Firmenalltag. Führungskraft Huber erteilt Mitarbeiter Frantz eine neue Aufgabe – zum Beispiel das Vertriebskonzept für ein neues Produkt zu entwerfen. Kurz unterhalten sich Huber und Frantz darüber, welche Ziele dabei zu erreichen sind – zum Beispiel in zwei Monaten 50 Kunden für das neue Produkt gewinnen.
Dann kehrt Führungskraft Huber an ihren Schreibtisch zurück und widmet sich anderen Aufgaben. Er ist entspannt, denn Mitarbeiter Frantz bewies in der Vergangenheit schon oft, dass man wirklich auf ihn bauen kann.
Wochen vergehen. Und immer wieder fragt Führungskraft Huber Herrn Frantz, wenn er ihn trifft: «Wie läuft’s?» Dessen Antwort: «bestens». Also fragt Huber nicht weiter nach. Denn er ist überzeugt: Der Frantz hat die Sache im Griff. Doch dann naht der Termin, an dem die Aufgabe erledigt und die vereinbarten Ziele erreicht sein sollen. Und zunehmend macht sich bei Mitarbeiter Huber Nervosität breit.
Immer häufiger erzählt er von «Problemen, die sich ergaben». Und wenige Tage, bevor der Job erledigt sein soll, gesteht er seinem Chef: «Ich schaffe es nicht.» Und der fragt entsetzt: «Warum haben Sie mich nicht früher informiert? Dann hätten wir noch gegensteuern können.» Doch dafür ist es nun zu spät.
Coachen ist meist ein Anleiten
Wer ist für das Scheitern verantwortlich? Der Mitarbeiter oder die Führungskraft? Beide! Die Hauptverantwortung trägt jedoch die Führungskraft. Denn sie lo-tete nicht aus: Findet mein Mitarbeiter alleine einen geeigneten Lösungsweg oder braucht er Unterstützung? Also konnte Huber diese seinem Mitarbeiter auch nicht gewähren. Die Führungskraft überprüfte zwischenzeitlich auch nicht, ob sich ihr Mitarbeiter noch «auf Kurs» befindet, um – sofern nötig – korrigierend einzugreifen. Sie nahm also eine Kernaufgabe jeder Führungskraft nicht wahr, nämlich ihre Mitarbeiter bei deren Arbeit anzuleiten – zumindest bei Aufgaben, bei denen ihnen noch die nötige Routine und Erfahrung fehlt.
Dieses Anleiten ist heute vielfach verpönt. Stattdessen wird in Führungsseminaren häufig über das Thema Coaching referiert. Dabei reduziert sich das Coachen im Betriebsalltag weitgehend auf ein Anleiten der Mitarbeiter – zumindest dann, wenn der Coach zugleich der disziplinarische Vorgesetzte der Mitarbeiter ist.
Denn als disziplinarischer Vorgesetzter entscheidet eine Führungskraft auch weitgehend über deren berufliches Fortkommen. Das wissen die Mitarbeiter. Deshalb ist ihr Verhalten gegenüber ihren Vorgesetzten stets auch von taktischen Erwägungen geprägt. Kaum ein Mitarbeiter würde zum Beispiel, solange er keine Job-Alternative hat, offen zu seinem Chef sagen «Meine Arbeit macht mir keinen Spass». Oder: «Ich bin überfordert.» Zu Recht! Denn zu viel Offenheit schadet dem beruflichen Fortkommen.
Die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ist zudem keine familiäre. Ein Vater fördert seine Kinder, damit aus ihnen Persönlichkeiten werden, die ihr Leben mit Erfolg gestalten. Anders ist dies bei einer Führungskraft. Sie fördert ihre Mitarbeiter primär, um zu erreichen, dass diese mehr Leistung erbringen – ihre Beziehung ist primär eine funktionale.
Das steckt der Coachingfunktion von Führungskräften enge Grenzen. Sie beschränkt sich weitgehend darauf, die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit anzuleiten. Doch das Anleiten hat in Managementkreisen einen eher schlechten Ruf – unter anderem, weil Anleiten heute häufig mit Anweisen gleichgesetzt wird. Doch Anleiten bedeutet nicht, anderen Personen Befehle «Tue dies» und «Tue das» zu erteilen, sondern ihnen auch die nötigen Hilfestellungen zu geben – seien diese fachlicher oder mentaler Art.