausschaltung – oder zumindest die Minderung – der Lärmquelle immer im Vordergrund steht. Folglich muss auch jeder Arbeitgeber der Pflicht nachkommen, entsprechende Rahmenbedingungen für ein lärmarmes Arbeitsklima zu schaffen. Prävention muss sich nicht ausschliesslich auf die beschriebenen Schutzmassnahmen beziehen. Unternehmen können mit freiwilligen Angeboten für Hörtests einen aktiven Beitrag zur Gesundheitsförderung bei ihren Mitarbeitenden leisten.

Im Vergleich zu Europa liegt die Schweiz in Sachen Hörtest gemäss der Studie hinter Grossbritannien, Deutschland und Frankreich. Nur 35 Prozent der Schweizer machten in den vergangenen fünf Jahren einen Hörtest, 44 Prozent noch nie. Unternehmen sollten aktiv dazu beitragen, dass diese Thematik enttabuisiert und offen darüber gesprochen wird, weil es am Ende – direkt oder indirekt – alle tangiert.

Geringere Diskriminierung

Bereits bei relativ geringer Schwächung der Sehkraft kaufen sich Betroffene eine Brille. Ganz anders sieht dies beim Hörorgan aus. Menschen mit einer Hörminderung empfinden die Beschaffung eines Hörgeräts oft als Makel und potenziellen Grund, wegen dieser vermeintlichen «Behinderung» durch ihre Mitmenschen diskriminiert zu werden. Völlig unbegründet, wie die «Euro Trak 2015»-Studie zeigt, denn Hörgeräte sind in der Schweiz besser akzeptiert als in den Vergleichsländern. Nur 15 Prozent der Hörgeräteträger sagen aus, ab und zu belächelt zu werden. In den anderen Ländern betrifft dies 26 Prozent. Problematischer hingegen scheinen unbehandelte Hörminderungen zu sein. Sprechen in der Schweiz 55 Prozent davon, ab und zu verspottet zu werden, sind es in den anderen Ländern 71 Prozent.

Über 95 Prozent der Hörgeräteträger geben an, dass sich das Tragen eines entsprechenden Gerätes sowohl im Privat- als auch im Berufsleben spürbar positiv auswirkt. Dennoch tragen hierzulande nur 41 Prozent der Betroffenen ein Hörgerät, obschon es mittlerweile so kleine Hörgeräte gibt, dass man sie von blos­sem Auge gar nicht sieht. In den berufstätigen Altersgruppen liessen sich nur gerade knapp 25 Prozent der 45- bis 64-Jährigen ihren Hörverlust versorgen und bei den unter 44-Jährigen sind es sogar nur noch rund 18 Prozent.

Die Gründe sind unterschiedlich. Neben der Annahme, ausgegrenzt zu werden sind gemäss Studie die subjektive Wahrnehmung, noch ausreichend zu hören, beziehungsweise, dass die Hörminderung noch nicht schwerwiegend genug sei, Ursachen, auf ein Hörgerät zu verzichten. Zumal die Selbsteinschätzung bei Betroffenen oft falsch ist, warten diese im Schnitt bis zu sieben Jahren, bis sie ihr Gehör untersuchen lassen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass man am Arbeitsplatz die Anzeichen frühzeitig erkennt und Betroffene darauf anspricht.

Jeder ist betroffen

Vorbeugung ist das A und O, um Mitarbeitende vor im Unternehmen verursachten Hörminderungen zu schützen. Da die Ursachen aber auch ausserhalb der Firma liegen können, sollte eine Unternehmenskultur selbstverständlich sein, die es Betroffenen ermöglicht, offen über den Hörverlust zu reden. So ist gewährleistet, dass Arbeitskollegen informiert sind und Missverständnisse vermieden werden. Ist die Unsicherheit bei alltäglichen Gesprächen am Arbeitsplatz gross, neigen Betroffene dazu, sich zurückzuziehen. Das ist weder im Sinne des Arbeitnehmers noch des Unternehmens, da bei Hörproblemen stets alle involviert sind. Für jede Person ist das Gehör deshalb ein essenzieller Schlüssel zum sozialen Leben – im Privaten wie auch am Arbeitsplatz.

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