Mensch & Arbeit

Persönlichkeitsentwicklung

Die starke Kraft des verbalen Zielfotos

Ob gesetzte Ziele tatsächlich erreicht werden, hängt stark davon ab, wie sie formuliert wurden. Gerade persönliche Ziele sollten deshalb möglichst emotional und leidenschaftlich beschrieben werden. Vier Empfehlungen für die Praxis.
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Sich Ziele zu setzen, hat eine enorme Kraft: Es hilft, Klarheit und Struktur zu schaffen, kontrolliert voranzukommen und wichtige Änderungen diszipliniert umzusetzen.

Drei Voraussetzungen sollten allerdings erfüllt sein:

  1.  Die Ziele werden auf Basis einer Analyse erarbeitet.
  2. Die Ziele entsprechen damit unserer Motivstruktur.
  3. Die Ziele sind richtig formuliert.

Formulierungsregeln

Was aber «richtig formuliert» heisst, dazu gibt es sehr unterschiedliche Ansätze. «Smart», «Pure» oder «Clear» sind drei gängige Eselsbrücken, die bei der Formulierung von Zielen helfen sollen:

  • Smart steht für spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch und terminiert. Statt anspruchsvoll wird aber auch akzeptiert oder attraktiv in der Literatur aufgeführt.
  • Pure bedeutet, dass Ziele positiv (positively), also ohne das Wörtchen «nicht» formuliert sein sollten, vom Mitarbeiter verstanden werden und dieser einverstanden ist (understood) und dass sie zudem realistisch (realistic) sowie ethisch korrekt (ethical) sein sollten. 
  • Clear setzt sich zusammen aus den Stichworten herausfordernd (challenging), rechtmässig (legal), aufregend (exciting), einverstanden (agreed) und festgehalten (recorded).

Alle drei Zielformulierungs-Regeln erscheinen recht plausibel. Die Frage ist nur: Welche soll man anwenden? Oder gibt es gar andere Formulierungsgrundsätze, die vielleicht noch besser weiterhelfen?

Die drei genannten Eselsbrücken sind zur Formulierung von Unternehmenszielen entwickelt worden. Sie gehen davon aus, dass eine hierarchisch mir überstellte Person diese Ziele vorgibt und mich daran misst. An meinen persönlichen Zielen, die ich für mich selbst formuliert habe, messe ich mich aber in erster Linie selbst. Sie sind Ergebnis meiner Motive und rationalen Überlegungen, vielleicht oft schwer in die richtigen Worte zu fassen, sodass andere sie verstehen. Aber das ist nicht relevant. Wichtig ist nur, dass ich sie verstehe, durch die Schriftlichkeit verinnerliche und mich durch die regelmässige Auseinandersetzung motiviere, sie mit Leben zu füllen. In meinen persönlichen Zielen steckt Motivation pur – und aus diesem Grund ist es so wichtig, dass ich sie emotional formuliere, anstatt sie nur sachlich korrekt wiederzugeben.

Vier Empfehlungen

Bei der persönlichen Zielsetzung helfen folgende vier Empfehlungen deutlich weiter als die oben genannten drei Richtlinien:

1. Das Zielfoto in Worten beschreiben

Stellen Sie sich vor, Sie haben das Ziel erreicht. Beschreiben Sie sehr bildhaft und in möglichst emotionalen Worten, wie sich die Situation darstellt und was Sie vor Ihrem inneren Auge sehen:

  • Was ist tatsächlich eingetreten, wenn Sie am Ziel sind?
  • Was hat sich dadurch, dass Sie das Ziel erreicht haben, bei Ihnen persönlich verändert?
  • Was hat sich inzwischen in Ihrem Umfeld verändert?
  • Wie wirkt sich die Zielerreichung auf Sie und auf Ihr Umfeld aus?
  • Kann man anhand von sichtbaren Veränderungen erkennen, dass Sie das Ziel erreicht haben – zum Beispiel an der Umsatzlage Ihres Unternehmens, an besseren Zeiten auf Ihrer Standard-Joggingstrecke oder an baulichen Veränderungen an Ihrem Wohnhaus?
  • Werden bestimmte Personen Sie auf Ihren Erfolg ansprechen oder darauf reagieren – etwa Ihr Hausarzt, der begeistert ist von Ihren neuen Blutwerten, Ihr Kunde, der Sie für seinen eigenen Erfolg mitverantwortlich macht, oder Ihr Sohn, der Sie umarmt, weil Sie endlich den vierwöchigen Urlaub zu zweit möglich gemacht haben?
  • Welche nicht sichtbaren Veränderungen gibt es – beispielsweise eine bessere körperliche Verfassung, eine positivere Atmosphäre im Team, weniger Stimmungsschwankungen oder auch der persönliche Stolz, dieses Ziel erreicht zu haben.

Übrigens: Wenn Sie das Zielfoto exakt
beschreiben, dann wird Ihr Ziel auch
spezifisch und messbar.

2. Leidenschaftlich und emotional formulieren

Es kommt bei Ihrer Zielbeschreibung nicht auf Kürze und treffende Begriffe an, sondern auf Emotionalität. Sie sollten also das Zielfoto voller Leidenschaft in Worte fassen. Wenn Sie Ihre Beschreibung durchlesen, dann sollten Sie brennen vor Lust, sie umzusetzen. Setzen Sie sich mit Ihren Emotionen und Motiven, die zu diesem Ziel führen, auseinander und packen Sie diese entsprechend in Ihr Zielfoto.

Sollte Ihr Ziel eher ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einem übergeordneten Ziel sein und eher Pflicht als Kür, dann unterstreichen Sie in Ihrem Zielfoto, inwieweit dieses Etappenziel dem übergeordneten Ziel dient. Beschreiben Sie ausführlich, wie Ihr Selbstbewusstsein gestärkt wird, weil Sie diese Pflichtaufgabe erfolgreich erreicht haben und Sie dem übergeordneten Ziel ein grosses Stück näher gekommen sind.

Durch die emotionale Darstellung werden Sie das Ziel leichter akzeptieren, es wird attraktiv, aufregend und reizvoll. Somit erfüllen Sie automatisch weitere Punkte der anfangs genannten Zielformulierungs-Regeln. Sollte das Ziel für Sie ethisch nicht korrekt sein, werden Sie das nun schnell merken. Denn Ihre Emotionen sind nicht positiv, wenn Sie an das Ziel denken, und es wird Ihnen schwerfallen, dieser Richtlinie zu entsprechen.

Ein emotional beschriebenes Zielfoto lässt sich nicht in einer Zeile festhalten. Und das ist auch nicht notwendig. Einmal im Jahr, wenn Sie Ihre Jahresziele formulieren und Ihre Perioden- sowie Lebensziele aktualisieren, sollten Sie Ihren Emotionen und inneren Motiven freien Lauf lassen.

Zur besseren Übersicht erstelle ich mir jedes Jahr nach der emotionalen Zielfoto-Beschreibung zusätzlich noch eine eher sachliche Ziele-Liste mit der Kurzzusammenfassung meiner Jahresziele. Jedes Ziel besteht dabei nur aus wenigen Stichworten, der jeweiligen Priorität, dem geplanten Termin und einer Zielnummer. Diese Liste gibt mir Orientierung im Alltag und hilft mir bei meiner Monatszielplanung oder Tagesstrukturierung. Aber Motivation pur erhalte ich von meiner umfassenden, emotionalen Zielbeschreibung.

3. Das Wort «nicht» vermeiden

Wie erstellt man ein positiv formuliertes Ziel? In erster Linie, indem man das Wörtchen «nicht» vermeidet, denn unser Hirn denkt in Bildern. Aus diesem Grund bitte ich Sie, nun nicht an den Pariser Eiffelturm zu denken. Und wenn Sie schon dabei sind, dann denken Sie auch nicht an das frisch gebackene Croissant und den lecker duftenden Café au Lait, den Sie an einem wunderschönen Sonntagmorgen in einem Pariser Strassencafé geniessen.

Sollten Sie nun den Eiffelturm, etwas Leckeres zu essen oder einfach nur die französische Lebensart vor Augen haben, dann habe ich mein Ziel nicht erreicht. Denn ich hatte Sie ja gebeten, genau das zu ignorieren. Aber unser Kopf liebt Bilder, denkt in Bildern und weiss daher mit dem Wort «nicht» wenig anzufangen.

Sie wollen nicht mehr so viel wiegen? Dann formulieren Sie es positiv: «Ich habe innerhalb eines Jahres 15 Kilo abgenommen. Ich fühle mich leicht und frei. Ich bin stolz auf mich und meine Leistung. Meine Frau hat mich schon mehrfach angesprochen, wie gut ich aussehe, und auch meinen Arbeitskollegen ist es aufgefallen, dass meine neuen Anzüge deutlich schmaler geschnitten sind. Mir fällt es nun spürbar leichter, Sport zu treiben. Daher habe ich einen Termin bei einem Fotografen vereinbart, denn ich fühle mich aktuell so rundum wohl in meiner Haut – und das will ich im Bild festhalten.»  

4. Aktiv und in der Vergangenheitsform schreiben

Wichtig also für «starke» Zielformulierungen: Schreiben Sie Ihre Ziele so auf, als ob Sie diese schon erreicht hätten, bringen Sie Leidenschaft und Motivation in Ihre Zielbilder und lassen Sie das Wörtchen «nicht» weg.

Und noch eins: Die erste Empfehlung spricht vom Zielfoto, also von der Beschreibung des Zustandes, nachdem Sie das Ziel erreicht haben. Aus diesem Grund sollten Sie nicht «ich werde», «ich möchte», «ich sollte», «ich müsste» oder ähnliche Worte verwenden. Sie sollten sich vielmehr selbst verpflichten, indem Sie formulieren: «Ich habe … erreicht.» beziehungsweise «Ich habe erreicht, dass …». Oder wie es Ihr Deutschlehrer gesagt hätte: kein Futur, kein Präsens, sondern Perfekt – und bitte kein Konjunktiv, der auch als Möglichkeitsform bezeichnet wird. Stellen Sie Ihr Ziel nicht als Möglichkeit, sondern als Realität dar. Dies ist ein kleiner Trick, mit dem Sie sich selbst programmieren und Ihr Ziel besser annehmen können.

Grobplanung für jedes Ziel

Wenn Sie die drei zu Beginn genannten Regeln (Smart, Pure, Clear) betrachten, dann sind die meisten dort aufgeführten Punkte durch meine vier Formulierungs-Empfehlungen erfüllt. Mit Ausnahme von «realistisch», «anspruchsvoll» und «terminiert». Diese drei Punkte können Sie aber erst dann in einem Ziel mit einarbeiten, wenn Sie sich bereits Gedanken über den Zielweg gemacht haben. Das heisst, erst nach einer zumindest rudimentären Planung, zum Beispiel einer Meilenstein-Planung, können Sie abschätzen, welcher Zeitrahmen für dieses Ziel notwendig ist, inwieweit das Ziel realistisch und inwieweit es auch anspruchsvoll ist.

Aus diesem Grund benötigt ein wichtiges Ziel – bevor Sie sich endgültig dazu verpflichten, es anzupacken – einen groben Plan, um die Machbarkeit zu prüfen. Gibt es mehrere Möglichkeiten, das Ziel zu erreichen, beziehungsweise sind Sie sich noch nicht im Klaren, wie die Umsetzung konkret aussehen soll, dann machen Sie jeweils einen groben Plan und wägen auf dieser Basis ab, welches Ziel und welcher Weg am besten sind.

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