Mensch & Arbeit

Burnout

Plädoyer für eine gelebte Selbstbestimmung

Über einen längeren Zeitraum jenseits der Leistungsgrenze zu agieren, kann in eine Sackgasse führen. Aus eigener Erfahrung beschreibt der Autor, was passiert, wenn das Licht am Ende des Tunnels dunkler wird, und wie Selbstbestimmung ein Burnout verhindern kann.
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Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie erwachen nachts und Ihr Kopf ist völlig klar. Sie sind wach und die Gedanken drehen sich nur um ihre Probleme. Sie können an nichts mehr anderes denken und jeder Blick auf den Wecker zeigt, dass Sie eigentlich dringend schlafen sollten. Doch es nimmt kein Ende, im Gegenteil, die Probleme werden präsenter und Sie versuchen – da Sie ja eh nicht schlafen können – die Zeit wenigstens für den einen oder anderen Lösungsansatz einzusetzen. Irgendwann schlafen Sie wieder ein, um kurz darauf vom Wecker aus dem Reich der Träume geholt zu werden. Sie erwachen und sind sehr, sehr müde.

Das alleine ginge ja, aber die Last der Probleme ist über Nacht leider nicht verschwunden und drückt Ihre Stimmung. Es geht Ihnen nicht gut und eigentlich würden Sie am liebsten im Bett bleiben. Da Sie das nicht können, kämpfen Sie sich auf und gehen arbeiten. An der Arbeit angekommen, starten Sie Ihren PC. Schon beim Anblick des startenden Mailprogramms zieht sich ihr Magen zusammen und es wird Ihnen ganz anders. Sie haben Angst vor dem, was wohl über Nacht per Mail in Ihrem Posteingang gelandet ist… und Sie sind sich bewusst, dass das erst die ersten Minuten der Arbeit waren und dass diese Arbeit noch den ganzen Tag dauern wird. Und am Abend sollen Sie noch mit Freunden essen gehen, wozu Sie eigentlich gar keine Lust haben.

Jenseits der Leistungsgrenze

Solche Situationen sind es, die uns über die eigenen Leistungsgrenzen hinaus beschäftigen. Es kommt in der heutigen Zeit nicht selten vor, dass jemand über diese Grenzen hinaus gefordert ist. Meistens ist dies aber für eine gewisse Zeit und das Licht am Ende des Tunnels dient als Orientierung und Motivation. Bei denjenigen, die kein Licht sehen, droht ein Absturz, denn kein normaler Mensch ist in der Lage, solche Belastungen über längere Zeit durchzustehen. Die grosse Frage ist also, was in solchen Situationen gemacht werden kann. Und hier ist guter Rat tatsächlich teuer.

In grösseren Firmen darf die Verantwortung zur Erkennung und zum Handeln den Vorgesetzten übertragen werden. Wenn sie Mitarbeitende in einem solchen Zustand wahrnehmen, dann müssen sie aktiv werden. Dies bedingt aber, dass die Vorgesetzten sich mit ihren Mitarbeitern beschäftigen, was nicht immer gegeben ist. Weiter ist das soziale Umfeld gefordert, hier einzugreifen. Beides ist aber nicht ganz einfach, denn der erste Schritt zur Besserung ist die Einsicht. Ist diese nicht gegeben, dann bleiben nur noch Zwangsmassnahmen, um einen grösseren Schaden zu vermeiden. Problematischer wird es, wenn die betroffene Person selbstständig erwerbend oder zuoberst in der Hierarchie steht. Eigentlich gibt es bei Topmanagern ja noch einen Verwaltungsrat, der eingreifen könnte. Nur sieht dieser das Management in den meisten Firmen nur alle paar Wochen. Und in der kurzen Zeit der gemeinsamen Sitzungen eine gefährliche Überlast zu erkennen, ist schwierig oder Glückssache.

Handlungsbedarf erkennen

Es kann also festgehalten werden, dass das Erkennen von Burnout-Kandidaten bei Angestellten wahrscheinlicher ist (was noch nicht bedeutet, dass auch gehandelt wird). Steht jemand zuoberst auf der Leiter oder ist jemand sein eigener Chef, dann ist das soziale Umfeld gefordert. Und es kann festgehalten werden, dass Selbsterkenntnis der zentrale Schritt aus dieser Spirale heraus ist. Das Problem der rettenden Selbsterkenntnis ist aber, dass die betroffenen Personen meist der Ansicht sind, dass es ohne diesen Einsatz nicht geht. Die Firma – so scheint es aus Sicht dieser Personen – würde Schaden nehmen, wenn sie nicht mit diesem Engagement und Idealismus arbeiten. Dazu kommt die Gewissheit, dass bei den meisten Fällen mit einem Burnout auch ein Karriereknick einhergeht.

Es benötigt also viel Kraft und meist ein einschneidendes Erlebnis, um den Handlungsbedarf auch wahrhaben zu wollen. Ist der Moment erreicht, wo die Erkenntnis Oberhand gewonnen hat, dann gilt es, richtig zu handeln. Meistens mündet eine solche länger dauernde Überlastung in einer Arbeitsabwesenheit.

Es gibt Fälle, da reichen vier bis sechs Wochen gezielten Wiederaufbaus und es gibt Fälle, da sind es neun bis 18 Monate oder länger. In dieser Zeit muss die betroffene Person zur Erkenntnis kommen, was schiefgelaufen und was im Leben zu ändern ist. Aufgrund des befürchteten Karriereknicks gibt es heute Angebote zur Begleitung während des normalen Berufsalltages. So kann, natürlich mit wichtigen Änderungen, weitergearbeitet werden, ohne dass das Umfeld Kenntnis davon erlangt. Das ist jedoch nur möglich, wenn die Überlast früh erkannt und schnell Gegensteuer gegeben wird. Bei Fällen wie dem einleitend beschriebenen ist dies nicht mehr möglich. Dann gilt es, mit fremder (meist ärztlicher) Hilfe wieder auf die Beine zu kommen.

Alarmsignale

Wieder auf den Beinen ist es unabdingbar, ein Warnnetz zur Vermeidung eines Rückfalls aufzubauen und einen Ausgleich zur Arbeit zu etablieren. Dasselbe Warnnetz ist übrigens auch zur Vermeidung eines ersten Burnouts anzuwenden. Wesentliche Warnsignale sind besagte Schlaflosigkeit, getrübte Stimmung, kein Spass an Freizeitaktivitäten, gepaart mit einem hohen Arbeitsengagement und final die schwindende Freude an der Arbeit. Über kurze Zeit ist das meist nicht gefährlich, über längere Zeit darf es nicht (mehr) vorkommen.

Das wichtigste Instrument zur Vermeidung eines Burnouts ist ein intaktes soziales Umfeld, denn Wegsehen geht gar nicht. Neben der Verantwortung der Familien und Freunde der Betroffenen sind aber auch die Firmen gefordert, Verantwortung zu übernehmen. Heute gehört Burnout-Prävention auf die Tagesordnung jeder Geschäftsleitung. Es haben sich Instrumente wie Home-Office-Tag, Sabbatical, unbezahlter Urlaub, etc. etabliert, die helfen, Last abzubauen. Und ganz nebenbei: Die Stellvertretung bei Abwesenheit gibt es immer noch.

Eigenverantwortung

Abschliessend darf also gesagt werden, dass die Verantwortung zur Vermeidung eines Burnouts bei jedem selbst liegt. Jede Person entscheidet selbst, in welcher Stelle sie arbeiten will, wie hoch die Arbeitslast sein darf, wie lange die Erreichbarkeit per Mobile oder Mail akzeptabel ist und ob in den Ferien das Firmentelefon mit und die Erreichbarkeit per Mail gewährleistet sein muss. Vielleicht muss man den einen oder anderen Menschen einfach wieder einmal daran erinnern. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie kommen abends nach Hause und schalten das Mobile ab. Danach geniessen Sie die Zeit mit Ihrer Familie und gehen irgendwann entspannt schlafen. Am Morgen arbeiten Sie das auf, was über Nacht eingegangen ist (falls Sie über Zeitzonen hinweg arbeiten, ist ein Mailcheck vor dem Schlafengehen und ein Antworten für jetzt noch auf Sie wartende Kollegen völlig in Ordnung). Vor den Ferien übergeben Sie die wichtigsten Arbeiten Ihrer Stellvertretung, die in der Out-of-the-Office-Meldung vermerkt ist. Ihr Mobile liegt die ganze Zeit über zu Hause und die Combox ist so eingerichtet, dass man nichts darauf hinterlassen kann, dafür aber die Koordinaten der Stellvertretung erfährt. Die Stellvertretung weiss, dass sie bei allfälligen Eskalationen nachfragen soll, ob man Sie im Urlaub deshalb stören muss. Da dies in den wenigsten Fällen notwendig ist, geniessen Sie Ihren Urlaub und kommen erholt nach Hause. Von den unzähligen Mails im Posteingang hat sich ein nicht unwesentlicher Teil selbst erledigt. Für den Rest haben Sie sich schon vor dem Urlaub den ersten Arbeitstag eingeplant und können so aufarbeiten, was liegen geblieben ist.

Beide Szenarien entsprechen der Realität. Derjenigen des Autors.

Porträt