Mensch & Arbeit

Fachgespräch Arbeitswelten

«Der starre Arbeitsplatz wird weiter an Bedeutung verlieren»

Roger Jaggi, CEO der Bigla Office AG, über die Einflüsse auf zukünftige Arbeitswelten, die wachsende Rolle des Homeoffice und über den Zusammenhang zwischen Organisationsform und Arbeitsumgebung.

Die Bigla Office AG ist Herstellerin von Schweizer Büromöbeln und beschäftigt sich somit auch stetig mit den Veränderungen der Arbeitswelt. Herr Jaggi, wie wird sich Ihrer Meinung nach die Arbeitswelt durch die Corona-Krise verändern?
Ich bin davon überzeugt, dass sich die Corona-Krise stark auf die Digitalisierung auswirken wird. In Zukunft werden viel mehr digitale Tools genutzt, um Konferenzen reibungslos abzuhalten. Auch das flexible Arbeiten und die dadurch entstehende Diversität werden zunehmen. Was zur Folge hat, dass der starre Arbeitsplatz an Bedeutung verlieren wird. Jedoch nicht alle Unternehmen können von den Möglichkeiten profitieren. Diejenigen, welche mit einer Produktion in Verbindung stehen, werden weiterhin auf die Anwesenheit der Mitarbeiter angewiesen sein.

Bestehen weitere Einflüsse, die die Zukunft der Arbeitswelten betreffen?
In Zukunft wird die Bereitschaft, einen langen Arbeitsweg auf sich zu nehmen, sinken. Dies liegt an der Tatsache, dass die Freizeit zukünftig höher gewichtet wird. Mitarbeiter sind weniger gewillt, die wertvolle Freizeit im Stau zu verbringen. Ein grosser Einfluss ist zudem die Nachhaltigkeit. Der neuen Generation ist dies durch ihr Verhalten und ihre Wertvorstellungen ein grosses Anliegen. Auch wird in Zukunft das Thema Effizienz stark an Gewichtung zunehmen. Denn die Unternehmen versuchen, ihre Mit­arbeiter möglichst effizient einsetzen zu können. 

Beeinflusst das Homeoffice diese Effizienz positiv?
Natürlich. Durch die Einsparung des Arbeitsweges kann die gewonnene Zeit sinnvoll investiert werden. Ich denke, wenn eine Effizienzsteigerung erreicht werden soll, geht kein Weg mehr am Homeoffice vorbei, sofern die Mitarbeiter dies gutheissen. Denn nicht jeder ist zu Hause so eingerichtet, dass ein Home­office möglich ist. 

Wie kann der Arbeitgeber das Homeoffice unterstützen?
Im Büro wird eine Infrastruktur zur Verfügung gestellt, die eine möglichst hohe Effizienz gewährleistet. Dies sollte im Homeoffice nicht anders sein. Durch die sich weiter entwickelnde Dezentrali­sierung ist es notwendig, dass Mitar­beitern eine passende Infrastruktur zur Verfügung steht. Ein weiterer Punkt ist die Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Wer von zu Hause aus arbeitet, sollte sich seine eigenen Arbeitszeiten aussuchen können. Da privates und geschäftliches in Zukunft immer mehr ineinanderfliessen, besteht die Gefahr, dass sich Mitarbeitende nicht mehr abgrenzen können. Hier liegt es am Unternehmen, den Mitarbeitern den richtigen Weg zu zeigen. Auch das Vertrauen und die Kompetenzen der Mitarbeitenden sollte gefördert werden. Dezentrales Arbeiten bedeutet, dass der Arbeitnehmer über mehr Kompetenzen verfügen und mehr Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen muss. 

Was muss der Arbeitnehmer im Homeoffice beachten?
Der Arbeitnehmer soll sich wohlfühlen. Ob dies nun ein Raum mit passenden Büromöbeln wie beispielsweise einem höhenverstellbaren Tisch ist oder einem Raum, wo Büromöbel und Wohnmöbel ineinanderfliessen, ist sehr persönlich. Zu beachten ist zudem, dass die Balance zwischen Effizienz im Homeoffice und der Kulturbildung im Büro stimmt. Ich denke, es ist wichtig, dass jeder Mitarbeiter – ohne dass die Kommunikation und Kultur leidet – den eigenen Rhythmus der zu verbringenden Tage im Homeoffice finden kann. 

Wie verändert sich Ihrer Meinung nach denn die Kultur des Arbeitens?
Ich denke, die Kultur in einem Unternehmen wird sich stark verändern. Eine Kultur wird aus einzelnen Personen gebildet. Wo früher eine starke Verbindlichkeit und Identifikation zum Unternehmen existierte, wird diese Verbindlichkeit heute weniger stark gewichtet. Die Arbeit wird engagiert und sozial loyal erledigt. Es zeigt, wie stark der heutige Wandel der Unternehmen am Markt ist. Eine solche Beständigkeit der Unternehmen wie früher ist heute fast undenkbar.

Welche Punkte bezüglich der Kultur können kritisch werden, wenn ihnen zu wenig Beachtung geschenkt wird?
Menschen tauschen sich gerne aus, treffen sich physisch. Ich kann mir zum heutigen Zeitpunkt noch nicht vorstellen, dass Personen sich nur noch digital austauschen und ihr Business online betreiben. Denn Beziehungen zu pflegen und ein kreativer Austausch ist physisch heu­te immer noch zielführender. Ein weiterer, nicht ausser Acht zu lassender Punkt, ist das Wohlfühlen in seinem Arbeitsumfeld. Ob dies nun im Homeoffice oder im Büro ist. Dies wird erreicht durch passendes Mobiliar, Licht, Farbe, Akustik und der herrschenden Kultur.

Herr Jaggi, wie kann das Arbeitsumfeld im Büro optimal auf Kultur und Ansprüche des Unternehmens ausgerichtet werden?
Als erster Schritt sollte analysiert werden, welche Aufgaben die Mitarbeiter ausführen. Danach ist zu überlegen, was die hierzu passende Organisationsform sein könnte. Hier wird unterschieden zwischen abteilungszentriert und themenzentriert. Die abteilungszentrierte Organisation ist die klassische Variante, wo sich eine Abteilung ein Büro teilt. Zum anderen existiert die themenzentrierte Organisation. Bei dieser Variante arbeiten Mitarbeiter zu einem gewissen Thema zusammen im gleichen Raum. Themen können beispielsweise Kommunikation, Konzentration oder Kreativität sein. Ist die passende Organisationsform gefunden, sollte das Arbeitsumfeld dementsprechend angepasst werden. Eine Unternehmung muss sich jedoch nicht auf eine der beiden Organisationsformen festlegen. Es können auch beide gleichzeitig praktiziert werden.

Was sind die Vor- und Nachteile der jeweiligen Organisationsform?
In der abteilungszentrierten Organisa­tionsform kann ein schneller Austausch stattfinden, jedoch meist mit denselben Personen. Was zu weniger Informationen oder neuen Ideen führt. Bei der themenzentrierten Organisationsform findet man ein Umfeld vor, wo die Arbeit effi­zient erledigt werden kann und von an­deren Personen neue Inputs erfolgen können. Mit dem Nachteil, dass man sich nicht kurzfristig mit allen Personen der gleichen Abteilung austauschen kann.

Es ist kein Geheimnis, dass Immobilien in Zukunft immer teurer werden. Wie nehmen Sie die Preisentwicklungen wahr?
Die Preise werden sich weiter nach oben entwickeln. Denn Land wird es immer weniger geben. Zudem wird der Trend zunehmen, sich in Grossstädten oder Agglomerationen anzusiedeln. In anderen Ländern hat sich dieser Trend bereits seit längerer Zeit durchgesetzt. Dies hat starke Auswirkungen auf die Immobilienpreise. Durch die vermehrten Verkehrsknotenpunkte entstehen neue und logistisch interessante Orte. Für ländlichere Gebiete wird es immer schwerer, sich zu indust­rialisieren.

Welche Auswirkungen hat dies auf die Unternehmungen?
Der Standort eines Unternehmens ist entscheidend für die Rekrutierung von Mitarbeitern. Da sich diese zukünftig in Grossstädten und deren Agglomeration befinden, müssen sich Unternehmen anpassen. Dies hat zur Konsequenz, dass die gemieteten Quadratmeter teurer werden und somit eine Balance zwischen Kosten von Quadratmetern und Wohlergehen von Mitarbeitern gefunden werden muss. Hierbei ist eine weitere Überlegung, ob ein Teil der Arbeit auch de­zentral geleistet werden kann. 

Welche Auswirkungen hat dezentrales Arbeiten auf die Führung eines Unternehmens?
Dezentrales Arbeiten ist für die Führung eine grosse Herausforderung. Kann man sich nur gelegentlich physisch treffen, so braucht es Führungskräfte, die den Arbeitnehmern ein gewisses Vertrauen und mehr Kompetenzen zusprechen.

Wie gehen Sie persönlich diese Herausforderung an?
Mir ist es wichtig, dass Mitarbeiter sich im Büro oder bei gemeinsamen Anlässen austauschen können und somit Infor­mationen auf allen Kommunikations­wegen transparent weitergegeben werden. Ich möchte diesen Spirit selbst auch vorleben. 

Welche weiteren Herausfor­derungen bestehen für eine Führungskraft in Zukunft?
Der stetige Mitarbeiterwechsel stellt sich bereits heute als grosse Herausforderung dar, dies wird in Zukunft nicht abnehmen. Für mich persönlich ist auch wichtig, dass die Wertvorstellungen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber in etwa kon­gruent sind, was durch verschiedene Generationen nicht einfacher wird. 

Herr Jaggi, noch eine letzte Frage: Wie werden die Arbeitswelten und Arbeitsformen in zehn Jahren aussehen? Wo geht die Reise hin?
Wenn ich das wüsste ... Heute kann ich nur die Vermutung anstellen, dass sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren das themen- und abteilungszentrierte Arbeiten die Waage halten wird. Der Trend geht in die Richtung, dass in Zukunft immer weniger klassische Bürofläche genutzt wird. Weshalb die grösste Her­ausforderung für die Unternehmungen sein wird, dass sie die zur Verfügung stehenden Quadratmeter optimal aus­lasten können, sodass sich die Mitarbeiter immer noch an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen können. 

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