Zugluft, Allergien auslösende Chemikalien, ohrenbetäubender Lärm – solche «Krankmacher» am Arbeitsplatz können Unternehmen leicht identifizieren. Hierfür müssen nur Experten die Werkshallen oder Büroräume inspizieren und schon ist klar: Das sind die Krankmacher. Ähnlich verhält es sich bei den meisten Arbeitsunfällen. Quetscht sich ein Produktionsmitarbeiter beim Stanzen die Hand, ist sofort klar, wodurch der Unfall verursacht wurde. Also können auch Gegenmassnahmen ergriffen werden.
Druck nimmt zu
Anders sieht es bei den psychischen Erkrankungen aus, deren Häufigkeit, wie zahlreiche Studien belegen, Jahr für Jahr steigt. Bei diesen Erkrankungen lassen sich die Ursachen meist schwer ermitteln. Als Hauptursache wird oft der steigende Stress am Arbeitsplatz identifiziert. Diese Diagnose trifft gewiss häufig zu – unter anderem,
- weil heute in vielen Betrieben weniger Arbeitnehmer dieselbe oder gar eine grössere Arbeitsmenge als früher bewältigen müssen und
- weil aufgrund des erhöhten Wettbewerbs und des rasanten technischen Fortschritts die Arbeitsanforderungen an die Mitarbeiter sich immer schneller ändern.
Hinzu kommt: Die Beziehungen vieler Unternehmen zu ihren Mitarbeitern wurden fragiler, was sich auch in der erhöhten Zahl von Leiharbeitern sowie Mitarbeitern mit Zeitverträgen niederschlägt. Auch dies erhöht den psychischen Druck, der auf vielen Arbeitnehmern lastet. Mit dieser Diagnose allein kommen Unternehmen, wenn es um das Wahren oder gar Fördern der Gesundheit ihrer Mitarbeitenden geht, aber nicht weit – unter anderem, weil sich in den veränderten Arbeitsanforderungen und in der veränderten Arbeitsorganisation auch Markt-erfordernisse widerspiegeln. Was eine Person jedoch als Stress erlebt, ist sehr subjektiv. Denkt zum Beispiel der eine Mitarbeitende, wenn er eine neue Aufgabe erhält: «Toll, jetzt kann ich mich beweisen», gerät ein anderer in Panik und denkt: «Das schaffe ich nie.»
Nicht nur berufliche Ursachen
Solche individuellen Denk- und Verhaltensmuster spielen beim Stressempfinden eine wichtige Rolle. Und diese zeigen die Mitarbeiter ausser am Arbeitsplatz auch zu Hause, weil sie ein Teil beziehungsweise ein Ausdruck ihrer Persönlichkeit sind. Deshalb ist, wer im Beruf schnell gestresst ist, auch privat nur selten ein ruhender Pol. Und wer zu Kollegen nie «Nein» sagen kann? Dem fällt es in der Regel auch privat schwer, Grenzen zu ziehen. Berufliches und Privates lassen sich folglich nur schwer trennen, wenn es um den Krankmacher «Stress» geht.
Deshalb kommen Unternehmen beim Versuch, beispielsweise ein Überlastet-sein ihrer Mitarbeiter zu vermeiden mit der klassischen betrieblichen Gesundheitsprävention, die sich primär auf das gesundheitsgerechte Gestalten der Arbeitsplätze konzentriert, allein nicht weit. Sie müssen den Menschen als Ganzen im Blick haben.
Dies ist auch nötig, weil, wenn Mitarbeiter an ihre Belastungsgrenzen stossen und zum Beispiel ein Burn-out droht, zumeist gilt: Die Ursachen hierfür liegen zwar auch im Arbeitsbereich, doch nicht nur. Daneben gibt es weitere Faktoren, die zur Überlastung führen. Da ist zum Beispiel die Controllerin bei einem Telekommunikationsunternehmen, die seit Jahren unter Schlafstörungen leidet – auch weil sie nicht den gewünschten Lebenspartner findet. Oder da ist der Salesmanager und Vater zweier Kinder, der in der Regel nur am Wochenende zu Hause ist, weshalb es in seiner Ehe kriselt. Oder da ist die Marketingfachfrau, deren Mutter einen Schlaganfall erlitt und einer intensiven Pflege bedarf. Bei all diesen Personen hat die Überforderung auch berufliche Gründe, doch nicht nur.