Mensch & Arbeit

Psychologie

Ist Geld die Triebfeder zum Glück?

Bonus oder Gehaltserhöhung gelten als die Massnahme zur Mitarbeitermotivation schlechthin. Doch wirkt die Finanzspritze so wie erhofft? Unter welchen Bedingungen sie sich positiv auswirken kann, was Führungskräfte für die Mitarbeiterbindung tun können und warum Schweizerinnen und Schweizer besonders zufrieden sind, zeigt der Artikel.
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Jahrelang geglaubte Wahrheiten haben sich als falsch erwiesen: Der «Homo oeconomicus», der seine Entscheidungen nach Kosten und Nutzen abwägt, ist überholt. Wenn Geld ins Spiel kommt, ist es mit der Rationalität aus und vorbei. Die für das rationale Denken zuständigen Areale wie der präfrontale Cortex treten in den Hintergrund. Dafür übernehmen diejenigen Areale das Ruder, die für die Emotionen und die Triebsteuerung zuständig sind.

Das Belohnungszentrum

«Um die Börse zu durchforsten, benutzen Menschen dieselbe neuronale Maschinerie, die sie früher benutzt haben, um in der Steppe nach Nahrung zu suchen», kommentiert Peter Brossaerts. Er ist Wissenschaftler an der polytechnischen Universität Lausanne und beschäftigt sich mit Fragen der Neuroökonomie. Die Aussicht auf Beute aktiviert den Nucleus accumbens, ein Areal des Belohnungssystems unseres Gehirns. Die Aktivierung führt zu einer verstärkten Konzentration des Botenstoffs Dopamin, der das Gefühl von Vorfreude auslöst und den Menschen motiviert, auf Jagd zu gehen.

Kommt Geld ins Spiel, ist der Mechanismus sehr ähnlich. Vor allem die Aussicht auf den Gewinn regt das Belohnungszentrum an. Je höher die Summe, die auf dem Spiel steht, umso aktiver verhalten sich die Nervenzellen. Die Begehrlichkeit ist offenbar stärker im Gehirn einprogrammiert als der Gewinn an sich. Bei vielen Menschen wächst die Gier nach dem Geld mit der Summe, die es zu holen gibt. Stellt sich der Erfolg ein, entsteht das Gefühl von Glück und Zufriedenheit. Diese Gefühle lösen ein Bedürfnis nach Wiederholung aus, und das Spiel beginnt von vorne.

Spiel der Gefühle

Der Kick, den die Jagd auf das Geld auslöst, ist mit der Wirkung von Drogen durchaus vergleichbar. Nur so lässt sich erklären, weshalb Goldsucher Kopf und Kragen für die ersehnten Nuggets riskieren, Börsenspekulanten unkalkulierbare Risiken eingehen oder Schnäppchenjäger die Kaufhaus-Tische nach Sonderange­boten durchwühlen. Das Verhalten folgt dem Spiel der Gefühle. «Menschen verhalten sich in Gelddingen irrational», folgert die Sozialpsychologin Jennifer Lerner von der Harvard Universität. In einem Versuch liess sie einen Teil der Probanden einen traurigen Film ansehen. Die übrigen Probanden sahen keinen Film. Im Anschluss sollten alle Probanden einen Preis nennen, den sie für eine Flasche Wasser zu zahlen bereit waren. Diejenigen, die den Film gesehen hatten, wollten zum Teil das Vierfache dessen zahlen, was die übrigen Versuchsteilnehmer ausgeben wollten.

Als rational lässt sich die erhöhte Zahlungsbereitschaft wahrlich nicht beschreiben. Aber genau diese Irrationalität begegnet uns im Alltag auf Schritt und Tritt: Steigen die Immobilienpreise, nehmen Menschen vermehrt Kredite auf und kaufen Häuser oder Wohnungen. Steigen die Automobilpreise, sichern sie sich noch schnell einen Wagen zum alten Preis. Die Freude über das vermeintlich vorteilhafte Geschäft überlagert oft die Tatsache, dass das neue Auto oder die Hypothek gar nicht mehr ins Budget passen. 

Was Mitarbeitende bindet

Es gibt also sehr menschliche, wenn auch nicht rationale Gründe, weshalb sich Menschen für Geld in Bewegung setzen. Eine besonders grosse Mitarbeiterbindung oder -zufriedenheit kann die Entlohnung dennoch nicht begründen. Dieses Ergebnis erbrachte in Übereinstimmung mit vielen weiteren Untersuchungen eine Studie der Online-Jobbörse Stepstone. 13 000 Mitarbeiter aus 1000 Unternehmen in sieben europäischen Ländern wurden dazu befragt, was sie an ihrem Arbeitsplatz glücklich macht.

An erster Stelle stand ein respektvoller Umgang miteinander. Auf Platz zwei und drei folgten eine interessante Tätigkeit und ein gutes Betriebsklima. Auf den übrigen Plätzen standen:

  • eine faire und offene Unternehmensstruktur,
  • Anerkennung für die geleistete Arbeit,
  • sich selbst treu bleiben können,
  • eine gute Work-Life-Balance,
  • die gute Beziehung zu Kollegen und
  • eine gute Arbeitsausstattung.

Eine gerechte Vergütung als Voraussetzung für die Zufriedenheit am Arbeitsplatz stand für die Befragten in der Bedeutung an zehnter Stelle. Die Begriffe «Anerkennung», «Work-Life-Balance» und «gute Beziehungen» wandern schon geraume Zeit durch die Management-Literatur. Trotzdem bleiben die Begriffe merkwürdig abstrakt. Um einmal ein anderes Licht auf die Frage nach der Zufriedenheit zu werfen, sei eine Studie des Psychologen und Ökonomie-Nobelpreisträgers Daniel Kahnemann angeführt. Er entwickelte die sogenannte Tages-Rekonstruktionsmethode. Hierbei mussten die Probanden über alle Tätigkeiten eines Tages Tagebuch führen und festhalten, wie sie sich dabei fühlten. Die Ergebnisse wurden in eine Skala von eins bis zehn übertragen. «Eins» bedeutete «extrem unzufrieden» und «zehn» «extrem zufrieden».

Die Befragung untersuchte einen repräsentativen Querschnitt von Menschen aus allen Ländern der Erde. In der Auswertung, der «World Database of Happiness», erwiesen sich die Schweizer als das zufriedenste Volk des letzten Jahrzehnts. Ihre Lebenszufriedenheit betrug 8,1 auf der Skala. Danach folgten die Dänen mit einem Wert von 8,0. Die geringste Lebenszufriedenheit hatten die Menschen in den ehemaligen Ostblockstaaten wie Russland oder der Ukraine. Sie erreichten lediglich 4,2 beziehungsweise 3,7 Punkte.

Was aber macht die Schweizer und die Dänen so zufrieden? Sechs Punkte erwiesen sich als entscheidend:

  1. das Vertrauen der Menschen untereinander
  2. der Anteil von Menschen, die sich in gemeinnützigen und anderen Organisationen organisieren
  3. die Scheidungsrate
  4. die Arbeitslosenquote
  5. die empfundene Qualität der Regierung und
  6. der Gesundheitsstatus. 

Auch die Rolle des Einkommens hatte die Studie untersucht: Geld macht bis zu einer bestimmten Summe glücklich. Darüber hinaus hat ein Mehr an Einkommen keinen Einfluss auf die Zufriedenheit. Die Menschen in wohlhabenden Gesellschaften sind zwar glücklicher als Menschen in armen Gesellschaften, doch einmal angekommen in der Mittelschicht, steigert jeder weitere Euro das persönliche Glücksgefühl kaum noch. Zu bedenken ist aber eines: In der Schweiz gilt ein Single mit einem Einkommen von 50 000 Franken als der Mittelschicht zugehörig. Im Vergleich dazu verdient ein Ukrainer nach Angaben des Auswärtigen Amts in Deutschland durchschnittlich 3400 Franken im Jahr.

Ökonomische Glücksforschung

In der westlichen Welt werden das Glück und die Zufriedenheit einer Gesellschaft mit ihrer Kaufkraft gleichgesetzt. Der Gedanke «mehr hilft mehr» hat sich in den Köpfen festgesetzt, doch er greift zu kurz. Ein noch junger Wissenschaftszweig ist die ökonomische Glücksforschung. Sie kam in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass in der westlichen Welt kein Zuwachs an Glück oder Zufriedenheit zu verzeichnen ist, obwohl sich in den letzten 50 Jahren die Realeinkommen verdoppelt haben.

Für die Frage nach der Entlohnung bedeutet das: Ein Mitarbeiter, der bereits eine gut dotierte Position innehat, wird sich über einen Einkommenszuwachs kurzfristig freuen, mehr aber auch nicht. Einem Mitarbeiter, der am unteren Rand der Einkommenspyramide angesiedelt ist, lässt sich mit einem höheren Einkommen durchaus langfristig zu mehr Zufriedenheit verhelfen.

Ist das Streben nach Geld nun etwas Schlechtes? Der Hirnforscher Gerald Hüther hat sich mit Menschen beschäftigt, die viel Zeit darauf verwenden, ihr Vermögen zu vermehren, etwa an der Börse. Er sagt: «... Sie haben etwas gefunden, das ihnen bedeutsam ist, was ich grundsätzlich positiv sehe. Denn was wir bedeutsam finden, aktiviert die emotionalen Zentren im Gehirn. Gelingt es, dieses bedeutsame Gut zu bekommen ..., werden Botenstoffe im Gehirn ausgeschüttet, die Glücksgefühle erzeugen. Gleichzeitig werden dabei aber auch all jene Nervennetzwerke gefestigt und verstärkt, die Anleger für die Geldvermehrung aktivieren.

Aus diesen Nervenwegen im Hirn können aber leicht Autobahnen werden, von denen ein Börsianer dann kaum noch herunterkommt. Wenn das Denken nur noch von dem Bedürfnis nach Geldvermehrung bestimmt wird, ist man ein Abhängiger. Geld ist – wie Macht oder Drogen – häufig eine Ersatzbefriedigung für ungestillte Bedürfnisse. Für die Bedürfnisse nach Verbundenheit und intakten sozialen Beziehungen einerseits und nach persönlicher Entfaltung, Autonomie und Freiheit andererseits. Diese Grundbedürfnisse sind in jedem Menschen gleichermassen angelegt.»

Die Menschen sind unterschiedlich: Manche lassen sich von Geld motivieren und daran ist grundsätzlich nichts Schlechtes. Eine gesunde Freude am Umgang mit Geld ist durchaus begrüssenswert. Wie so oft kommt es auf das Mass an. Generell kann man sagen, dass eine auskömmliche Entlohnung mit Sicherheit ein Faktor der Mitarbeiterzufriedenheit ist, aber nicht der einzige. Materielle Sicherheit vorausgesetzt, sind Vertrauen untereinander, Sicherheit, eine gute Führung und Gesundheitsfürsorge am Arbeitsplatz Hebel für die Mitarbeiterzufriedenheit, die Führungskräfte ziehen können.

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