Mensch & Arbeit

Arbeitspsychologie I

Emotionen in Veränderungsprozessen

Kaum ein Thema im Business löst so starke Emotionen aus wie Veränderungen. Nicht umsonst gilt es als eine der schwierigsten Aufgaben für Unternehmer, Mitarbeiter durch Veränderungen zu führen. Wer dagegen intelligent mit den Emotionen umgeht, hat das halbe Changemanagement schon geschafft.
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Meistens stehen Veränderungen an, weil sie notwendig sind. Aber die Mitarbeitenden scheinen dies überhaupt nicht zu verstehen und stemmen sich dagegen, wo sie nur können. Der Firmensitz ist längst zu klein, die Software ist heillos veraltet oder die Vertriebsstrategie passt überhaupt nicht mehr zu moderner Vorstellung von Kundenbindung. Trotzdem halten wir an nichts lieber fest als an dem, was uns vertraut ist und was wir gewohnt sind. Wir fühlen uns wohl in unserem Büro, wir finden unsere Vertriebsstrategie genau richtig und wir haben uns so gut mit der Software arrangiert, dass uns die Schwachpunkte überhaupt nicht mehr bewusst sind. Stattdessen haben wir Bedenken, im neuen Büro könnten wir Nachteile haben, die neue Software könnte zu kompliziert sein oder uns in unseren Freiräumen einschränken. Und eine neue Vertriebsstrategie könnte uns womöglich zu Marionetten eines neuen Systems machen, das uns kaum noch Eigenverantwortung lässt.

Wie kann die Unternehmensführung in solchen Situationen die Loyalität ihrer Mitarbeiter bewahren? Wie sie für das Neue begeistern? Ein Beispiel: Ein mittelständischer Unternehmer ist sich seiner Sache sicher. Sein Dienstleistungsunternehmen ist in den letzten Jahren gewachsen, und es stehen noch mehr Neueinstellungen an. Er hat daher den Bau eines grösseren Standortes am Stadtrand veranlasst. Im Grunde ist alles entschieden, seine Bedenken der finanziellen Tragfähigkeit sind der Euphorie über das neue Gebäude gewichen. Denn das Platzproblem ist schon lange ein grosser Diskussionspunkt und sorgt für Unzufriedenheit. Seine Führungskräfte sollen nun besprechen, wie diese Veränderung der Belegschaft mitgeteilt wird, und wie der gesamte Prozess dann ablaufen soll.

Doch schon im ersten Meeting dazu zeigen die Manager viel weniger Freude als ursprünglich gedacht. Sie scheinen trotz der drückenden Enge mehr an ihren bisherigen Büros zu hängen, als der Unternehmer erwartet hätte – schliesslich wird in Zukunft jeder von ihnen ein grosses und helles Einzelbüro bekommen. Wie werden nun erst die Mitarbeitenden auf die Nachricht reagieren? Die ersten Rückmeldungen nach der Bekanntgabe in den Abteilungen sind alles andere als positiv. «Neue Büros sind ja schön, aber so weit draussen?»

Jede Veränderung, die man nicht selbst veranlasst hat, löst bestimmte Emotionen aus, die vom Prinzip her bei allen Menschen ähnlich sind. Lediglich in Intensität und Dauer unterscheiden sie sich, abhängig davon, welche Bedeutung man der jeweiligen Veränderung fürs eigene Leben beimisst und wie man im bisherigen Leben gelernt hat, mit Veränderungen umzugehen.

Der Unternehmer aus dem Beispiel hat entschieden gehandelt und ein wirkliches Problem in seinem Unternehmen angepackt. Aber er hat die Rechnung ohne die «Trägheit» der Mitarbeitenden gemacht; diese sind gefühlsmässig noch lange nicht so weit wie er selbst. Denn emotional durchlaufen alle Menschen verschiedene Etappen, bevor sie sich an das Neue gewöhnen und sich dafür begeistern können (siehe Abbildung 1).

In dem Moment, in dem ein Mensch von einer Veränderung in seinem Umfeld erfährt, leugnet er sie in der Regel erst einmal. Ein typischer Gedanke: «Das meinen die doch nicht ernst.» Die Betroffenen machen zunächst so weiter wie bisher und tun so, als würde es keine Veränderung geben. Gleichzeitig kommt die Sorge auf, «die könnten das doch ernst meinen». Mit der Erkenntnis, dass die Sache entschieden ist, baut sich Widerstand auf – Betroffene ärgern sich und versuchen, durch diese Emotion der Selbstbehauptung das Rad zurückzudrehen, «ohne mich!», heisst es dann. Erkennen sie, dass der Kampf zwecklos ist, stellt sich Resignation ein, sie begreifen den Verlust des Gewohnten und lieb Gewonnenen. Doch mit der Zeit weicht die Trauer der Neugier, neue Möglichkeiten werden erforscht: «Was ist für mich drin?», ist nun die Frage. Bis sie schliesslich einen Weg für sich finden, mit dem Neuen vertraut werden – und dann dazugehören wollen und die Veränderung als neuen Status quo sogar verteidigen. Die Abbildung zeigt dieses Wechselbad der Gefühle in vier Quadranten.

Je einschneidender die Veränderung empfunden wird, desto tiefer ist das «Tal der Trauer». Für eine wirkliche Erneuerung muss es diesen Tiefpunkt aber geben, die Phasen des Widerstands und der Erforschung sind Voraussetzung, um in der Phase der Erneuerung anzukommen. Während sich die Unternehmensleitung bei der Veröffentlichung einer Entscheidung normalerweise bereits im vierten Quadranten befindet (Erneuerung), erfahren die mittleren Führungsebenen davon oft erst zum gleichen Zeitpunkt wie die Mitarbeitenden und müssen alle Phasen noch durchmachen. Von ihnen wird aber erwartet, sofort Engagement zu zeigen und die Belegschaft auf schnellstem Weg in den vierten Quadranten zu bringen. Führungskräfte brauchen also die Fähigkeit, schneller als andere mit Veränderungen fertig zu werden. Dennoch ist es gut, wenn Unternehmensleiter ihren Führungskräften dafür ei­nen Vorsprung verschaffen.

Der Anspruch im Changemanagement ist also, Management und Mitarbeitende möglichst zügig durch die vier Phasen der Veränderung zu bringen, nicht aber, die Phasen des Widerstands und der Erforschung zu unterdrücken. Wenn die Mitarbeitenden angesichts eines Büroumzugs Bedauern zeigen, ist dies in Ord­jung. «Schade, früher war es so schön!» – jeder hat das Recht, so zu empfinden, sogar der Unternehmer selbst.

Wer aber nicht rechtzeitig den richtigen Rahmen setzt, riskiert, dass sich Frust breitmacht. Dann wird nur noch Dienst nach Vorschrift geleistet, man bemitleidet sich selbst und klagt sich gegenseitig sein Leid. Das ist weder Selbstbehauptung noch Abschiednehmen, sondern eine Mischung aus beidem mit wenig Selbstverantwortung. Die Energie der Mitarbeitenden verpufft im Jammern und steht dem Unternehmen nicht mehr zur Verfügung. Deshalb gilt es, den Ärger anzuerkennen und dies auch auszusprechen, dann in einer kurzen Pause die emotionale Anerkennung wirken zu lassen – «und es ist entschieden!» Zu der Entscheidung stehen, ohne die emotionale Anerkennung zu relativieren, und ohne ein «Aber» dazwischenzusetzen. Wenn die Mitarbeitenden den Verlust der alten Identität realisieren, aber noch keine neue gefunden haben, brauchen sie zunächst die Anerkennung ihres Bedauerns. Wer als Führungskraft auch so empfindet, sollte das zeigen und gleichzeitig ein Vorbild dafür sein, nicht darin zu versinken. Es ist wichtig, dieser Emotion Zeit und Raum zu geben: Nur wenn die Mitarbeitenden den Verlust auch verarbeiten dürfen, können sie offen für Neues sein.

Die Schwierigkeit bei Veränderungen besteht immer auch darin, die Loyalität der Mitarbeitenden nicht zu verlieren. Gerade in der Phase von Ärger und Trauer ist die Gefahr aber da: In der Wut steckt eine Menge Identifikation mit dem «alten» Zustand, der «alten» Strategie oder dem «alten» Standort. Es wird sozusagen noch für den Erhalt der alten Identität gekämpft. Erst wenn ihr Verlust realisiert wird (Beispiel: «Ich sass in der Zentrale im 5. Stock, jetzt bin ich weit weg auf der grünen Wiese») kann sich eine neue Identität bilden und damit die Identifikation mit dem Neuen.

Ebenso gut kann es aber auch sein, dass sich mancher Mitarbeitende für eine komplett andere Identität entscheidet, sprich ein neues Unternehmen oder Selbst­ändigkeit. Umso wichtiger ist es, die Kommunikation in der Veränderung durchgehend emotional intelligent zu gestalten. Diejenigen Mitarbeitenden, die im vierten Quadranten der Erneuerung ankommen, entwickeln wahrscheinlich eine höhere Loyalität als vorher, denn jede schwere Zeit, die man gemeinsam durchsteht, verstärkt das Band der Zusammengehörigkeit mehr als viele gute Zeiten. Ein emotional intelligentes Statement des Unternehmers könnte zum Beispiel lauten: «Ich weiss, was diese Entscheidung für viele von uns bedeutet: Eine weitere Anreise, höherer Aufwand, um mit alten Kollegen und Kolleginnen in Kontakt zu bleiben. Mir hat es in den alten Räumen auch sehr gut gefallen. Schade, dass die Zeit vorbei ist! Und – es ist entschieden, dass wir umziehen um mehr Platz für uns zu haben und um eine klare Struktur in unsere Arbeitsplätze zu bringen. So können wir besser für unsere Kundschaft arbeiten. Und deshalb lasst uns jetzt gehen und die neuen Räume zu unseren machen!»

Die richtige Mischung aus Entschiedenheit, Verständnis für die Emotionen der Mitarbeitenden und intelligentem Ausdruck der eigenen Emotionen kann jeder lernen. Und wer es schafft, auf die Emotionen der Mitarbeitenden zu reagieren, hat schon halb gewonnen. Widerstand an sich ist übrigens ein gutes Zeichen: Wer sich mit einer Sache identifiziert, kämpft darum. Mitarbeitenden, die sich wehren, ist es nicht egal, was in ihrem Unternehmen passiert. Wenn jemand auf Veränderung gleichgültig reagiert, bringt er vermutlich auch keine Leidenschaft für seine Themen auf. Welcher Unternehmer will solche Mitarbeiter! «

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