Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz geht davon aus, dass europaweit rund 60 Prozent aller Fehlzeiten auf beruflichen Stress zurückgehen und bereits jeder dritte Mitarbeiter mit den Symptomen eines Burnouts kämpft. Umgekehrt amortisiert sich jeder Franken, der in die systemische Schulung von Führungskräften investiert wird, 18-fach. Für Unternehmen rechnet sich ein gut gesteuertes betriebliches Gesundheitsmanagement knallhart: Zeit also, sich diesem Erfolgsfaktor anzunehmen – nur wie?
Führungskräfte können Teil der Lösung oder Teil des Problems sein und sind in doppelter Hinsicht von dem Thema Burnout betroffen: Einerseits sind sie als Leistungsträger mit hohem Engagement selber gefährdet und auf der anderen Seite tragen sie Mitverantwortung für die seelische Gesundheit und Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter. Neben den bekannten Strategien der Verhaltens- und Verhältnisprävention können folgende Tipps aus der systemischen Lösungsfokussierung dazu beitragen, dass Mitarbeiter ihr Brennen für die Sache behalten – ohne auszubrennen.
1. Gutes Hinhören als Führungsqualität Nr. 1
Stress wird immer dann ausgelöst, wenn die Bedürfniserfüllung als gefährdet erscheint: Zum Beispiel das Bedürfnis nach Ruhe, Sinn oder Wertschätzung. Leider überhören Führungskräfte oft die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter, weil sie sich nicht in Zugzwang bringen wollen oder sich keine Zeit zum aufmerksamen Hinhören nehmen.
Gesundes Führen bedeutet jedoch, die Bedürfnisse des Mitarbeiters zu hören, aber nicht unbedingt, sie immer und gleich erfüllen zu müssen. Nur wenn es den Bedürfnissen des Unternehmens dienlich ist, können individuelle Bedürfnisse erfüllt werden – sonst nicht. In diesem Fall zeigt bereits das aufmerksame Zuhören eine hohe Wertschätzung und kennzeichnet einen empathischen Führungsstil. Eine Führungskraft eines internationalen Unternehmens sagte einmal den schönen Satz: «Ich kann eigentlich nichts als genau zuzuhören!» Das schien auszureichen, weil sowohl seine innovative Abteilung sehr erfolgreich war als auch der Krankenstand und die Fluktuation sehr niedrig.
2. Balance der Bedürfnisse
Ein «empathischer Führungsstil» ist gekennzeichnet durch Führen ohne Angst, Strafe und Scham, sondern mit Empathie und klaren Ansagen. Empathische Führung heisst, genau herauszufinden, welche Bedürfnislage jeder Mitarbeiter hat und durch welche Strategie er Bedürfniserfüllung erfährt: Der eine erlebt eine Wertschätzung durch ein «Danke», der andere durch ein eigenverantwortliches Projekt und der Dritte braucht eine Gehaltszulage. Motivierte Mitarbeiter bleiben loyal zum Unternehmen, weil sie dort die meisten Chancen sehen, ihre individuellen Bedürfnisse zu erfüllen. Sie können ihre Bedürfnisse und Werte gut mit denen des Unternehmens synchronisieren. Wenn Führungskräften diese Moderation der unterschiedlichen Bedürfnislagen achtsam gelingt, dann haben sie wesentlich zu einem gesunden Unternehmen beigetragen.
3. Wertschöpfung durch Wertschätzung
Eine überaus wirkungsvolle Übung für Führungskräfte ist es, einen Mitarbeiter pro Tag gedanklich wertzuschätzen: Was genau bringt dieser Mensch in die Arbeit ein? Allein diese Gedankenübung ändert bereits spürbar die Haltung zu den Mitarbeitern – auch wenn man diese wertschätzenden Gedanken nicht einmal auszusprechen braucht.
Führungskräfte sollten sich ausserdem bewusst machen, dass jede ihrer Stärken der potenzielle Eintritt in ein Burnout bedeuten kann: Nehmen wir zum Beispiel die Hilfsbereitschaft und ein hohes Mass an Verantwortungsbewusstsein. Wenn diese beiden Stärken nicht gepaart sind mit einer gesunden Abgrenzung, dann fehlt die antagonistische Balance, was auf die Dauer zum Ausbrennen führen kann. Zur wertschätzenden Führungsverantwortung gehört darum also, einen Blick für die «Antagonisten» zu haben und dadurch Mitarbeiter und Arbeitsprozesse zu schützen.