Mensch & Arbeit

Betriebliches Gesundheitsmanagement

Stressfaktoren frühzeitig erkennen und intervenieren

Stress und einhergehende Erschöpfung zählen in der Arbeitswelt zu den grössten und dringlichsten Herausforderungen. Für Unternehmen gilt die Frage: Wie gelingt wirksame Stressprävention? Der folgende Beitrag skizziert einen Weg und zeigt, dass das Augenmerk auf die individuellen Stressfaktoren der Mitarbeiter zu richten ist.
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Überstunden, ständige Erreichbarkeit, enormer Zeitdruck, immer mehr Aufgaben im zunehmend schnelleren Takt – und das bei einer sich rasant wandelnden Arbeitswelt. Viele Mitarbeiter fühlen sich im Job wie in einem Hamsterrad. Sie sind gestresst, erschöpft, brennen aus. Innerhalb von zehn Jahren hat der Stress bei Erwerbstätigen in der Schweiz um 30 Prozent zugenommen, wie dem Job-Stress-Index-Bericht 2014 der Gesundheitsförderung Schweiz zu entnehmen ist.

Insbesondere Führungskräfte sind betroffen. Grund dafür ist unter anderem, dass bei der Besetzung von Führungsposition und bei der Qualifizierung immer noch viel zu wenig auf die emotionalen und sozialen Kompetenzen geachtet wird. Führungskräfte sind somit häufig auch einem psychischen Druck ausgesetzt – und das Ergebnis ist bekannt.

Kosten durch Fehlzeiten

Die volkswirtschaftlichen Folgekosten im Zusammenhang mit arbeitsbedingtem Stress sind immens und wurden schon vor zehn Jahren auf vier Milliarden Franken geschätzt. Aktuellere Zahlen gibt es derzeit keine. Aber die ständige Zunahme erschöpfter Mitarbeiter – der Job-Stress-Index zeigt an, dass rund ein Viertel aller Erwerbstätigen in der Schweiz ziemlich oder sehr erschöpft sind – lässt erahnen, dass die Kosten immer weiter steigen.

Direkte Arbeitsausfälle machen dabei nur ein Drittel der Stressschäden aus. Zwei Drittel sind auf Präsentismus zurückzuführen. Darauf machen Wissenschaftler wie Professor Dr. Holger Pfaff von der Universität Köln, Gründungsmitglied und Senior Consultant der Deutschen Gesellschaft für Stressmanagement, aufmerksam. Damit gemeint sind schleichende Produktivitätsverluste, verursacht von Mitarbeitern, die trotz stressbedingter Krankheit zur Arbeit erscheinen. Kurz: Die Unternehmen müssen hier handeln, damit ihre Mitarbeiter gesund und leistungsfähig bleiben. Den meisten Firmen ist dies auch bewusst. Doch die wenigsten wissen, wie sie das Thema richtig anpacken sollen. Welche Massnahmen sind zu ergreiffen, um dem arbeitsbedingten Stress vorzubeugen? Was verhindert die Totalausfälle von Mitarbeitern?

Strategischer Weitblick

Mit flexiblen Arbeitszeiten, dem Angebot von Entspannungskursen und dem Obstkorb am Arbeitsplatz ist es freilich nicht getan. Vielmehr ist strategischer Weitblick vonnöten: Sowohl in der Organisation liegende als auch individuelle Belastungsfaktoren müssen genau betrachtet werden, um Handlungsfelder erkennen und entsprechend agieren zu können. Wo kommt der Stress genau her? Wie stark beansprucht er den Mitarbeiter? Wenn beispielsweise viele Mitarbeiter über zu wenig Autonomie in der Arbeitssituation berichten, kann man das nicht einfach übergehen. Und wenn ein Grossteil der Mitarbeiter über bestimmte organisatorische Beeinträchtigungen klagt, muss der Arbeitgeber das als Ansatzpunkt betrachten, um gruppenspezifische Interventionsangebote anzubieten.

Wichtige Fragen sind zudem: Inwiefern macht der Mitarbeiter sich selbst Druck? Welche individuellen Ressourcen hat er, um mit den Belastungen umzugehen? Und erlebt er seine Arbeit eigentlich noch als sinnvoll? Stress ist letztlich ein sehr persönliches Thema. Und daher gilt es, die individuellen Stressauslöser und -auswirkungen herauszufinden. Um das zu ermöglichen, hat die Scheelen AG ein spezielles Testverfahren entwickelt. Mit dem Instrument «Relief» (Resilience & Resour-ces Energetic Level Individual Evaluating Feedback) können Unternehmen nicht nur messen, ob ein Mitarbeiter gestresst oder gar – akut wie langfristig – Burnout gefährdet ist, sondern auch dessen individuelles Stresserlebensmuster analysieren. Zudem werden die Prozesse, welche Stress bei einer Person begünstigen oder auch abfedern, unter die Lupe genommen.

Grundbedürfnisse erfüllt?

Mit diesem Werkzeug lässt sich unter anderem auch feststellen, ob psychische Grundbedürfnisse beeinträchtigt sind – etwa die Bindung zu anderen Menschen: Sich im Kreise seiner Kollegen wohl zu fühlen, ist für viele Menschen ein zentrales Element des psychischen Wohlbefindens. Auch Orientierung ist wichtig für die Mitarbeiter. Sie brauchen Ziele im Job sowie Transparenz bei ihren Aufgaben. Sind Strukturen und Prozesse beliebig, unkontrollierbar und unvorhersehbar, verspüren sie schnell eine innere Leere. Wer ausserdem wenig Einfluss auf die eigenen Tätigkeiten hat, sich oft fremdbestimmt fühlt, empfindet seine Arbeitssituation im Allgemeinen als belastend. Und wer als Mitarbeiter nur als Nummer betrachtet wird oder den Eindruck hat, dass seine Arbeitsleistung egal ist, ist häufig von Selbstzweifeln gequält – mit nachteiligen psychischen und körperlichen Effekten auf sein Wohlbefinden.

Jeder Mitarbeiter reagiert letztlich anders auf solche und andere psychischen Belastungen – sowohl auf kognitiver als auch auf emotionaler und physiologischer Verhaltensebene. Von Bedeutung sind vor allem die langfristigen Auswirkungen: Ein Rückzug und das nachlassende Engagement des Mitarbeiters, Leistungseinbussen und Veränderungen im Sozialverhalten wie beispielsweise der provozierende Umgang mit Kollegen sind Gift für jedes Unternehmen.

Persönliche Stressantreiber

Oft verstärken Mitarbeiter ihren Stress aufgrund bestimmter kognitiver sowie emotionaler innerer Antreiber noch zusätzlich. Konkret: Sie begegnen den beruflichen Situationen mit langfristig gelernten Denkmustern beziehungsweise inneren Glaubenssätzen, die in der Regel stressverstärkend sind. (Näheres zu diesen Glaubenssätzen / demotivierenden Stressdynamiken siehe Kasten.) Für die Mitarbeiter ist es äusserst wichtig, dass diese ihre eigenen stress- und konfliktsteigernden Denk-, Fühl- sowie Verhaltensmuster kennen. Nur dann können die Mitarbeiter gegensteuern – wobei das Unternehmen ihnen mit Coachings zur Seite stehen sollte.
 
Umgekehrt können Mitarbeiter über individuelle Ressourcen verfügen, die ihnen ermöglichen, Stress gut zu bewältigen. Wie stark diese Resilienz ausgeprägt ist, fliesst ebenfalls in die Stressanalyse ein, genauso wie das sogenannte Coping. Dabei handelt es sich um verschiedene Strategien, die helfen, mit den Arbeitsanforderungen umzugehen, damit sie erst gar nicht zu Stressoren werden. Über je mehr erfolgreiche Strategien man verfügt und je häufiger man sie anwendet, desto besser kann den Anforderungen begegnet werden. Insgesamt spielen vier Coping-Strategien eine Rolle:

  1. sich den Herausforderungen stellen und die Brisanz einer Situation nicht leugnen
  2. den eigenen Beitrag reflektieren und Veränderungen aktiv angehen
  3. sich selbst realistische Ziele setzen und diese erreichen wollen
  4. an sich selbst glauben versus eigene
  5. Fähigkeiten unterschätzen, Fehler fürchten

Motivationskiller

Zudem sind der Führungsstil des direkten Vorgesetzten, die Perspektiven am Arbeitsplatz, die Motivation durch Kollegen und die Identifikation des Mitarbeiters mit seinem Arbeitgeber unter die Lupe zu nehmen. Denn die Motivation, die Mitarbeiter von aussen erfahren – von dritten Personen oder auch aufgrund unternehmensinterner Massnahmen –, ist bei der  Stressbewältigung ebenfalls von grosser Bedeutung. Die Führungskraft spielt hier oft die Schlüsselrolle. Mitarbeitende, die sich von ihrem Chef nicht verstanden, gefördert, wertgeschätzt oder gar falsch eingesetzt fühlen, stehen unter einer stärkeren Stressbelastung als jene, die mit ihrem Vorgesetzten zufrieden sind. Und auch Kollegen, die mobben oder nicht funktionierende Teams führen zu psycho-sozialem Stress.

Die Sinnfrage knüpft sich hier eng an. Denn das soziale Umfeld trägt dazu bei, dass man sich jeden Tag wohl fühlt bei der Arbeit – oder eben auch fehl am Platz. Wenn Mitarbeiter nicht einfach so sein können, wie sie sind, und von den Kollegen nicht akzeptiert werden, fördert das in keiner Weise ihr Sinnerleben bei der Arbeit und raubt zusätzliche Energie. Daher umfasst die Stressanalyse auch die Sinndimension. Neben dem Faktor des sozialen Miteinanders ist dabei der Faktor Arbeitsinhalt und eigene Einstellung bei unveränderlichen Situationen aufgenommen. Kann der Mitarbeiter sich mit den Kernaufgaben seiner Arbeit identifizieren? Macht sie ihm Spass? Weiss er, wofür, wozu er die Arbeit tut? Auch der monetäre Anreiz spielt mithinein, weil sich viele Menschen durch Geld motivieren lassen, eine Tätigkeit weiterzuführen, obwohl diese aus Sicht der Mitarbeitenden nicht sehr sinnerfüllt ist.

Analysieren und intervenieren

Das Wissen um die individuellen Verhaltensmuster und Stressantreiber, aber auch um die Ressourcen der Mitarbeiter ist für die Unternehmen von grossem Wert. Denn dieses liefert – ebenso wie das Wissen über die organisationalen und psychosozialen Belastungen – klare Hinweise für ein zielgerichtetes betriebliches Gesundheitsmanagement sowie konkrete Ansätze für eine unterstützende Personal- und Organisationsentwicklung. Geben beispielsweise in einer Abteilung mehrere Mitarbeiter an, dass ihre Führungskraft sie demotiviert –, dann hat das Unternehmen schon einen konkreten Anhaltspunkt, um zu intervenieren. Durch solche und weitere Hinweise, die den Firmen in Form eines ausführlichen Auswertungsreports gegeben werden, sind diese in der Lage, passgenaue Interventionen für ihre Führungskräfte und Mitarbeiter wie etwa Coachings und organisationale Änderungen zu entwickeln. So kann die Resilienz gestärkt sowie Stress und Burnout vorgebeugt werden.

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