Mensch & Arbeit

Selbstorganisation

Veränderungen nachhaltig durchführen

Ob man die persönliche Ernährung umstellen möchte oder die ganze Organisation im Unternehmen – für beides gelten die gleichen Regeln. Für nachhaltige Veränderungen müssen die rationale und die emotionale Seite in Einklang gebracht werden.
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Wer hat nicht schon ein Buch zum Thema Selbstorganisation, Diät oder Reorganisation des eigenen Lebens gelesen? Wer hat sich angesprochen gefühlt? Wer glaubt nach der Lektüre, er könne seine Zeit jetzt wesentlich besser einteilen, endlich seine drei überflüssigen Pfunde loswerden oder an Durchsetzungskraft gewinnen?

Bei über 75 Prozent der Leser bleibt der Wunsch nach Veränderung ein frommer Vorsatz. In der Regel verwässern sich die wertvollen Tipps und Tricks, die Verhaltensanweisungen sowie Ratgeber mit jedem Tag mehr. Im Kontext des Veränderungsmanagements ist das gelesene Wort sehr flüchtig und schafft es in der Regel nicht, eine nachhaltige Veränderung herbeizuführen. Warum das so ist, welcher Weg mehr Erfolg verspricht und wie sich dieses Wissen auf eine Organisation übertragen lässt, beschreibt dieser Artikel.

Bezug auf eine Einzelperson

Um die Frage nach nachhaltigen Veränderungen beantworten zu können, muss man wissen, wie der menschliche Verstand funktioniert. Der Mensch wird zu etwa 88 Prozent von seinem Unterbewusstsein gesteuert. Darunter fallen das Langzeitgedächtnis sowie Emotionen und Gefühle. Nur 12 Prozent seiner Hirnleistung wird von Denken und Planen, Analysieren und dem Kurzzeitgedächtnis belegt. Im Umkehrschluss bedeutet das: Der Mensch kann sich nicht gegen den übermächtigen Einfluss seines Unterbewusstseins wehren. Viele Entscheidungen fallen schon vor dem Aussprechen oder dem Bewusstwerden, der Zugang dazu ist allerdings oft verborgen. In der Umgangssprache sprechen wir in dem Fall von der Intuition oder vom Bauchgefühl. Studien zeigen: Das Bauchgefühl führt zu schnelleren und effizienteren Entscheidungen, die im Ergebnis oft besser sind als wohlüberlegte. Der Grund dafür sind unsere Erfahrungen. Sie werden im Unterbewusstsein abgespeichert und bei Bedarf abgerufen. Das ist Intuition. Die Mehrzahl der Manager baut auf sie, sagen Forscher, welche die unterschiedlichen Entscheider-Typen analysiert haben.

Komplexe Emotionssysteme

Eine mögliche Erklärung dafür liefern die Anlage sowie die Entwicklung des Menschen beziehungsweise im Wesentlichen seine Emotionen oder vielmehr: sein komplexes Emotionssystem. Emotionssysteme setzen sich aus vier Ebenen zusammen, die sich im Laufe der menschlichen Evolution entwickelt haben: Zu Beginn des Lebens beziehungsweise bei der Entstehung der ersten Zellen sind Emotionen ausschliesslich auf die körperlich-physische Ebene beschränkt. Hier geht es im Wesentlichen ums Überleben. Die zweite Ebene ist die wahrnehmende oder kognitive Ebene des Menschen. Im Zuge der Zellentwicklung entwickelt sich auch das Gehirn und die Zellen spezialisieren sich, etwa das Gehör, die Augen, die Wahrnehmung und Bewertung der Aussenreize.

Weitere Entwicklungen entstehen im Zusammenschluss von Gruppen. Ein Leben in der Gruppe bietet für das an sich egoistische Individuum erhebliche evolutionäre Vorteile. Die soziale Ebene unseres Lebens, also das Zusammenleben der Individuen in Gruppen, wird ebenfalls von Emotionssystemen bestimmt. Mit der Entwicklung der Sprache war der Mensch schliesslich in der Lage, sich mit abstrakten Themen auseinanderzusetzen. Besonders wichtig dabei war und ist die Beschäftigung mit der Zukunft, insbesondere mit Fragen nach der eigenen Existenz, der Macht des Schicksals und dem Weiterleben nach dem Tod. Ebenfalls die Struktur und die Inhalte dieser so­genannt gnostischen Ebene entstehen und entwickeln sich streng nach den inneren Spielregeln der Emotionssysteme.

Mit diesen Erkenntnissen wird deutlich: Emotionssysteme sind biologische Imperative. Das heisst, sie prägen und durchdringen unser Verhalten und unser Denken ganzheitlich. Unsere menschliche Kultur ist deshalb kein eigenständiges Phänomen, sondern wird von den Emotionssystemen entscheidend geprägt. Deshalb gilt es, die Emotionssysteme entsprechend zu würdigen und beim Durchführen von Veränderungen zu berücksichtigen. Bei der Betrachtung der Emotionssysteme ist es wichtig, zwei Begriffe ganz klar gegeneinander abzugrenzen: Emotionen sowie Gefühle. Diese Begriffe werden in vielen Fällen äquivalent eingesetzt, was nicht korrekt ist. Emotionen sind, wie oben beschrieben, eine menschliche Veranlagung und geprägt durch Erfahrungen. Emotionen spielen sich in unserem Unterbewusstsein ab und sind dadurch nicht kontrollierbar. Gefühle aber hingegen sind der Ausdruck unserer Emotionen in unserem Bewusstsein und dadurch mehr oder minder kontrollierbar.

«Planer» und «Macher»

Wir werden also zum Grossteil von Emotionen gesteuert. Bei genauer Betrachtung und nach gängiger Meinung von Psychologen arbeiten in unserem Gehirn zwei unabhängige Systeme: das Emotionssystem, das vorangehend beschrieben wurde, und sein rationaler Gegenspieler, auch bekannt als das reflektive oder das bewusste System. Dieser Teil denkt nach, analysiert und schaut in die Zukunft. Die unmittelbare Schlussfolgerung heisst: In unserem Gehirn wohnen zwei Seelen.

In den letzten Jahrzenten haben die Psychologen viel über diese beiden Systeme herausgefunden. Allerdings war sich die Menschheit dieser Spannung schon immer bewusst. Platon zum Beispiel sagte, wir hätten in unserem Kopf einen rationalen Wagenlenker, der ein wildes Pferd zügeln muss, das «sich auch mit Reitpeitsche und Stachelstock kaum bändigen lässt». Freud schrieb über das selbstsüchtige Es und das pflichtbewusste Über-Ich und über das Ich, das zwischen den beiden vermittelt. In jüngerer Zeit haben Verhaltensökonomen die beiden Systeme als «Planer» und «Macher» bezeichnet.

Ein wesentlich aussagekräftigeres Bild hat Jonathan Haidt gezeichnet. Er bezeichnet die emotionale Seite als einen Elefanten und die rationale Seite als seinen Reiter. Der Reiter, oben auf dem Elefanten, hält die Zügel und scheint der Lenker zu sein. Doch seine Kontrolle über den Elefanten ist unsicher, weil der Reiter im Vergleich zum Elefanten so klein ist. Jedes Mal, wenn sich der sechs Tonnen schwere Elefant und der Reiter uneinig sind, setzt sich der Elefant durch. Er, oder besser, unsere Emotionen sind stärker als unsere Ratio.

Basis für Veränderungen

Wenden wir diese Erkenntnisse nun auf unser Grundproblem an – nämlich: Wie lassen sich Veränderungen nachhaltig realisieren? Bedeutet das: Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir beide, Reiter und Elefant, in Einklang bringen. Nur wenn beide Teile ein gemeinsames Ziel verfolgen, kann der Mensch am Ende seine eignen Ziele oder die ihm vorgegebenen Ziele nachhaltig erreichen.

Beide Systeme auf einen einheitlichen Weg zu bringen und sich auf ein Ziel einzuschwören, verlangt Geduld und ein wenig Geschick. Und nicht zuletzt das Wissen um das Wie, das die Basis von erfolgreichen Veränderungen ist. Grundsätzlich gilt es drei Bereiche zu beachten:

1. Sie müssen das reflektive oder bewusste System ansprechen. Dies heisst: Sie müssen Ihrem Reiter den Weg weisen. Diesbezüglich haben sich folgende Massnahmen bewährt:

  • Zeigen Sie das Ziel auf. Eine Veränderung ist einfacher, wenn man weiss, wohin der Weg führt und warum es sich lohnt, ihn zu beschreiten.
  • Finden Sie heraus, was bisher funktioniert hat, und kopieren Sie es.
  • Definieren Sie die entscheidenden Schritte. Denken Sie nicht nur an das grosse Bild, sondern überlegen Sie, was konkret zu tun ist.

2. Sprechen Sie Ihre Emotionen an, oder einfacher gesagt, motivieren Sie den Elefanten.

  • Um eine Veränderung zu bewirken, reicht Wissen alleine nicht. Sorgen Sie dafür, dass die Menschen mit dem Herzen dabei sind.
  • Verkleinern Sie das Ausmass der Veränderung: Brechen Sie die Veränderung auf so kleine Einheiten herunter, dass sie dem Elefanten keine Angst einjagen.
  • Lassen Sie Ihre Mitarbeiter und Kollegen an ihren Aufgaben wachsen. Kultivieren Sie das Gefühl der Identität und unterstützen Sie damit das dynamische Selbstbild.

3. Ebnen Sie den Weg für einen Wandel, schaffen Sie eine Veränderungskultur:

  • Wenn sich die Situation ändert, verändert sich das Verhalten. Verändern Sie also die Situation.
  • Bilden Sie Gewohnheiten heraus: Wenn das Verhalten zur Gewohnheit wird, ist es «frei» – es belastet den Reiter nicht mehr. Finden Sie einen Weg, Gewohnheiten zu fördern.
  • Mobilisieren Sie die Herde: Verhalten ist ansteckend.

Fazit

Der Mensch ist weitaus komplexer als gedacht. Allerdings kann man Veränderungsvorhaben positiv beeinflussen, wenn man die Rahmenbedingungen kennt. Grundsätzliche Garantien für einen Erfolg gibt es nicht, mit den richtigen Massnahmen zur richtigen Zeit lassen sich indessen die Grundsteine für eine erfolgreiche Veränderung legen.

Ob Sie als Einzelperson Ihre Ernährung umstellen möchten oder ganze Organi­sationen und Teams verändern – es geht immer um den Menschen, um das Individuum, und es gelten für beide Vorhaben die gleichen Regeln. Für nachhaltige Veränderungen müssen die rationale und die emotionale Seite in Einklang gebracht werden.

Oder anders gesagt: Sie müssen die emotionale Seite des Elefanten und die rationale Seite des Reiters erreichen. Nur wenn sich beide gemeinsam auf den Weg machen, können Sie Veränderungen erfolgreich herbeiführen.

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