Mensch & Arbeit

Konfliktmanagement

Lösungsorientierte Streitkultur im Unternehmen entwickeln

Immer noch besteht in vielen Unternehmen der Umgang mit Konflikten darin, einen Schuldigen zu identifizieren. Der Wunsch nach der alles überlagernden Harmoniesauce scheint ungebrochen. Es liegt in der Verantwortung der Führungspersönlichkeit, eine produktive Streitkultur zu etablieren.
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Die traditionell agierenden Führungskräfte interpretieren Konflikte und Streitigkeiten als hemmende Blockaden, welche die «geordneten» Prozesse stören. Darum müssen sie so rasch wie möglich beseitigt werden. Der Dissens wird dabei als Stolperstein diskreditiert. Nach konventionellem Konfliktdenken erfolgt das «Basta-Machtwort von oben», es herrscht erst einmal wieder Ruhe, Hauptsache, es kann weitergearbeitet werden. Allerdings handelt es sich um eine trügerische Friedhofsruhe: Oft schwelt der Konflikt unter der Oberfläche weiter – und oft eskaliert er dann auch.

Aufbau einer Streitkultur

Die zukunftsorientierten Führungspersönlichkeiten hingegen wissen, dass der Schwelbrand erst recht zum unheilvollen Aufbrechen eines Konflikts führen wird. Besser ist es darum, die wahren Konfliktursachen zu analysieren und dann auszuräumen. Dabei kann es vorkommen, dass ein Dissens, also die Meinungsverschiedenheit, auch einmal ausgehalten werden muss. Damit dies gelingt, versuchen Führungspersönlichkeiten eine Streitkultur in ihrem Verantwortungsbereich aufzubauen, auch indem sie das Problem-Management mit Methoden wie der Mediation, dem Coaching und der Supervision optimieren. Zuvor steht die Entwicklung einer Streitkultur an, für die einige Voraussetzungen erfüllt sein müssen.

Voraussetzung 1: Konfliktenergie in Lösungsenergie umwandeln

Eine Führungspersönlichkeit versteht sich als Berater, Entwickler und als Beseitiger von Stolpersteinen. Sie will den Mitarbeitern die Barrieren aus dem Weg räumen, die sie daran hindern, ihre Aufgaben bestmöglich zu erledigen. Weil sie weiss, dass ungelöste Konflikte Energiefresser sind, besteht ihr primäres Ziel darin, destruktive Konfliktenergie in konstruktive Lösungsenergie umzuwandeln.

Darum sieht sie einen Konflikt als Symptom und Hinweis darauf an, dass zum Beispiel zwischen Mitarbeitern die Beziehung neu geklärt werden muss. Dazu versetzt sie sich in die Perspektive beider Beteiligten. Der Perspektivenwechsel eröffnet ihr neue, oft überraschende Zugänge zum Konfliktthema und führt häufig zu innovativen Konfliktlösungsalternativen.

Indem sie in die Haut beider Konfliktparteien schlüpft, kann sie das Gemeinsame erkennen, das zwischen den Streithähnen besteht. Im Konfliktlösungsgespräch hebt sie dieses Gemeinsame hervor und baut für die Streithähne eine Brücke. Die Kontrahenten können nun nachvollziehen, dass das Gemeinsame das Trennende trotz aller Auseinandersetzungen überwiegt. Zwischen den Parteien leuchtet erstmals wieder ein «Wir» auf, sie akzeptieren, dass sie zwar einen Konflikt oder Streit austragen dürfen, danach aber wieder in die gemeinsame Bahn des «Wir» einscheren müssen.

Empathisches Einfühlungsvermögen hilft der Führungspersönlichkeit, sich an die Stelle der Konfliktbeteiligten zu versetzen. Aufmerksames Zuhören und genaues Beobachten gehören zu ihren Grundtugenden. Ihr Balanceakt: In einer sehr emotionsgeladenen Situation muss sie eine objektive Haltung bewahren und darf nicht zu impulsiv sowie emotional handeln.

Voraussetzung 2: Der Blick auf das «höhere Ganze»

Die Führungspersönlichkeit verdeutlicht den Konfliktparteien mithilfe ihrer visionären Kraft und konkreten Zielvorstellungen, dass sie letztendlich trotz aller Differenzen an einem Strang ziehen und ihr gemeinsamer Nutzen in der Verwirklichung der übergeordneten Unternehmensziele besteht. Sie müssen ihr Kriegsbeil nicht begraben, im Gegenteil: Sie sollen den Konflikt austragen. Darüber dürfen sie aber nicht die gemeinsame Ausrichtung auf die Realisierung des «höheren Ganzen» vernachlässigen.

Eine konstruktive Streitkultur zeichnet sich dadurch aus, dass die Beteiligten des Konflikts ihren Streit dann sogar in den Dienst jener Unternehmensziele stellen. Die Aufgabe der Führungspersönlichkeit ist es dabei, mithilfe ihrer integrativen Kompetenzen, den Konflikt im Sinne des Erhalts jenes «höheren Ganzen» zu moderieren.

Voraussetzung 3: Konstruktiver Umgang mit Fehlern

Konflikte bilden in einer Wissensgesellschaft, in der sich Unternehmen zu lernenden Organisationen entwickeln, eine notwendige Phase, in der sie als Chancen zur Weiterentwicklung genutzt werden müssen. Ein lernendes Unternehmen braucht den konstruktiven Umgang mit Konflikten – und damit Führungspersönlichkeiten sowie Mitarbeitende mit einer hohen Kompetenz zur Konfliktlösung.

Dazu gehört, Fehler als Chancen und Wachstumsmöglichkeiten zu identifizieren. In einer konstruktiven Streitkultur wird ein Fehler als Anlass genommen, einen Lern- und Entwicklungsprozess in Gang zu setzen und es «beim nächsten Mal besser zu machen».

Entscheidend ist nicht das Reden über den Fehler, sondern die Beseitigung der Ursachen: Der Fehler wird konkret benannt, die Ursachen diskutiert – und ein konkreter Lösungsvorschlag ausgearbeitet. Menschen tendieren dazu, Fehler zu verschweigen, zu vertuschen, sie anderen anzuhängen oder einfach auszusitzen.

Darum geht die Führungspersönlichkeit mit gutem Beispiel voran: Sie scheut sich nicht davor, auch über ihre eigenen Fehler zu sprechen. Denn natürlich übt ihr Umgang mit Fehlern, auch den eigenen, eine Signalwirkung aus: Aufgrund ihrer Vorbildfunktion trägt sie erheblich dazu bei, ob sich eine Lernkultur und eine konstruktive Streitkultur entfalten kann oder nicht.

Voraussetzung 4: Das beste Argument entscheidet

Im Vordergrund einer konstruktiven Streitkultur steht das Ziel einer zukunftsfähigen Lösung. Konflikte und Auseinandersetzungen haben oftmals mehrere und miteinander vernetzte Ursachen. Die Konfliktlösung lässt sich daher so gut wie nie an einer Ursache festmachen.

In der Auseinandersetzung sollte letztendlich das beste Argument entscheiden. Das ist leichter gesagt und gefordert als umgesetzt. Die Führungspersönlichkeit sensibilisiert sich darum dafür, Konflikte möglichst frühzeitig wahrzunehmen sowie einzugreifen. Je früher dies gelingt, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass der Konflikt nicht eskaliert, sondern der Streit um das beste Argument im Fokus steht.

Dabei gilt: Die thematisch-inhaltliche Dimension eines Konfliktes ist meistens leichter zu bearbeiten als die sozio-emotionale – aber: Jeder Konflikt betrifft die Gefühls- und Beziehungsebene. Gefühle sind bei Streitigkeiten Tatsachen. Bei der Konfliktlösung sind beide Ebenen zu berücksichtigen.

Voraussetzung 5: Der Konsens als Ziel – aber nicht um jeden Preis

Ziel einer konstruktiven Streitkultur ist es, zu einer einvernehmlichen, von allen Beteiligten gemeinsam erarbeiteten, verantworteten, mitgetragenen und praktizierten Vereinbarung zu gelangen. Diese Vereinbarung hilft dabei, Konflikte und Streitigkeiten unter der grösstmöglichen Berücksichtigung der Einzel- und der Unternehmensinteressen zu lösen. Im Gegensatz zum faulen Kompromiss zielt der Konsens auf Gewinner-Gewinner-Lösungen ab, die nachhaltig wirken und die Entstehung neuer Konflikte zumindest unwahrscheinlicher machen.

Das ist nicht immer möglich. Aber es muss auch nicht um jeden Preis zur Konsensvereinbarung kommen. Eine funktionierende Streitkultur lebt davon, den Dissens aushalten zu können – solange dabei die übergeordneten Unternehmensziele und das «höhere Ganze» nicht aus den Augen verloren werden.

Aus diesem Grund steht die Führungspersönlichkeit vor der permanenten Herausforderung, für eine funktionierende Streitkultur zu kämpfen. Diese ist immer gefährdet und muss im täglichen Umgang miteinander und in jedem Streitfall aufs Neue bestätigt werden.

Voraussetzung 6: Auf mitarbeiterinterne Konfliktbearbeitung hinarbeiten

Wenn es der Führungspersönlichkeit schliesslich gelungen ist, auf dem Weg zu einer lösungsorientierten Streitkultur die ersten Erfolge zu erzielen, kann sie die Verantwortung Schritt für Schritt in die Hände der potenziellen Konfliktparteien legen.

Die mitarbeiterinterne Konfliktbereinigung wirkt zumeist nachhaltiger als die, die «von aussen» durch die Führungspersönlichkeit in Gang gesetzt worden ist. Häufig kommt ein Gespräch zwischen den Mitarbeitern zustande, das zusammenschweisst, an die gemeinsame Aufgabe und Zielsetzung erinnert und die Einzelinteressen hinter den Unternehmensinteressen verschwinden lässt. Die Führungspersönlichkeit sollte mit den Mitarbeitern verbindliche Spielregeln für den produktiven Umgang miteinander festlegen und prüfen, welche Mitarbeiter reif und willens sind, diese anspruchsvolle Konfliktlösungsstrategie umzusetzen.

Fazit

Zu viel Harmoniesauce ist ebenso kontraproduktiv wie eine chaotische Disharmonie. Ein Zwist zwischen den Mitarbeitenden darf niemals das «höhere Ganze» gefährden – also die Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Eine konstruktive Streitkultur impliziert die faire dialogische Auseinandersetzung mit dem Gesprächspartner, dessen Ansichten respektiert werden und gegen die man vehement und kämpferisch Einspruch erhebt und Einwände formuliert – ohne jedoch überzeugt zu sein, sich im Besitz der allein seligmachenden Wahrheit zu befinden. Die Grundlagen hierfür sind die Wahrhaftigkeit im freien und respektvollen Austausch der verschiedenen Argumente und die Toleranz gegenüber dem Widerspruch beziehungsweise dem Widersprechenden.

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