Exkurs Kompetenzmodelle
Die Personalabteilungen vieler Unternehmen setzen oftmals kompetenzenbasierte Modelle ein. Mithilfe von Bedarfsanalysen werden die Anforderungen an die verschiedenen Aufgaben und Positionen ausfindig gemacht. Daraus werden dann die erwünschten Kompetenzen abgeleitet. Die so festgelegten Kompetenzen können schliesslich für die Personalauswahl oder für die interne Personalförderung eingesetzt werden und stellen für das Unternehmen ein ideales Instrument dar. Als Nachteil soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass dieses Modell eher statisch ist und das Verhalten am Arbeitsplatz wenig beziehungsweise gar nicht berücksichtigt wird.
Da dieser Bericht vor allem an Kader und Fachkräfte gerichtet ist, wird die Limitierung des Kompetenzmodells als Exkurs hier erwähnt. Für die individuelle Karriereplanung werden nachfolgend ganz andere und umfassendere Entwicklungsmöglichkeiten vorgestellt.
Auch heute noch dominiert die auf Eigenschaften und Faktoren basierende Theorie – wie sie ursprünglich von Parsons entwickelt wurde – weitgehend, und es scheint als unwahrscheinlich, dass eine vereinheitlichte Berufswahltheorie entwickelt werden kann. Aus diesem Grund wurden in den vergangenen Jahren unterschiedliche neue Theorien und Thesen entworfen, um Menschen in der heutigen hochkomplexen Wirtschaftswelt Orientierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten zu geben.
Gravitationshypothese
Für das Verständnis dieser These wird das Wort Gravitation am besten mit «Anziehen» oder noch klarer mit «zu welchen Stellen zieht es Menschen hin» gedeutet. Die Gravitationsthese besagt, dass Menschen sich nicht nur für Stellen bewerben, für welche sie die Fähigkeiten besitzen, sondern auch für solche, mit denen ihre persönlichen Werte gut übereinstimmen. Die Bewerbenden werden also nicht nur durch die in den Stelleninseraten beschriebenen Fähigkeiten und Kompetenzen angezogen, sondern auch von den von den Firmen propagierten Werten. Aber auch die Firmen schauen darauf, dass ihre künftigen Mitarbeitenden die gewünschten Werte und Normen erfüllen und somit «passen». So sozialisieren sich die Firmen über die Jahre mit Menschen mit ähnlichen Werten, Normen und Überzeugungen und so etabliert sich über die Jahre die Firmenkultur. Diese Sozialisierung geht aber noch weiter, sie wird dazu führen, dass Mitarbeitende, denen die Firmenkultur nicht mehr zusagt, das Unternehmen verlassen werden. Die Unternehmenskultur wird durch diesen Effekt über die Jahre immer einheitlicher und konsistenter. Das hat viele Vorteile, kann aber in Veränderungssituationen erhebliche Nachteile haben.
Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Kauffrau, die Zahlen mag und den Umgang mit Menschen sowie Freude an einem Haus mit Garten hat, fühlt sich als Angestellte in einer Bank bestimmt gut aufgehoben. Hingegen wird ein ökologisch orientierter Informatiker viel eher eine Stelle in einem Unternehmen annehmen, welches nachhaltige Energiesysteme erzeugt, als dass er sich auf eine Stelle in der IT-Abteilung einer Bank bewirbt.
Karriere-Konstruktion
Mark Savickas, einer der führenden Forscher im Bereich Laufbahnentwicklung, entwickelte die «Career Construction Theory», die auf 16 unterschiedlichen Annahmen beruht. Diese wiederum beziehen sich auf folgende drei Kernthemen: dem persönlichen Umfeld, in dem die Person aufgewachsen ist, dem beruflichen Selbstkonzept und den für die «Konstruktion» der Karriere notwendigen Entwicklungsaufgaben. Das berufliche Selbstkonzept entsteht vor allem durch das im Verlauf der Jahre erworbene Wissen, durch Selbstreflexion und durch Rückmeldungen von anderen Menschen.
Mit dieser Theorie erklärt Savickas vor allem die ganz unterschiedlichen Einflussfaktoren, welche die Entwicklung der Karriere einerseits beeinflussen, beziehungsweise welche herausfordernden Entwicklungsschritte von Veränderern geleistet werden müssen, um ihre Karriere zu konstruieren. Vor allem die Entwicklung des Selbstkonzepts ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Durch Stellenwechsel werden neue Tätigkeiten und Aufgaben entdeckt und dadurch neue Erfahrungen gesammelt. Dabei sind die «Feedbacks» anderer Personen und die laufenden Selbstreflexionen wichtige Erfolgskomponenten für die Entwicklung des Selbstkonzepts.
Lebensgestaltung
Die Herausforderungen im 21. Jahrhundert für Berufsveränderer sind weiter gestiegen. Dies veranlasste Savickas und Kollegen, ein neues Konzept für die Karrierekonstruktion zu entwerfen. Um der globalisierten Berufsberatung gerecht zu werden, wurde die «Life Design International Research Group» mit Vertretern aus der EU, der Schweiz und den USA gegründet. Dieser Entwicklungsansatz ist umfassender und komplexer und beruht auf fünf Annahmen. Dazu gehören die sich rasch verändernden Umfeldbedingungen (zum Beispiel durch die Globalisierung und technische Entwicklungen), dynamische Prozesse, nichtlineares Vorgehen, unterschiedliche Perspektiven und persönliche Verhaltensmuster. Diese neuen Annahmen zeigen deutlich, dass die altgedienten «statischen» Theorien über Berufswahl und Laufbahnentwicklung ausgedient haben.
Schlussfolgerungen
Die klassische Berufsberatung hat sich von einer statischen Analyse von Eigenschaften und Faktoren zu dynamischen prozessorientierten Methoden wie Gravitationshypothese, «Career Construction» oder «Life Designing» entwickelt. Im Zentrum solcher Prozesse steht die Interaktion von Menschen mit der immer komplexer werdenden ökonomischen und sozialen Umwelt. Durch den aktiven und gewollten Austausch von Veränderern mit ihren Umwelten lassen sich neue und individuelle Lösungen ausarbeiten. Bestmögliche Resultate in solchen Prozessen können mit der Hilfe von «Fremdgehirnen» von aussenstehenden neutralen Laufbahncoaches erzielt werden. Coachingprozesse lassen in der Regel auch viel Raum für ein dynamisches, nicht lineares Vorgehen, für Selbstreflexionen und Perspektivenwechsel zu.