Mensch & Arbeit

Phantomängste

Unnötige Ängste verursachen hohe Kosten

Walter Krämer, Professor beim Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der technischen Universität Dortmund, spricht im Interview mit dem «KMU-Magazin» über Phantomrisiken und unnötige Ängste sowie die Kosten und andere gesellschaftliche Probleme, die diese verursachen.
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Herr Professor Krämer, was ist Ihrer Ansicht nach die Ursache von unnötigen Ängsten?

Die meisten modernen Ängste sind genetisch programmiert; vor einer Million Jahren in den afrikanischen Urwäldern und Savannen waren sie für die neue Spezies homo sapiens sogar überlebenswichtig. Vielleicht gab es auch damals schon Vertreter, die keine Angst hatten. Sie blieben, wenn der Säbelzahntiger nahte, einfach stehen. Und wurden aufgefressen. Das bedeutet, sie haben ihre Gene nicht vermehrt.

Wer hat ein Interesse daran, dass angstauslösende Nachrichten verbreitet werden?

Leider nur allzu viele. Das fängt bei einer ausufernden Sicherheitsindustrie an, geht über die Pharmaindustrie bis in die Politik.

Viele Behauptungen sind angeblich wissenschaftlich bewiesen, aber dahinter sind wirtschaftliche Interessen zu vermuten. Bei welchen Beispielen ist das nachweisbar?

Die Angst vor der Schweinegrippe wurde vor allem von der Pharmaindustrie geschürt, die sich daran eine goldene Nase verdiente. Und mit der Angst vor Terrorismus hat sich George Busch die Zustimmung der Amerikaner für das Eingreifen im Irak erschlichen.

Sie beschreiben in Ihrem Buch «Angst der Woche» auch reale Gefahren, z.B. dass Asteroiden auf die Erde fallen oder die Ansteckungsgefahr in Krankenhäusern? Warum interessieren sich die Menschen dafür weniger als für Panikmacherei wie z.B. im Fall von Dioxin in Fleisch oder Eiern?

Weil sich das Ausmass einer Gefahr und unsere Angst davor geradezu umgekehrt proportional zu verhalten scheinen. Hinter vielen wirklichen Gefahren kann man keinem Menschen als Verursacher dingfest machen, dann interessiert es auch die Medien nicht. Normale Menschen erschreckt ein Unfall mit 100 Toten weitaus mehr als 1000 Unfälle mit einem Toten.

Unsere Phantomängste kosten uns eine Menge Geld, z.B. die Massnahmen im Beispiel Dioxin. Kann man überhaupt berechnen, wie viel wir direkt und indirekt dafür bezahlen?

Ja, es gibt immer wieder Abschätzungen. Nach Aussagen amerikanischer Ökonomen hat etwa die völlig überflüssige Asbestsanierung öffentlicher Gebäude in den USA mehr Geld verschlungen als das jährliche Sozialprodukt von Portugal. Und mit dem Geld, das die seinerzeitige deutsche Verbraucherministerin Renate Künast für die Bekämpfung einer nie existierenden BSE-Gefahr zum Fenster rausgeworfen hat, könnten wir uns eine Universität vom Kaliber Harvard leisten.

Kontraproduktive Massnahmen, z.B. das DDT-Verbot, kosten Menschenleben. Wie verhindert man solche Aktionen?

Indem man den Leuten klarmacht, dass es keine Nullrisiko-Gesellschaft gibt. Wenn man ein Risiko bekämpft, erhöht man nur allzuoft ein anderes. Aber diese Einsicht ist zurzeit noch nicht allgemein verbreitet.

Sie erwähnen die CERN-Experimente und weisen auf Gefahren durch Strangelets hin. Darüber streiten die Wissenschaftler. Muss man dieses und ähnliche Experimente stoppen?

Ich habe das nur erwähnt als Beispiel für eine mikroskopisch kleine, völlig hypothetische Gefahr. Auf keinen Fall fordere ich damit ein Verbot von solchen Experimenten. Mit einer solchen Haltung würden wir heute noch Baumrinde essen und in Höhlen leben.

Ist es nicht so, dass Wahrnehmung von Gefahren sehr individuell ist, auch in Ihrem Buch? Beispielsweise erwähnen Sie eine Statistik, die behauptet, dass Haarefärben Blasenkrebs verursachen könnte. Warum soll diese Statistik richtiger sein als andere Statistiken über angeblich krebserzeugende Substanzen? Und wer beweist, dass der Krebs vom Haarefärben kommt?

In meinem Buch gibt es ein eigenes Kapitel über Sinn und Unsinn der Epidemiologie. Manchmal sind deren Erkenntnisse richtig, oft aber auch nur ein Artefakt von schlampig ausgewerteten Statistiken. Das kann man nicht alles über einen Kamm scheren, da muss man von Fall zu Fall genau hinsehen.

Ein anderes Beispiel: Fukushima. In Deutschland ist die Panik ausgebrochen und es wird eine kostspielige und problematische Energiewende geplant. In Ostasien hat man sich offensichtlich viel weniger darüber aufgeregt. Wie erklären Sie sich das?

Das Gleiche denken auch meine japanischen Schwiegereltern. Ich habe mich für uns Deutsche sehr geschämt. Wenn ich das nächste Mal nach Tokio fahre, werde ich mich als Schweizer ausgeben. Die Deutschen haben dort ihre Sympathien radikal verscherzt.

Es wird immer wieder über eine Anti-Atomkraft-Bewegung in Japan berichtet. Ist es richtig, dass das eine Minderheit ist?

Ja. Nach Aussage meiner Schwiegertochter sind das nur wenige Leute. Aber die werden immer wieder in den Medien interviewt.

Warum haben Menschen, die eine Gefahr unmittelbar erlebt haben weniger Angst davor, wieder ähnliches zu erleben als Menschen, die weit entfernt wohnen?

Genau deshalb: Weil sie die Grösse einer Gefahr besser einschätzen können. Und wissen, dass Übertreibungen eben Übertreibungen sind.

Die Medien verzerren meistens. Wie kann man erreichen, dass die Menschen in Europa wieder sachlicher informiert werden und vernünftig mit Gefahren umzugehen lernen?

Ein grosser Schritt in die richtige Richtung wäre schon, wenn die Medien nicht immer nur über die Existenz von Gefahren und Giften berichteten, sondern auch darüber, ab wann das Ganze für uns wirklich gefährlich wird. Dann fallen schon mal 9/10 aller Horrormeldungen in den deutschen Medien weg. Aber noch wichtiger wäre es, unser genetisch programmiertes Bauchgefühl abzuschalten und den Verstand in Gang zu werfen. Das ist schwerer, als man denkt.