Mensch & Arbeit

Arbeitsumgebung

Homeoffice – das Büro von morgen?

In grossen Unternehmen hat längst nicht mehr jeder Mitarbeiter seinen festen Arbeitsplatz. Neue Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen bieten auch kleineren Unternehmen die Vorteile eines dezentralen Arbeitsortes. Sinkende Kosten, motivierte Mitarbeiter und Entlastung des Verkehrsaufkommens sind positive Folgen daraus und das bei steigender Produktivität.
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Heute schon verfügen fortschrittliche Unternehmen jeglicher Grösse über die IT-Infrastruktur zur Heimarbeit. Doch erst als Homeoffice klingt diese Arbeitsform modern. Vom Arbeitgeber mit einem Notebook ausgestattet, praktiziert es plötzlich fast jeder. Und so spart die Schweiz dieses Jahr 10 000 Tonnen CO² und steigert dennoch die Produktivität.Tatsächlich arbeiten viele Angestellte nicht mehr nur an ihrem Arbeitsplatz. Sie nutzen die heutigen Möglichkeiten, ihre Aufgaben dezentral zu erledigen. Die aktuelle Praxis wirkt oft unstrukturiert, da viele Unternehmen keine klare Strategie in Bezug auf flexible Arbeitsmodelle und Arbeitsplatz haben. Klare Vorgaben der Arbeitsgestaltung und die Einbettung in die Unternehmenskultur sind darum wichtige Herausforderungen der Führung. Denn, arbeitet «Herr Meier» auch wirklich, wenn er nicht im Büro erscheint?

Grosse Flexibilität

In Europa beschäftigt der Dienstleistungssektor heute klar die meisten Arbeitnehmer. Die Verschiebung in den tertiären Sektor ermöglicht eine ganz neue flexible Definition des Arbeitsortes. In der Schweiz zählen 450 000 Angestellte zu den «Wissensarbeitern», von denen mehr als ein Fünftel teilweise von zu Hause aus arbeiten könnte. Analysiert man das eigene Unternehmen, so lassen sich viele Berufsfelder entdecken, die nicht unbedingt einen fix zugeteilten Arbeitsplatz im Büro erfordern. Für das Unternehmen wie auch für den Angestellten stellt diese moderne Arbeitsweise eine Win-win-Situation dar, mit welcher die Work-Life-Balance verbessert und die Produktivität erhöht werden kann.

Die Mitarbeiter können den Arbeitstag freier einteilen und können so die beruflichen und privaten Ansprüche von Arbeitgeber, Familie und Freunden einfacher koordinieren und verbinden. Die Veränderung ermöglicht auch eine Verschiebung der Arbeitszeit in die Abend- oder Wochenendstunden. Der Arbeitnehmer erledigt seine Aufgaben wo und wann er die Zeit dafür sinnvoll aufwenden kann. Diese Freiheit führt zu einer ausgewogeneren Einteilung des Tages- und Wochenablaufes und hat somit einen Einfluss auf die Leistung und Qualität der Arbeit. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Mitarbeiter selbstständiger und verantwortungsvoller den geschäftlichen Verpflichtungen nachgehen.

Umwelt-Entlastung

Nicht zu unterschätzen sind die Auswirkungen der Arbeit von zu Hause aus, wenn man die stark zunehmenden Pendlerströme betrachtet. Im Personenverkehr werden durch Motorräder, Personenwagen und Linienbusse 78 Prozent der gesamten Personenkilometer auf der Strasse zurückgelegt. Der motorisierte Individualverkehr hat in den letzten knapp 30 Jahren um 34 Prozent zugenommen. Auch die Zunahme der Anzahl Staustunden ist vorwiegend dem zusätzlichen Verkehrsaufkommen zuzuschreiben (Quelle: Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK, 28.08.2011, Jahresbericht 2010). Diesem Trend kann durch vermehrtes Arbeiten von zu Hause aus stark entgegengewirkt werden. Jeder Arbeitnehmer, welcher nicht zum Arbeitsort pendelt, entlastet den Verkehr durchschnittlich um 40 Fahrminuten. Die so gewonnene Zeit wird von zehn Prozent der Arbeitnehmer zugunsten der Arbeitgeber eingesetzt. Jeder Vierte ist überzeugt, dass er mit der gewonnenen Zeit stressfreier und somit qualitativ besser die anstehenden Aufgaben erfüllt.

Zusätzlich zum direkten Nutzen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer resultiert daraus auch ein volkswirtschaftlicher Nutzen, indem die Kosten in die Infrastruktur des Landes massgeblich reduziert werden können. Dazu weist der Finanzbericht 2010 der Schweizerischen Bundesbahnen auf die markante Zunahme der Unterhaltskosten hin: «... Aufgrund der stetig steigenden Netzbelastungen mussten dringend notwendige Unterhaltsarbeiten zur Sicherstellung der Anlagenverfügbarkeit vorgenommen werden ...». Auch die Studie «Staukosten des Strassenverkehrs» des Bundesamtes für Raumentwicklung weist für den Strassentyp «Autobahnen» deutliche Zunahmen der Zeitkosten aus. Durch die gezielte Förderung des dezentralen Arbeitens lassen sich solche Kosten reduzieren. Hinzu kommt eine mögliche und nicht unwesentliche Reduktion des CO²-Ausstosses.

Keine Homeoffice-Strategie

Es zeigt sich, dass gerade Grossunternehmen gezielt und strukturiert an der Umsetzung moderner Arbeitsplatzmodelle arbeiten. Als Beispiel setzt Hewlett Packard (HP) seit Jahren ihre globale Kampagne zur Optimierung der Büroräumlichkeiten um. Je nach Bereich und Tätigkeit wird ein Arbeitsplatz für drei, vier oder gar fünf Mitarbeiter vorgesehen. Eine andere Strategie schildert Philipp Lustenberger von der Genossenschaft Migros Luzern, wo ein fester Wochentag als Homeoffice-Tag festgelegt ist.

Die Umsetzung in mittleren oder kleineren Unternehmen geschieht hingegen noch zaghaft. Das zeigt auch das Beispiel von Studerus AG. Rolf Borkowetz, Head of Sales, bestätigt, dass es ausschliesslich auf der Initiative des einzelnen Mitarbeiters basiere, ob und wann jemand nicht im Büro arbeite. Wenn jemand zu Hause tätig sei, mache er das, um bestimmte Aufgaben termingerecht und effizient erledigen zu können.

Womöglich liegt es an Vorurteilen oder mangelndem Entscheidungswillen, dass dezentrales Arbeiten oder auch Homeoffice-Tage noch nicht in der Unternehmensstrategie integriert sind. So bilden mangelnde Kontrolle, Ablenkung durch private Tätigkeiten und Ineffizienz immer noch die Hauptpunkte der Kritik. Die Vorteile kann jedoch kaum jemand leugnen. So ist die Unternehmensleitung gefordert, die Mitarbeiter geeigneter Stellen systematisch zu befähigen, ihre Arbeit auch ausserhalb der Unternehmensräumlichkeiten zu erledigen. Technische und organisatorische Rahmenbedingungen bilden dabei die Grundvoraussetzung.

Heute konzentriert sich das flexible Arbeiten mehrheitlich auf Kader-, Aussendienst- oder Informatikmitarbeiter. Doch auch in anderen Funktionen gibt es geeignete Tätigkeiten, welche ausserhalb des Büros vorteilhaft erledigt werden können. Solche Tätigkeiten können sein: Arbeitsplanung, Konzepterstellung oder Designumsetzung. Sei der sichere Umgang mit den Daten erst einmal definiert, erklärt Mark Widmer von CKW Conex AG, könne man von Fall zu Fall festlegen, wer von zu Hause aus arbeiten dürfe.

Entwicklung von Homeoffices

Technologische Entwicklungen in den Bereichen Informatik und Kommunikation bieten immer mehr Unterstützung für dezentrales Arbeiten. So kann man heute von fast jedem Standort aus mit Notebook, Smartphone oder Tablet-PC auf das Internet zugreifen. Insbesondere zu Hause kann effizient gearbeitet werden, da bereits 71 Prozent der Schweizer Haushalte mit einem Hochgeschwindigkeitsanschluss ausgestattet sind.

Mit einfachen Mitteln kann schon heute jedes Unternehmen seinen Mitarbeitern den sicheren Zugriff auf Daten und Programme zur Verfügung stellen. Die Verschlüsselungstechnologien sind weitverbreitet und lassen sich einfach nutzen. Somit ist das dezentrale Arbeiten auch mit den Daten aus dem Unternehmen sicher. Bei der Sicherheit der Daten sind nicht nur die technologischen Möglichkeiten zu betrachten. Einen wesentlichen Beitrag müssen die Mitarbeiter leisten, indem sie verantwortungsvoll und diszipliniert mit den Arbeitsinstrumenten umgehen.

Bisher verfügen mehrheitlich nur grössere Unternehmen über erforderliche IT-Infrastrukturen. Mit dem Aufkommen von Cloud-Computing (Nutzung extern verfügbarer Daten­speicher und Anwendungen) können auch Kleinstunternehmungen die modernsten Lösungen mieten. Bereits mit wenigen Mausklicks lässt sich die firmenindividuelle Arbeitsumgebung online bereitstellen und jederzeit anpassen. In Zukunft wird diese Technologie grossen Einfluss auf das dezentrale Arbeiten haben, denn die gesamte Software-Industrie richtet ihre Produktentwicklung auf diesen Megatrend aus.

Herausforderungen

Zur heutigen Situation verändert sich das Arbeitsverhalten, zumal schon in knapp zehn Jahren die «Digital Natives» die Mehrheit der arbeitnehmenden Bevölkerung stellen. Die mit elektronischen Geräten und Online-Anwendungen aufgewachsenen jungen Menschen wollen ihr gewohntes Verhalten und die Hilfsmittel aus dem Privaten auch bei der Arbeit nutzen. Vermehrt werden Mitarbeiter ihre bevorzugten privaten Geräte einsetzen und nehmen damit den Unternehmen den Entscheid ab, ob sie die neuen Technologien nutzen wollen.

Aus Sicht des Unternehmens muss für die nachhaltig nutzbringende Strategie eines flexiblen Arbeitsmodells den Rechtsrisiken bei der dezentralen Datenverarbeitung Beachtung geschenkt werden. Zu diesen Rechtsthemen zählen: Datenschutz, Urheberrecht, Geheimhaltung, IT-Sicherheit. Arbeitgeber müssen erkennen, dass sie für gute und wichtige Arbeitskräfte an Attraktivität gewinnen, wenn sie über eine klare Strategie für dezentrales Arbeiten verfügen. Dies gilt nicht mehr nur für Grossunternehmen, vielmehr geraten solche Arbeitsmodelle auch bei mittleren und kleineren Unternehmen in den Fokus der Arbeitnehmenden. Sollte das Management damit zu lange zuwarten, könnte es in den Augen der Angestellten als «rückständig» oder «veraltet» wirken. Motivierte, dynamische Mitarbeiter zu halten oder zu finden, wird sehr schwer und kann so zur Existenzbedrohung führen.

Das dezentrale Arbeiten weitet sich auf viele zusätzliche Berufsfelder aus, deren Tätigkeiten sich vermehrt flexibel zum Privaten organisieren lassen. Eine Kundenbestellung, eine Reklamation oder ein Angebot von einer sonnigen Gartenterrasse aus erledigt, wird zur Selbstverständlichkeit. Ein Umdenken ist gefordert. Wenn Angestellte vermehrt zu Hause arbeiten, wird nicht nur Zeit gespart, sondern auch ungeahntes Leistungs-, Gesundheits- und Freizeitpotenzial angezapft. Dadurch fördert das Unternehmen die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter und damit auch die Produktivität der Unternehmung.

Heute eingesetzte Arbeitszeitmodelle und deren Kontrollinstrumente werden hier versagen. Gegenseitiges Vertrauen bildet die Basis einer solchen Zusammenarbeit. Die Führungskraft muss ihre Mitarbeiter als verantwortungsbewusst und unternehmerisch handelnd betrachten. Die einzig funktionierende Steuerung der Arbeitsinhalte erfolgt mit der Methode der vereinbarten Ziele und deren Kontrolle. Es ist nicht egal, ob und wann eine Unternehmung ins «dezentrale Arbeiten» einsteigt; es empfiehlt sich, dies möglichst bald und systematisch zu tun.

Homeoffice-Day

Ein möglicher Einstieg bietet die Website www.homeofficeday.ch mit vertieften Informationen sowie Ratgebern und Checklisten für interessierte Arbeitnehmende und Arbeitgebende. Zielsetzung dieser Initiative ist es, vermehrt auf die Thematik «dezentrales Arbeiten» aufmerksam zu machen. Der jährlich im Mai durchgeführte «Homeoffice-Day» bildet den nationalen Höhepunkt mit besonderen Aktivitäten.

 

Die Autoren sind Teilnehmer des Executive MBA der Hochschule Luzern – Wirtschaft