«Ich stosse an meine Belastungsgrenzen.» Diese Klage hört man häufig von den Führungskräften. Eine zentrale Ursache hierfür ist: Der Wettbewerbs- und somit der Veränderungsdruck, unter dem die Unternehmen stehen, hat sich erhöht. Deshalb führten die meisten Unternehmen in den zurückliegenden Jahren in ihrer Organisation Programme zur Effizienzsteigerung durch. Und diese führten wiederum dazu, dass die Führungskräfte heute oft entweder mehr Mitarbeiter führen oder mit weniger Mitarbeiter denselben Output erzielen müssen als noch vor wenigen Jahren.
Verändertes Arbeitsumfeld
Was sich im zurückliegenden Jahrzehnt in den meisten Unternehmen jedoch kaum gewandelt hat, ist deren Führungskultur und das Verhalten der Führungskräfte. Sie halten vielfach nicht mit den Veränderungen Schritt, die sich in den Unternehmen und deren Umfeld vollziehen. Und während zum Beispiel das Streben nach kontinuierlicher Verbesserung insbesondere auf der wertschöpfenden Ebene heute in vielen Betrieben ein integraler Bestandteil der Alltagarbeit ist, hat sich ein entsprechendes Denken in den Köpfen der Führungskräfte häufig noch nicht verankert.Dabei müsste sich das Führungsverhalten dringend ändern – auch weil sich die Arbeitsstrukturen und -beziehungen in vielen Unternehmen radikal gewandelt haben. So ist heute zum Beispiel, anders als noch vor 10, 15 Jahren, die oft bereichs- und hierarchieübergreifende Team- und Projektarbeit die gängige Arbeitspraxis in modernen Unternehmen – zumindest in deren Kernbereichen. Und eine Anforderung an alle Mitarbeiter lautet: Sie sollen ihre Aufgaben weitgehend eigeninitiativ und -verantwortlich erfüllen. Das setzt voraus, dass die Mitarbeiter sich mit dem Unternehmen und ihren Aufgaben identifizieren – unter anderem, weil sie
- Wertschätzung erfahren,
- die Ziele des Unternehmens kennen und akzeptieren und
- ihr Tun als sinnvoll erfahren.
Das setzt wiederum einen anderen Führungsstil und ein verändertes Führungsverhalten voraus.
Ein verändertes Führungsverhalten ist auch nötig, weil heute die Mitarbeiter, wenn es um das Erfüllen gewisser Fachaufgaben geht, oft eine höhere Kompetenz als ihre Vorgesetzten haben. Entsprechend selbstbewusst treten sie ihnen entgegen, und in der Kommunikation mit ihnen möchten sie die Wertschätzung spüren, die ihnen und ihrer Arbeit nach ihrer Auffassung gebührt. Sonst sinkt ihre Arbeitsmotivation, und im Extremfall wechseln sie den Arbeitgeber.
Hinzu kommt: Früher sahen die meisten Arbeitnehmer in der Erwerbstätigkeit ein notwendiges Übel, um den Lebensunterhalt zu sichern. Heute hingegen hat die Arbeit zumindest für viele hoch qualifizierte Mitarbeiter auch eine identitätsstiftende Funktion. Das heisst, sie stellen höhere Anforderungen an ihre Arbeit und somit ihre Führungskräfte. Und die Führungskräfte? Sie stehen vor der Herausforderung, diese zu erfüllen, damit sich ihre Mitarbeiter mit ihrer Arbeit identifizieren und die gewünschte Leistung bringen.
Neues Selbstverständnis nötig
Dies ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Das zeigen die zahlreichen Attribute, die den Führungskräften in den letzten Jahren zugeschrieben wurden. Neben den klassischen Führungsrollen sollen sie unter anderem Leader, Entrepreneure und Coachs ihrer Mitarbeiter sein. Wen wundert es da, dass viele Führungskräfte an ihre Belastungsgrenzen stossen, zumindest wenn sie kein neues Selbstverständnis als Führungskraft entwickelt haben; ausserdem keine Strategien, um die Zeit und Energie, die sie für das Wahrnehmen ihrer Funktion aufwenden, zu minimieren.
Nicht geändert hat sich die Kernaufgabe von Führung. Sie lautet weiterhin: Führungskräfte müssen sicherstellen, dass der ihnen anvertraute Bereich seinen Beitrag zum Erreichen der Unternehmensziele leistet. Radikal gewandelt haben sich jedoch die Rahmenbedingungen, unter denen Führungskräfte diese Aufgabe wahrnehmen. Und diese werden sich künftig in noch kürzeren Zeitabständen ändern. Deshalb gelangten viele Unternehmen zur Erkenntnis:
- Unsere Führungskräfte brauchen ein dynamischeres Führungs(selbst-)verständnis. Und:
- Sie müssen, ähnlich wie die Mitarbeiter auf der wertschöpfenden Ebene, reflektieren, inwieweit ihr Verhalten (noch) zielführend ist – auch um die Relation Input an Zeit und Energie und Output zu optimieren.
Oder anders formuliert: Die Führungskräfte müssen sich fragen, wie sie ihre Wirksamkeit in der Organisation erhöhen können.