Digitalisierung gilt in vielen Unternehmen als Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit. Neue ERP-Systeme, Cloudlösungen oder moderne Serviceportale sollen Effizienz und Transparenz bringen. Doch die Realität ist oft ernüchternd: Die Technik funktioniert, die Erwartungen bleiben unerfüllt.
Der Grund: Während viel Zeit und Budget in Tools und Systeme fliesst, wird der Faktor Mensch unterschätzt. Unklare Kommunikation, fehlende Schulung oder zu wenig Zeit für die Umstellung führen dazu, dass Mitarbeitende sich überfordert oder gar übergangen fühlen. Ohne eine langfristige Verankerung mit Feedback-Schlaufen und kontinuierlicher Begleitung bleibt die Digitalisierung Stückwerk.
Typische Stolpersteine
Aus zahlreichen Projekten lassen sich immer wieder ähnliche Schwierigkeiten beobachten. Oft bleibt die Kommunikation an der Oberfläche: Es wird zwar erklärt, was eingeführt wird, doch die Begründung, warum die Veränderung notwendig ist, fehlt. Mitarbeitende erhalten dann zwar Zugang zum neuen Tool, aber keine wirkliche Unterstützung im Umgang damit.
Hinzu kommt, dass die Schulungen meist mit dem laufenden Tagesgeschäft konkurrieren – wer zwischen Kundenanrufen und Produktionsaufträgen sitzt, hat wenig Zeit und Energie, sich intensiv mit neuen Prozessen auseinanderzusetzen. Selbst wenn die Einführung gelingt, fehlt häufig die langfristige Verankerung. Rückmeldungen aus dem Alltag werden nicht systematisch aufgenommen, notwendige Anpassungen bleiben aus.
Die Folge ist ein Muster, das vielen KMU vertraut ist: Frust baut sich auf, Mitarbeitende fühlen sich übergangen, und Widerstand entsteht – mal leise, mal offen. Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen, in denen Strukturen schlank sind und persönliche Beziehungen eine zentrale Rolle spielen, wirken solche Faktoren besonders stark. Ein Projekt, das technologisch sauber umgesetzt ist, kann dadurch im Alltag ins Stocken geraten – oder gar scheitern.
Der Blick auf den Reifegrad
Roger Casagrande, Co-Geschäftsführer der itcnet AG in Oberentfelden, betont die Bedeutung einer ehrlichen Standortbestimmung: «Die Einführung modernster digitaler Lösungen ist zwecklos, wenn die Kultur und die Mitarbeitenden eines Unternehmens nicht bereit sind. Entscheidend ist, den Reifegrad realistisch einzuschätzen – und dann in Etappen vorzugehen.» Die Komplexität solcher Projekte sei immer hoch. Fehler oder schlechte Adaptionen führten schnell zu Ertragsausfällen und Unzufriedenheit. Deshalb sei es wichtig, gleich zu Beginn klare Spielregeln zu definieren: Wer trägt welche Verantwortung? Wann und wie wird kommuniziert? Welche Eskalationswege gibt es?
Kultur schlägt Technologie
Technologie sei heute selten das Problem. Die meisten Lösungen für KMU haben gemäss Roger Casagrande inzwischen einen hohen Reifegrad erreicht. Entscheidend sei die Umsetzung – und die hänge von Führung, Zusammenarbeit und Unternehmenskultur ab.
Casagrande erläutert: «Projektmanagement in Form von Planung, Führung, Konzeption und Testing stellt mittlerweile den grössten Teil des Aufwands dar. Technik ist wichtig, aber sie ist nicht mehr die entscheidende Hürde.» Digitalisierung ist damit längst kein IT-Thema mehr, sondern eine Managementaufgabe.
Die Rolle der Technischen Kaderleute (TK)
Eine besondere Rolle kommt den Technischen Kaderleuten (TK) zu. Sie verbinden technisches Wissen mit betriebswirtschaftlichem Verständnis und können so Brücken schlagen – zwischen Werkhalle, Büro und Geschäftsleitung. TK sind in der Lage, Fachsprache in anwendbare Abläufe zu übersetzen, die Bedürfnisse von Mitarbeitenden aufzunehmen und sie in Projektstrukturen einzubringen. Damit sichern sie, dass die digitale Transformation nicht an der Schnittstelle zwischen Technik und Alltag hängen bleibt.
In der Praxis könnte das so aussehen: Ein Produktionsbetrieb führt ein neues ERP-System ein. Die IT-Abteilung sorgt für die technische Implementierung. Die Technischen Kaderleute stellen sicher, dass die Prozesse in der Werkhalle und in den Büros realistisch abgebildet werden, die Mitarbeitenden ausreichend geschult sind und Rückmeldungen systematisch in die Weiterentwicklung einfliessen. Ohne diese Brückenfunktion bliebe das System eine Insellösung – und die Akzeptanz im Betrieb gering.
Vom Roll-out zur Verankerung
Ein weitverbreiteter Irrtum besteht darin, Digitalisierung als einmaligen Roll-out zu betrachten: Ein System wird eingeführt, die Mitarbeitenden geschult, und danach gilt das Projekt als abgeschlossen. Die Realität sieht jedoch anders aus. Digitalisierung ist ein fortlaufender Prozess, der Zeit, Geduld und Anpassungsfähigkeit verlangt. Wer langfristig erfolgreich sein will, muss die Einführung als Beginn einer Entwicklung verstehen, nicht als Endpunkt.
Erfolgreiche Unternehmen schaffen dafür Strukturen, die Erfahrungen systematisch aufnehmen und auswerten. Sie etablieren Feedback-Schlaufen, in denen Rückmeldungen der Mitarbeitenden ernst genommen und konsequent in die Weiterentwicklung einfliessen. Schulung wird nicht als punktuelle Pflichtübung verstanden, sondern als kontinuierlicher Prozess, der Wissen aufbaut und Sicherheit im Umgang mit den neuen Werkzeugen vermittelt. Und schliesslich gehört auch die regelmässige Anpassung dazu: Prozesse werden überprüft, Abläufe justiert, und die Beteiligten werden aktiv einbezogen, damit sich die digitale Lösung tatsächlich im Alltag verankert.
So entsteht ein Kreislauf aus Lernen, Anpassen und Optimieren. Anstelle eines kurzfristigen Projekts wird Digitalisierung zu einem nachhaltigen Bestandteil der Unternehmensentwicklung – und genau darin liegt der Unterschied zwischen Aktionismus und echter Transformation.
Handlungsempfehlungen für KMU
Damit digitale Projekte Wirkung entfalten, sind vor allem drei Faktoren entscheidend. Zunächst braucht es eine ehrliche Standortbestimmung: Unternehmen müssen prüfen, wo sie kulturell, organisatorisch und personell stehen. Denn selbst die beste Technologie wird ins Leere laufen, wenn die Menschen im Betrieb noch nicht bereit dafür sind.
Ebenso zentral ist die Kommunikation. Die Gründe für die Veränderung müssen klar und nachvollziehbar benannt werden. Mitarbeitende sollten frühzeitig eingebunden werden, nicht erst bei der Schulung. Wer die Betroffenen zu Beteiligten macht und ihre Rückmeldungen ernst nimmt, schafft Vertrauen – und damit die Basis für Akzeptanz.
Schliesslich braucht es Klarheit in der Verantwortung. Rollen, Abläufe und Eskalationswege müssen von Anfang an definiert sein. Nur wenn alle Beteiligten wissen, wer wofür zuständig ist, lassen sich Missverständnisse vermeiden und die Verbindlichkeit sichern, die digitale Projekte in einem KMU brauchen.
Fazit
Digitalisierung ist mehr als Technologie. Sie bedeutet Veränderung, die nur dann gelingt, wenn Menschen, Prozesse und Systeme zusammenspielen. Für KMU heisst das: weniger Fokus auf die neueste Software – mehr Augenmerk auf Kommunikation, Change-Management und kontinuierliche Verankerung.
Technische Kaderleute spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie übersetzen, vermitteln und verankern – und machen Digitalisierung damit erst praxistauglich. Oder, wie es Roger Casagrande formuliert: «Technologie ist heute selten das Problem. Entscheidend ist, wie wir Menschen in diesen Wandel einbinden.»

