Mensch & Arbeit

Karriereentwicklung

Methoden für die Karrieregestaltung

Die klassische Berufsberatung hat sich von einer statischen Analyse von Eigenschaften und Faktoren zu dynamischen, prozessorientierten Methoden entwickelt, in deren Zentrum die Interaktion von Menschen mit der immer komplexer werdenden ökonomischen und sozialen Umwelt steht. Dieser Beitrag skizziert Konzepte für die Karrierekonstruktion.
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Während in der Vergangenheit oft angenommen wurde, dass die Verantwortung der Karriereentwicklung bei den Arbeitgebern liegt, so hat sich in den vergangenen Jahren deutlich gezeigt, dass die Verantwortung für die Karriereentwicklung und die Arbeitsmarktfähigkeit bei all jenen Menschen selbst liegt, welche beruflich aktiv bleiben wollen.

Der Weg zum Karrierecoaching  

Ein kurzer Rückblick: Die Forschung im Bereich der Berufsberatung begann im Jahr 1909 mit Frank Parsons, der eine auf persönlichen Eigenschaften und Faktoren basierende Theorie entwickelte. Die später weiterentwickelten Theorien beruhten weitgehend auf diesen Ansätzen. Eine neue Richtung wählte dann John L. Holland mit seinem Hexagon-Modell – das erfolgreichste und bis heute meist angewendete Modell (Abbildung). Hollands Idee war ein Sechseck, wobei jede Ecke einem beruflichen Umfeld beziehungsweise Berufsprofil zugeordnet wurde.

Holland definierte die folgenden Berufsprofile: das praktisch-technische, intellektuell-forschende, soziale, unternehmerische und konventionelle wie zum Beispiel das kaufmännische Berufsprofil. In der klassischen Berufsberatung werden Persönlichkeits- und Fähigkeitsfaktoren von Menschen charakterisiert und anschliessend nach der besten Passung mit einem Berufsprofil gesucht.

Ein weiteres, häufig eingesetztes Instrument ist der Karriereanker von Edgar Schein, welchen er in den 1980er-Jahren entwickelte. Anstelle von Berufsprofilen wählte Schein verschiedene Karriereanker. Schein fand bei seinen Forschungsarbeiten am MIT in Boston acht unterschiedliche Karriereanker, die folgende Leitthemen abbilden:

  • Fachkompetenz
  • Führungsqualitäten
  • Autonomie / Unabhängigkeit
  • Sicherheit / Stabilität
  • Unternehmerische Kreativität
  • Engagement für eine Sache
  • oder eine Idee
  • Totale Herausforderung
  • Lebensstilintegration

Scheins Forschung über Wirtschafts- und Managementkarrieren hat ergeben, dass die meisten Menschen mit diesen Karriereankern beschrieben werden können, wobei einer dann die Hauptausprägung bildet. Das Modell von Schein beruht vor allem auf persönlichen Werten und ist deshalb wesentlich flexibler und allgemeiner, und nicht auf starre Berufsfelder oder bestimmte Fähigkeiten ausgerichtet. Insbesondere der Karriereanker Lebensstilintegration ist aktuell ein sehr beliebter Wert, denn für immer mehr Menschen ist eine gute Arbeitsstelle genauso wichtig wie ihre familiären oder persönlichen Interessen.

Exkurs Kompetenzmodelle

Die Personalabteilungen vieler Unternehmen setzen oftmals kompetenzenbasierte Modelle ein. Mithilfe von Bedarfsanalysen werden die Anforderungen an die verschiedenen Aufgaben und Positionen ausfindig gemacht. Daraus werden dann die erwünschten Kompetenzen abgeleitet. Die so festgelegten Kompetenzen können schliesslich für die Personalauswahl oder für die interne Personalförderung eingesetzt werden und stellen für das Unternehmen ein ideales Instrument dar. Als Nachteil soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass dieses Modell eher statisch ist und das Verhalten am Arbeitsplatz wenig beziehungsweise gar nicht berücksichtigt wird.

Da dieser Bericht vor allem an Kader und Fachkräfte gerichtet ist, wird die Limitierung des Kompetenzmodells als Exkurs hier erwähnt. Für die individuelle Karriereplanung werden nachfolgend ganz andere und umfassendere Entwicklungsmöglichkeiten vorgestellt.

Auch heute noch dominiert die auf Ei­genschaften und Faktoren basierende Theorie – wie sie ursprünglich von Parsons entwickelt wurde – weitgehend, und es scheint als unwahrscheinlich, dass eine vereinheitlichte Berufswahltheorie entwickelt werden kann. Aus diesem Grund wurden in den vergangenen Jahren unterschiedliche neue Theorien und Thesen entworfen, um Menschen in der heutigen hochkomplexen Wirtschaftswelt Orientierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten zu geben.

Gravitationshypothese

Für das Verständnis dieser These wird das Wort Gravitation am besten mit «Anziehen» oder noch klarer mit «zu welchen Stellen zieht es Menschen hin» gedeutet. Die Gravitationsthese besagt, dass Menschen sich nicht nur für Stellen bewerben, für welche sie die Fähigkeiten besitzen, sondern auch für solche, mit denen ihre persönlichen Werte gut übereinstimmen. Die Bewerbenden werden also nicht nur durch die in den Stelleninseraten beschriebenen Fähigkeiten und Kompe­tenzen angezogen, sondern auch von den von den Firmen propagierten Werten. Aber auch die Firmen schauen darauf, dass ihre künftigen Mitarbeitenden die gewünschten Werte und Normen erfüllen und somit «passen». So sozialisieren sich die Firmen über die Jahre mit Menschen mit ähnlichen Werten, Normen und Überzeugungen und so etabliert sich über die Jahre die Firmenkultur. Diese Sozialisierung geht aber noch weiter, sie wird dazu führen, dass Mitarbeitende, denen die Firmenkultur nicht mehr zusagt, das Unternehmen verlassen werden. Die Unternehmenskultur wird durch diesen Effekt über die Jahre immer einheitlicher und konsistenter. Das hat viele Vorteile, kann aber in Veränderungssituationen erhebliche Nachteile haben.

Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Kauffrau, die Zahlen mag und den Umgang mit Menschen sowie Freude an einem Haus mit Garten hat, fühlt sich als Angestellte in einer Bank bestimmt gut aufgehoben. Hingegen wird ein ökologisch orientierter Informatiker viel eher eine Stelle in einem Unternehmen annehmen, welches nachhaltige Energiesysteme erzeugt, als dass er sich auf eine Stelle in der IT-Abteilung einer Bank bewirbt.

Karriere-Konstruktion

Mark Savickas, einer der führenden Forscher im Bereich Laufbahnentwicklung, entwickelte die «Career Construction Theory», die auf 16 unterschiedlichen Annahmen beruht. Diese wiederum beziehen sich auf folgende drei Kernthemen: dem persönlichen Umfeld, in dem die Person aufgewachsen ist, dem beruflichen Selbstkonzept und den für die «Konstruktion» der Karriere notwendigen Entwicklungsaufgaben. Das berufliche Selbstkonzept entsteht vor allem durch das im Verlauf der Jahre erworbene Wissen, durch Selbstreflexion und durch Rückmeldungen von anderen Menschen.

Mit dieser Theorie erklärt Savickas vor allem die ganz unterschiedlichen Einflussfaktoren, welche die Entwicklung der Karriere einerseits beeinflussen, beziehungsweise welche herausfordernden Entwicklungsschritte von Veränderern geleistet werden müssen, um ihre Karriere zu konstruieren. Vor allem die Entwicklung des Selbstkonzepts ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Durch Stellenwechsel werden neue Tätigkeiten und Aufgaben entdeckt und dadurch neue Erfahrungen gesammelt. Dabei sind die «Feedbacks» anderer Personen und die laufenden Selbstreflexionen wichtige Erfolgskomponenten für die Entwicklung des Selbstkonzepts.

Lebensgestaltung

Die Herausforderungen im 21. Jahrhundert für Berufsveränderer sind weiter gestiegen. Dies veranlasste Savickas und Kollegen, ein neues Konzept für die Karrierekonstruktion zu entwerfen. Um der globalisierten Berufsberatung gerecht zu werden, wurde die «Life Design International Research Group» mit Vertretern aus der EU, der Schweiz und den USA gegründet. Dieser Entwicklungsansatz ist umfassender und komplexer und beruht auf fünf Annahmen. Dazu gehören die sich rasch verändernden Umfeldbedingungen (zum Beispiel durch die Globalisierung und technische Entwicklungen), dynamische Prozesse, nichtlineares Vorgehen, unterschiedliche Perspektiven und persönliche Verhaltensmuster. Diese neuen Annahmen zeigen deutlich, dass die altgedienten «statischen» Theorien über Berufswahl und Laufbahnentwicklung ausgedient haben.

Schlussfolgerungen

Die klassische Berufsberatung hat sich von einer statischen Analyse von Eigenschaften und Faktoren zu dynamischen prozessorientierten Methoden wie Gravitationshypothese, «Career Construction» oder «Life Designing» entwickelt. Im Zentrum solcher Prozesse steht die Interaktion von Menschen mit der immer komplexer werdenden ökonomischen und sozialen Umwelt. Durch den aktiven und gewollten Austausch von Veränderern mit ihren Umwelten lassen sich neue und individuelle Lösungen ausarbeiten. Bestmögliche Resultate in solchen Prozessen können mit der Hilfe von «Fremdgehirnen» von aussenstehenden neutralen Laufbahncoaches erzielt werden. Coachingprozesse lassen in der Regel auch viel Raum für ein dynamisches, nicht lineares Vorgehen, für Selbstreflexionen und Perspektivenwechsel zu.

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