Mensch & Arbeit

Ethische Excellence

Ist Unternehmensethik wirklich messbar?

Ohne Zweifel, ein Ethik-Award schmückt jedes Unternehmen. Er bringt Imagegewinn und stützt den Bekanntheitsgrad. Aber welche Bedingungen, abgesehen von ökonomischem Erfolg, muss ein Unternehmen erfüllen, um als ethisch exzellent anerkannt zu werden?
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Am 19. September 2012 ist es wieder so weit: Im KKL Luzern wird der Swiss Ethics Award verliehen. Dieser ist eine Anerkennung für ethische Projekte im Bereich der Wirtschaft. Ausgezeichnet werden damit Organisationen und Unternehmen, die in besonderer Weise Verantwortung für eine nachhaltige Zukunft übernehmen.

Kein Schönheitswettbewerb

Schön, wird der eine oder die andere Leser/in sagen: Aber wie beurteilt die Jury des Swiss Ethics Award, wer diesen Preis wirklich verdient hat? Wie lässt sich zeigen, dass ein Unternehmen in besonderer Weise Verantwortung für eine nachhaltige Zukunft übernommen hat? Diese Fragen sind berechtigt. Denn Unternehmen haben unterdessen gemerkt, dass Ethik für ihre Reputation in der Öffentlichkeit wichtig ist. Damit besteht die Gefahr, dass sie ihre Kommunikation, ihre Websites und Firmenbroschüren mit schönen Worten und Bildern schmücken. Unternehmen signalisieren damit: Wir gehören zu den Guten. Auch ein Ethikpreis macht sich hier natürlich gut! Ein Ethikpreis sollte aber selbstverständlich kein Schönheitswettbewerb sein. Bewertet wird nicht, wie Unternehmen und Organisationen sich zeigen, sondern das, was sie tun, was sie zu einer besseren Welt beitragen.

Wie aber will man dies bewerten? Klar ist, es geht im Falle ethischer Exzellenz um mehr als nur um nackte Zahlen. Ökonomisch messbarer Erfolg ist nur eine der Bedingungen für ein ethisch exzellentes Unternehmen. Klar ist auch, dass es nicht ausreicht, die geltenden Gesetze zu befolgen. Es ist für die meisten Unternehmen eine Selbstverständlichkeit, vor dem Gesetz eine weisse Weste zu haben.

Viele Unternehmen wollen aber mehr als nur Dienstleistungen oder Produkte anbieten, welche den gesetzlichen Minimalanforderungen genügen. Sie wollen darüber hinaus motivierte Mitarbeitende und zufriedene Kunden, sie wollen gute Produkte und Dienstleistungen, oder sie wollen sogar, wie beispielsweise die Bewerber am Swiss Ethics Award, einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen.

Bewertungskriterien

Erwähnt seien im Folgenden drei Kriterien, die im Hinblick auf die ethische Performance von Unternehmen bedeutsam sind.

1. Ethical Leadership leben: Ethisch exzellente Unternehmen haben moralisch integre Führungsverantwortliche. Diese orientieren ihr eigenes Handeln an moralischen Normen und Werten. Wenn sie das nicht tun, sind sie moralisch unglaubwürdig. Führungsverantwortliche, die als fair, respektvoll, loyal und ehrlich wahrgenommen werden, sind Vorbilder für ihre Mitarbeitenden. Nur so entsteht eine Unternehmenskultur, die von innen und aussen als moralisch integer wahrgenommen wird. Nur so entsteht nach innen und aussen Vertrauen in das Unternehmen und seine Leitung.

2. Interessen der unterschiedlichen Anspruchsgruppen (Stakeholder) angemessen integrieren: Ethisch exzellente Unternehmen bedienen nicht nur die Interessen ihrer Kapitalgeber (Shareholder) und des Topmanagements. Auch Mitarbeitende und beispielsweise Geschäftspartner, Kunden oder die Öffentlichkeit haben spezifische Interessen: Mitarbeitende möchten fair und respektvoll behandelt werden (auch bezüglich ihres Lohns); Geschäftspartner wollen nicht über den Tisch gezogen werden; Kunden sind an qualitativ hochwertigen und doch kostengünstigen Produkten interessiert usw. Dies alles sind ethisch berechtigte Interessen, welche Unternehmen berücksichtigen müssen.

3. Systemische Entwicklungen gestalten: Ethisch exzellente Unternehmen haben in ihrer Strategie verankerte organisatorische Strukturen und Prozesse etabliert, welche Gewähr leisten, dass moralische Normen und Werte effizient und effektiv implementiert sowie ethische Ziele erreicht werden. Ethik darf nicht bloss etwas für Hochglanzbroschüren oder moralische Notfälle sein. Ethik muss vielmehr systematisch im Unternehmen etabliert sein, auf allen Ebenen und ebenfalls bei allen Mitarbeitenden (auch schon bei der Personalauswahl).

Gehen wir davon aus, wir hätten Einigkeit bezüglich der ethischen Kriterien, anhand derer wir Unternehmen beurteilen wollen. Die Ethikperformance eines Unternehmens kann dennoch nicht so einfach gemessen werden wie beispielsweise der ökonomische Erfolg oder die Kundenzufriedenheit. Natürlich gibt es Aktivitäten, die schlechterdings verboten sind. So herrscht heute ein breiter Konsens darüber, dass beispielsweise Menschenrechtsverletzungen nie Bestandteil von unternehmerischen Aktivitäten sein dürfen. Aber darüber hinaus haben wir es im Bereich der Ethik häufig nicht mit «Schwarz-weiss»-, sondern eher mit Grautönen zu tun. Man hat das zu Beginn dieses Jahres im Fall des ehemaligen Nationalbankpräsidenten Hildebrand wieder sehen können.

Interessenkonflikte

Häufig stehen Führungsverantwortliche vor kaum lösbaren Interessenkonflikten. Sie müssen dann schwierige Entscheidungen fällen, in denen man es nicht allen Betroffenen recht machen kann. Es kann beispielsweise nötig sein, Mitarbeitende zu entlassen oder Arbeitsplätze an billigere Standorte auszulagern, um die Substanz des Unternehmens und damit die anderen Arbeitsplätze zu erhalten. Kurz, wir leben nicht in einer idealen Welt. Vor allem lautstarke Vertreter von Interessengruppen neigen gelegentlich dazu, von Unternehmen in moralischer Hinsicht sehr viel zu verlangen. Klar, man möchte natürlich für die Interessengruppe, die man vertritt, ein möglichst grosses Stück vom Kuchen abschneiden. Und es ist natürlich immer einfacher, von aussen moralische Forderungen zu stellen oder jemanden gar moralisch zu verurteilen, als im harten Tagesgeschäft die unterschiedlichsten Interessen unter einen Hut zu bringen. Führungsverantwortliche von Unternehmen sollten lernen, in solchen Situationen nachvollziehbar zu kommunizieren, warum nicht jede an sie herangetragene Forderung auch bedient werden muss.

Ethik – eine Frage des Preises?

Ausgangspunkt dieses Artikels ist der Swiss Ethics Award, also ein Ethikpreis. Mit einem kleinen Wortspiel kommen wir zu einem weiteren, heiss diskutierten Thema, dem Preis der Ethik. Ethik, so wird oft behauptet, koste etwas, sie mache die Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen letztlich teurer. So gesehen wäre Ethik ein Nachteil am Markt. Oft wird deshalb gesagt, Ethik sei nur etwas für Schönwetterlagen. Aber sobald es hart auf hart gehe, könne man sich Ethik nicht mehr leisten. Stimmt das wirklich?

Es ist bis anhin nicht nachgewiesen worden, dass es einem Unternehmen schadet, wenn seine Manager sich moralisch integer verhalten. Es ist bis anhin auch nicht nachgewiesen worden, dass es einem Unternehmen schadet, wenn es die berechtigten Interessen seiner Anspruchsgruppen berücksichtigt. Es trifft eher das Gegenteil zu: Es kostet Unternehmen etwas, wenn aufgrund des moralischen Fehlverhaltens ihrer Manager in der Öffentlichkeit negativ über sie kommuniziert wird. Es kostet Unternehmen etwas, wenn ihre Marktposition aufgrund des berechtigten und öffentlichen Drucks von Interessengruppen gefährdet wird.

Ethik durch Regulierung

Es soll damit keinesfalls behauptet werden, dass die Etablierung von Ethik im Unternehmensalltag trivial sei. Die ethischen Konflikte, vor denen Führungskräfte stehen, wurden schon erwähnt. Oft ist es eine echte Herausforderung, sie einer guten Lösung zuzuführen. Aber gerade dafür sind Führungsverantwortliche ja da, die vielfältigen Herausforderungen eines Unternehmens in einem anspruchsvollen Umfeld zu meistern!

Es gibt gegenwärtig eine Tendenz, die erwünschte Ethikperformance von Unternehmen durch detaillierte, staatliche oder unternehmensinterne Regulierungen zu erreichen. Viele der grossen transnationalen Firmen haben als Reaktion auf den gesellschaftlichen und staatlichen Druck komplexe unternehmensinterne Reglements und Policies eingeführt. Diese regulieren oft bis in kleinste Details, wie sich Mitarbeitende in ethisch sensiblen Situationen zu verhalten haben. Das setzt natürlich sehr aufwendige und damit teure Kommunikations-, Implementierungs- und entsprechende Controlling-Massnahmen voraus. Es besteht dabei allerdings die Gefahr, dass Mitarbeitende sich kontrolliert und überwacht vorkommen, dass eine Kultur des Misstrauens entsteht. Und Schlaumeier sind versucht, Lücken in den Vorschriften zu suchen: Was nicht geregelt ist, wäre dann moralisch erlaubt. Und schliesslich: Es ist einfach nicht möglich, alle ethisch relevanten und sensiblen Bereiche oder Situationen eines Unternehmens zu regeln. Neben Vorschriften und Regeln braucht es also immer Menschen, die bereit sind, konkret und ohne ausformulierte Vorschriften Verantwortung zu übernehmen und moralisch integer zu handeln.

Eine unabdingbare Ressource

Viele KMU können sich die erwähnten aufwendigen Ethikmassnahmen gar nicht leisten. Das ist aber nicht unbedingt ein Nachteil, im Gegenteil, es kann eine Chance sein. Viele Führungsverantwortliche von KMU haben direkten Kontakt mit Mitarbeitenden und Kunden. Sie erhalten also unmittelbares Feedback, wenn etwas schiefläuft, wenn beispielsweise Mitarbeitende ihre Aufgaben nicht verantwortungsvoll wahrnehmen. Die Mitarbeitenden andererseits spüren schnell, ob die Chefs es ernst meinen und bezüglich moralischer Integrität mit gutem Beispiel vorangehen. KMU sind also direkt und unmittelbar auf die moralische Integrität der Führungsverantwortlichen und aller Mitarbeitenden angewiesen. So gesehen ist Ethik für KMU keine kostspielige Einschränkung, sondern primär eine für den geschäftlichen Erfolg unabdingbare Ressource. Ohne komplexe Regelwerke, basierend auf Freiwilligkeit und Selbstverpflichtung.

Das bedeutet natürlich nicht, dass KMU bezüglich Ethik nichts mehr zu tun hätten. Besonders wichtig sind fortlaufende unternehmensinterne Gespräche und Kommunikationen über die für das Unternehmen relevanten ethischen Normen und Werte. Die Mitarbeitenden müssen wissen, welche ethischen Verantwortlichkeiten sie haben und dieses Wissen in ihren Zuständigkeitsbereichen umsetzen können. Führungsverantwortliche sollten darüber hinaus in der Lage sein, ethische Probleme zu identifizieren und diese einer nachvollziehbaren und tragfähigen Entscheidung zuzuführen. Unternehmen, die so aufgestellt sind, haben tatsächlich einen Ethikpreis verdient.

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