Mensch & Arbeit

Resilienz

Leistungskraft als Teil der Persönlichkeitsentwicklung

Die permanenten Veränderungen in Zeiten der Komplexität, der Unberechenbarkeit sowie latenter Krisen fordern oftmals einen hohen Energieeinsatz, der zu Stress und Überforderungsgefühlen führen kann. Da stellt sich immer häufiger die Frage, wie es gelingt, dem Druck und den Belastungen gelassen standzuhalten.
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Widerstandskraft, Belastungsfähigkeit, Flexibilität, Immunsystem der Seele – das sind Synonyme, die mit Resilienz verbunden werden. Laut Duden bedeutet Resi­lienz «psychische Widerstandskraft; die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigungen zu überstehen», eine wichtige Eigenschaft im beruflichen und privaten Lebensalltag. Resilienz ist aber nicht nur die Fähigkeit, mit Schwierigkeiten, Herausforderungen und Veränderungen umzugehen. Resilienz steht auch für Flexibilität, sich Veränderungen geschmeidig anzupassen, eine wichtige Voraussetzung für Unternehmen im globalen Wettbewerb.

Konzept der Resilienz

Der Begriff Resilienz stammt ursprünglich aus der Physik und bezeichnet die Fähigkeit eines Werkstoffes, nach einer Verformung durch Druck- oder Zugeinwirkung wieder in seine alte Form zurückzukehren. (engl. resilience = Elastizität, Spannkraft; lat. resilire = zurückspringen, abprallen). Das Konzept der Resilienz geht zurück auf Studien der amerikanischen Entwicklungspsychologin Emmy Werner, die in einer Langzeitstudie (1955 bis 1995) Lebensverläufe von rund 700 Hawaiianern von Kindheit an über 40 Jahre hinweg beobachtete und analysierte. Schwerpunkt dieser Untersuchung waren Biografien, welche in schwierigen, beispielsweise von Armut und Gewalt geprägten Lebensumständen aufwuch-sen, aber dennoch eine gute psychische Widerstandskraft entwickeln konnten. Aufgrund dieser Studie konnten sieben Schlüsselfaktoren definiert werden, die entscheiden, ob Menschen resilient sind und somit Krisen verkraften oder gar noch gestärkt aus solchen Situationen hervorgehen. Die Schlüsselfaktoren sind:

  • Akzeptanz
  • Optimismus
  • Selbstwirksamkeit
  • Verantwortung
  • Netzwerkorientierung
  • Lösungsorientierung
  • Zukunftsorientierung

In der Arbeitswelt

Die Belastungen der heutigen Arbeitswelt sind enorm gestiegen. Veränderungen stellen hohe Anforderungen an die Flexibilität und Lernfähigkeit von Mitarbeitenden und Führungskräften. Gleichzeitig brauchen Menschen Sicherheit und Berechenbarkeit, damit sie bei Stress und vor Burnout gewappnet sind. Der Begriff Resilienz wird im organisationalen Kontext dann verwendet, wenn es um die Fähigkeit geht, sich schnell, entschieden und effektiv auf unvorhersehbare Situationen einzustellen und darauf zu reagieren. Dabei sind es nicht nur Krisen oder Katastrophen, sondern auch unvorhersehbare Entwicklungen in der Unternehmenswelt, die die Leistungsfähigkeit von Organisationen stark herausfordern.

Faktor Stressprävention

Die WHO hat Stress zu einer der grössten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erklärt. Psychosoziale Belastungen konfrontieren bereits heute Versicherungen, Arbeitgeber und Gesellschaft mit erheblichen Kosten. Auch in der Schweiz ist eine Zunahme der Absenzenzahlen und Invalidenrenten aufgrund psychischer Belastungen zu verzeichnen. Gemäss einer Studie im Auftrag von Gesundheitsförderung Schweiz (Job-Stress-Index 2014) sind über eine Million oder knapp ein Viertel der Erwerbstätigen «ziemlich oder stark» erschöpft. Arbeitgeber sehen diesbezüglich einen grossen Handlungsbedarf. Das Thema Resilienz, eine Eigenschaft, die dabei hilft, den Langzeitwirkungen von Stress gut zu begegnen, gewinnt für zukunftsorientierte Organisationen zunehmend an Bedeutung.
In der Resilienzförderung gilt die Widerstandskraft des Bambus als zentrales Leitbild. Der Bambus steht seit jeher für eine gelungene Strategie im Umgang mit stürmischen Zeiten: Sich biegen und im Wind wiegen, anstatt zu brechen, das heisst, Flexibilität und Beweglichkeit zeigen, zugleich tief verwurzelt, stabil und standhaft sein – Eigenschaften, die auch Menschen im Umgang mit Krisen, Problemen und Belastungen helfen können. Während ein Sturm riesige Eichen und Buchen entwurzeln und zerstören kann, richtet sich der Bambus nach einem Sturm wieder auf, als sei nichts gewesen. Menschen, die flexibel und anpassungsfähig sind, können im Umgang mit Stress und Belastungen auf eine Vielzahl von Reaktionsweisen zurückgreifen und mit einer Krise selbstwirksamer umgehen. Zu den Resilienz fördernden Aspekten gehören unter anderem die folgenden Fertigkeiten und Eigenschaften:

  • Eine optimistische Sicht und Selbsteinschätzung im Umgang mit Problemen.
  • Die realistische Einschätzung von Situationen und Zusammenhängen.
  • Ein ziel- und lösungsorientiertes Vorgehen.
  • Eine gute Selbstfürsorge und umfangreiche Stressbewältigungsstrategien.
  • Die Übernahme von Selbstverantwortung und Eigeninitiative.
  • Die Pflege von Beziehungen und unterstützenden Netzwerken.
  • Entwicklung und Verfolgung eigener Zukunftsvisionen, Werte und Ziele.
  • Improvisation und Lernfreude im Umgang mit unvorhergesehenen, neuen Situationen.

Diese Fähigkeiten können gelernt und trainiert werden. Voraussetzung ist die Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln und die Verantwortung dafür zu übernehmen. Das Resilienztraining ist eine Persönlichkeitsentwicklung und gelingt am schnellsten, wenn man bereit ist, sich bewusst und möglichst oft aus der Komfortzone heraus zu bewegen.

Persönlichkeitsentwicklung

Neurobiologische Erkenntnisse bestätigen, der Mensch ist ein Leben lang lern- und entwicklungsfähig. In der Resilienzforschung geht man davon aus, dass resiliente Denk- und Verhaltensweisen in jedem Alter erlernt werden können und der Mensch fähig ist, sich ein Leben lang entsprechende und nutzbare Ressourcen zu verschaffen. Was für das Individuum gilt, gilt auch für Organisationen. Sowohl in der persönlichen Weiterentwicklung, in Fragen der Gesundheit, im Umgang mit Veränderungen jeder Art als auch in der betrieblichen Personalentwicklung ist die Entwicklung und Stärkung von Resilienz heute ein unverzichtbarer Schlüssel zum Erfolg.

Geschäftsführer erkennen zunehmend, dass die körperliche sowie geistige Kraft und Gesundheit ihrer Arbeitnehmer die Basis für dauerhafte Leistungsfähigkeit bilden. Die vorausschauenden Unternehmen investieren daher immer häufiger in gesundheitsfördernde Massnahmen wie Stressprävention sowie die Schulung einer verantwortungsbewussten Selbstfürsorge der Mitarbeitenden. Für viele Menschen ist es leichter, Anforderungen von aussen nachzugeben, als für sich selbst gut zu sorgen. Führungskräfte sind gut beraten, diese Prozesse selbst zu durchlaufen und profitieren in doppelter Weise. Sie entwickeln neue Fähigkeiten, wirken als Vorbild für die Mitarbeitenden und eine entsprechende Unternehmenskultur.

Rahmenbedingungen schaffen

Um die Resilienzfähigkeit von Mitarbeitenden zu unterstützen, braucht es Rahmenbedingungen für den Umgang mit Stresssituationen. Hier bedarf es sowohl Führungsfähigkeiten als auch der Fähigkeiten von Mitarbeitenden sowie eine entsprechende Unternehmenskultur, aber auch Unterstützungssysteme wie Netzwerke und andere Ressourcen. Grundsätzlich wird eine wertschätzende und kompetenz- sowie ressourcenorientierte Haltung im zwischenmenschlichen Bereich als resilienzfördernd betrachtet. Die Gesundheit und das Miteinander in einem Unternehmen – in der Dimension der Unternehmenskultur früher oft als «weiche Faktoren» bezeichnet – beeinflussen massgeblich die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit, also die «harten Faktoren» im Firmenalltag. Diese Einflussfaktoren bestimmen, wie sich Mitarbeitende im Berufsalltag verhalten: Ob sie aktiv und resilient mit den Anforderungen umgehen können oder ob sie nach und nach unter den steigenden Belastungen zusammenbrechen.

Resilientes Führungsverhalten

Eine entscheidende Rolle spielt die Führungskultur. Die Anforderungen an Führungskräfte werden komplexer. Verlangt wird ein ungeheures Repertoire an Fertigkeiten von Souveränität, Kreativität, hoher Stressresistenz, einfühlsamer Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit, natürlicher Autorität und vielem mehr, wofür die wenigsten adäquat vorbereitet wurden. Und um die Resilienzfähigkeit der Mitarbeitenden unterstützen zu können, bedarf es einer gut ausgebildeten persönlichen Resilienzfähigkeit. Zu den Faktoren, die resilientes Führungsverhalten auszeichnen, gehören:

  • Achtung persönlicher Ressourcen, Kenntnis persönlicher Leistungsgrenzen und Prioritäten.
  • Umsetzung «begleitender Führung», Pflege von klaren, vertrauensvollen Beziehungen und Förderung bzw. Unterstützung von Eigenverantwortung und Lösungsorientierung.
  • Klare Kommunikation, auch bei unangenehmen Veränderungen.
  • Berücksichtigung der sachlichen und menschlichen Ebene in der Kultur des Unternehmens.

Handlungsbedarf ernst nehmen

Es lohnt sich, im Rahmen der Gesundheitsförderung und vorausschauenden Planung der Thematik «Resilienz» einen Raum zu geben und Mitarbeitende jetzt zu unterstützen. Die Anforderungen werden sich in der nächsten Zukunft nicht reduzieren. Im Gegenteil: sie werden eher noch wachsen. Die Arbeitsverdichtung, die Informationsflut, die Diskontinuität und schnelle Veränderungen werden in absehbarer Zeit nicht zurückgehen. Der Arbeitsmarkt der Zukunft braucht resiliente Mitarbeitende, die Veränderungen, Unsicherheiten und neuen Anforderungen flexibel, kreativ und konstruktiv begegnen können.

Resilienzförderung ist immer eine individuelle Entwicklungsaufgabe. Da gibt es kein Patentrezept, welches für jeden und jede passt, sondern es gilt, sich den persönlichen oder organisationalen Ressourcen sowie Zielen entsprechend mit oder ohne Unterstützung ein individuelles Programm zusammenzustellen. Hierbei kann ein lösungsorientiertes Coaching oder eine unterstützende Gruppe zielführend sein. Wie bei allen wirkungsvollen Investitionen in die eigene Zukunft gilt auch hier: Handeln muss jeder selbst, entscheidend ist der erste Schritt.