Mensch & Arbeit

Burnout

«Ein fliessender Übergang zwischen Erschöpfung und Burnout»

Immer mehr Menschen leiden an einem Burnout und fühlen sich körperlich und emotional ausgebrannt. Ein Burnout kann jeden treffen, ist aber kein unabwendbares Schicksal, dem Betroffene ausgeliefert sind. Dieser Beitrag zeigt Möglichkeiten der Prävention und der Behandlung von Burnout.
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Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO schätzt, dass Burnout und Stress am Arbeitsplatz die Schweizer Volkswirtschaft jährlich 4,2 Milliarden Franken kosten. Wie häufig Burnout in der Schweiz diagnostiziert wird, ist nicht bekannt, weil Burnout heute von den Krankenkassen noch nicht als Diagnose klassiert wird. Christian Seeher, Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie und Leiter des neuen Zentrums für stressbedingte Erkrankungen am Sanatorium Kilchberg ZH, beobachtet eine klare Zunahme bei Burnout im klinischen Alltag: «Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die von schneller, höher, besser geprägt ist. Die Ansprüche, die an uns gestellt werden, und die wir an uns selber stellen, haben deutlich zugenommen.»

Prof. Dr. med. Roland von Känel, Chefarzt Kompetenzbereich für Psychosomatische Medizin am Inselspital Bern, stellt ebenfalls eine Zunahme von Burnout-Fällen fest und erklärt: «Die heutige Arbeitswelt begünstigt ein Burnout, denn gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten sind viele Arbeitnehmer bereit, noch mehr zu leisten.» Doch der Mensch kann nicht immer mehr leisten. Wer über einen längeren Zeitraum täglich einer Arbeitsbelastung von elf und mehr Stunden ausgesetzt ist, zu viel Verantwortung trägt, aber wenig Handlungsspielraum am Arbeitsplatz hat, hat ein erhöhtes Burnout-Risiko. Irgendwann kommt es zur totalen Erschöpfung (siehe auch Artikel « Wenn Leistungsstress das Selbstvertrauen untergräbt», «KMU-Magazin», Ausgabe 1-2/2013, Seite 84).

Früher haben die Menschen auch viel gearbeitet, um ihre Familie zu ernähren. Heute wollen sich viele Arbeitnehmer im Beruf verwirklichen und haben hohe Erwartungen an die Arbeit. Der Lohn ist nicht mehr die einzige Motivation für den Job. Die hohen Anforderungen, die wir an unsere Arbeit stellen, können manchmal nicht erfüllt werden. Deshalb sind wir heute anfälliger auf Frustrationen. Wenn der Job der Lebensinhalt eines Menschen ist, fehlt oft auch das soziale Netzwerk. Läuft es bei der Arbeit dann nicht so wie gewünscht, ist das für viele Menschen eine Katastrophe.

Einsatz wird von jedem Arbeitgeber verlangt. Von Burnout sind vor allem Arbeitnehmer betroffen, die hoch motiviert und sehr engagiert sind. Christian Seeher dazu: «Nicht umsonst heisst es, wer an einem Burnout leidet, hat mal ‹gebrannt›.» Betroffene können vor lauter Arbeit und Engagement nicht mehr abschalten, setzen sich selber unter Zeitdruck und sind dauernd unter Strom. Sie sind bereit, vollen Einsatz zu geben und verlangen von sich mehr, als ihr Körper geben kann. Dabei bleibt die Erholung auf der Strecke. Nur hoch motivierte Menschen können sich bis zur Erschöpfung einsetzen. Aber auch diese brauchen danach wieder eine Erholungspause. So erging es auch Natalie Rickli, dem Aushängeschild der SVP, vor einigen Monaten. Durch Job, Politik und soziale Medien wie Facebook und Twitter war sie immer auf Draht – bis es einfach nicht mehr ging. Sie verbrachte einige Monate in einer Klinik.

Oft hat auch das soziale Umfeld bei der Arbeit einen Einfluss. Besonders negativ wirkt sich Mobbing aus. Fehlen Anerkennung und Entwicklungsmöglichkeiten im Job, entsteht bei überengagierten Menschen bald einmal ein Missverhältnis zwischen Einsatz und dem, was zurückkommt. Heute wird Anerkennung für die meisten Arbeitnehmer nicht mehr nur durch den Lohn definiert. Betroffene fühlen sich am Arbeitsplatz unfair behandelt und haben zum Beispiel das Gefühl, dass andere bevorzugt werden. Die subjektive Wahrnehmung der Situation spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung eines Burnouts.

Christian Seeher empfiehlt Menschen, die das Gefühl haben, den Anforderungen im Job nicht gewachsen zu sein und sich fragen, ob sie an einem Burnout leiden, ein Gespräch mit einer Fachperson. «Der Übergang zwischen einer Erschöpfung und einem Burnout ist fliessend», so der Fachmann. Ein Hinweis kann zum Beispiel das Wohlbefinden nach einem Ferienaufenthalt sein. Ist die betroffene Person nach einer Woche Ferien erholt, ist das ein Zeichen dafür, dass es sich um eine Erschöpfung handelte. Fühlt sich die betroffene Person nach den Ferien schlechter, spricht das für ein Burnout. Dr. Roland von Känel rät zu frühzeitigem Handeln: «Einerseits können hinter einer totalen Erschöpfung auch andere Krankheiten stecken. Andererseits weiss man, dass die Behandlung eines Burnouts mit der Dauer der Symptome korreliert. Je länger ein Burnout andauert, desto länger brauchen Betroffene in der Regel, um sich davon zu erholen.»

Ein Burnout entwickelt sich schleichend. «Wer erste Anzeichen beobachtet, sollte versuchen, sein Leben aus Distanz zu betrachten und sich darauf zu besinnen, was einem im Leben wirklich wichtig ist», sagt Christian Seeher. Am besten denkt man in diesem Moment nicht ständig an die Zukunft. Das Hier und Jetzt ist wichtiger. Betroffenen fällt dies oft schwer, weil sie Angst davor haben, den Job zu verlieren. Doch gerade diese Angst um den Job erhöht den Stresslevel des Körpers. Atem- und Pulsfrequenz steigen und die Muskeln können sich nicht mehr entspannen. Besonders in angespannten Situationen müssen Betroffene versuchen, leistungsfähig zu bleiben. Das gelingt, indem man sich nach maximal zehn Stunden Arbeit sagt «Jetzt ist Schluss» und einen Ausgleich sucht. Als besonders wirksam hat sich gemässigter Sport erwiesen. Dr. Roland von Känel dazu: «Moderater Sport drei Mal pro Woche trägt dazu bei, dass man resistenter gegen psychosozialen Stress wird. Ausserdem werden dadurch weniger Stresshormone ausgeschüttet, und die Herzfrequenz steigt in stressigen Situationen weniger an.» Sport wirkt ähnlich wie ein Antidepressivum. Viele Burnout-Patienten leiden gleichzeitig auch an einer Depression. Hilfreich können Hobbys sein. Christian Seeher erklärt: «Jeder Mensch sollte einen Bereich nur für sich pflegen, ob das nun Schachspielen oder Fotografieren ist, spielt keine Rolle.»

Noch vor 20 Jahren hätte sich wohl niemand vorstellen können, dass wir heute unsere E-Mails dank Smartphones und Tablets überall und jederzeit checken können und auch telefonisch immer erreichbar sein würden. Heute ist das Realität. Viele Arbeitnehmer lesen ihre Mails selbst in den Ferien und bleiben auch in der Ferne telefonisch erreichbar. Die permanente Erreichbarkeit wird von vielen geschätzt, führt aber dazu, dass unser Körper nicht in den Ruhemodus kommt und wir auch in den Ferien nicht abschalten können. Christian Seeher appelliert hier an die Selbstkontrolle: «Wir stellen heute fest, dass viele Arbeitnehmer spät abends noch ihre E-Mails abrufen und ihr Handy nie ausschalten. Doch zwischen 20 Uhr abends und 8 Uhr morgens passiert meist nichts Superdringendes, das nicht bis zum nächsten Tag warten kann.» Er empfiehlt, mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren, wann Erreichbarkeit wirklich erwartet wird. Die Kommunikation ist heute so einfach und schnell, dass viele Menschen den Anspruch an sich stellen, immer alle Mails und Voice Mails sofort beantworten zu müssen. Hier kann es sinnvoll sein, das eigene Kommunikationsverhalten zu hinterfragen.

Zu einer gesunden Lebensweise gehören eine ausgewogene Ernährung, Bewegung und Entspannung. Beim dritten Punkt hapert es oft. Entspannen kann man sich nicht auf Knopfdruck. Das muss man zuerst lernen. Ausserdem hat jeder Mensch andere Präferenzen in Bezug auf die Entspannung. Während die einen im Theater total abschalten können, tun es andere an der frischen Luft in den Bergen. Es gibt aber auch Entspannungstechniken, die man lernen kann, wie zum Beispiel die progressive Muskelrelaxation oder autogenes Training. Diese Methoden helfen, im Alltag innert weniger Minuten zu entspannen. Manchmal sorgen aber schon Hinsetzen und Durchatmen für Entspannung. Dr. Roland von Känel empfiehlt, Entspannung in den Alltag einzubauen und nicht aufs Wochenende oder auf die Ferien zu verschieben: «Sinnvoll sind kleine Pausen zwischendurch.»

Bei der Behandlung von Burnout gibt es verschiedene Ansätze. In einem ersten Schritt geht es darum, die Ursachen des Burnouts zu finden und für Stressentlastung zu sorgen, zum Beispiel durch die Reduktion des Arbeitspensums. In vielen Fällen helfen eine Gesprächstherapie oder ein Coaching. In manchen Fällen, zum Beispiel bei Suizidgefahr oder wenn Betroffene ein Timeout von zu Hause brauchen, wird ein Aufenthalt in einer spezialisierten Klinik notwendig. Dort werden die Symptome angegangen, die laut Prof. von Känel sehr unterschiedlich sein können. Er erklärt: «Leidet der Betroffene an Schlafstörungen, können kurzfristig Schlafmittel eingesetzt werden, damit sich die Person erholen kann. Bei Schmerzen können Schmerzmittel zum Einsatz kommen. Besteht ein Suchtproblem, wird ein Entzug empfohlen. Ist der Betroffene depressiv, muss die Depression mitbehandelt werden.»

Zentral ist, dass Betroffene lernen, sich zu entspannen – mit welcher Technik ist weniger entscheidend. Sowohl das Inselspital Bern als auch das Sanatorium Kilchberg versuchen, nach Möglichkeit den Arbeitgeber des Betroffenen einzubeziehen und mit ihm zu schauen, ob die Situation durch organisatorische Veränderungen am Arbeitsplatz verbessert werden kann. Christian Seeher hat damit sehr positive Erfahrungen gemacht: «Die meisten Arbeitgeber sind da sehr offen, weil in der Regel sehr engagierte Mitarbeitende von einem Burnout betroffen sind.» Fühlt sich der Betroffene besser, kann der Wiedereinstieg mit einem Teilzeitpensum ideal sein, um einen Rückfall zu verhindern. «

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