Mensch & Arbeit

Kommunikation

Das Erfolgsrezept «mitfühlende Kommunikation»

Gesprächssituationen können Menschen miteinander verbinden und zu Höchstleistungen anspornen oder auch langjährige (Geschäfts-)Beziehungen beenden. Das Resultat hängt von der entgegengebrachten Empathie und vom gegenseitigen Vertrauen ab, vor allem aber auch von der Fähigkeit, konzentriert zuzuhören.
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«Adieu», sagte der Fuchs. «Hier mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.» Im Geheimnis, das der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry den kleinen Prinzen entdecken lässt, steckt mehr Wahrheit, als wir vielleicht denken. Das Ziel jedes guten Gesprächs ist Verständnis und Zusammenarbeit, der Weg dorthin führt über Mitgefühl und Vertrauen – eine Art innere Verbindung, die offenbar vom Cingulatum anteriore, dem Mitgefühls-Zentrum im Hirn, gesteuert wird.

Neu kommunizieren lernen

Die neuste Hirnforschung belegt inzwischen die Rolle des Einfühlungsvermögens für erfolgreiches Kommunizieren. Allerdings ist uns Mitfühlende Kommunikation weder in die Wiege gelegt noch passiert  sie im Gespräch von selbst.
 
«Fast alle Forschungen auf dem Gebiet der Kommunikation scheinen zu bestätigen, dass wir die Kunst des Dialogs nur schlecht beherrschen», schreiben die beiden amerikanischen Neurowissenschafter Andrew Newberg sowie Mark Robert Waldman. Sie sind davon überzeugt, dass die meisten Menschen ihre kommunikativen Kompetenzen konstant überschätzen und dass wir unsere eingefahrenen Kommunikationsstrategien verlernen und ganz neu trainieren müssen, weil sie wenig zielführend sind.

Waldman und Newberg beschäftigen sich seit 1992 intensiv mit der Frage, wie die Kommunikation zwischen Menschen verbessert werden kann: Anhaltspunkte dafür fanden sie in Experimenten mit Probanden und neurowissenschaftlichen und psychologischen Studien. In ihrem Buch «Die Kraft der Mitfühlenden Kommunikation» legen die Hirnforscher die Quintessenz ihrer langjährigen Untersuchungen vor: ein praktisches 12-Punkte-Programm zur Einübung und Verbesserung der Kommunikationsfähig-keiten für jedermann und jegliche Gesprächssituation.

Die 12 Schlüssel-Strategien

Die 12 Schlüssel-Strategien helfen, die Dynamik eines Gesprächs für alle Seiten spürbar zu verbessern: «Wenn Sie in Ihren Gesprächen davon Gebrauch machen, passiert etwas Überraschendes: Ihre beiden Gehirne – Ihres und das Ihres Gesprächspartners – fangen an, sich aufeinander abzustimmen.» Diese besondere Wechselwirkung heisst «neuronale Resonanz». «In diesem Zustand verstärkter Übereinstimmung können zwei Menschen zusammen bemerkenswerte Dinge vollbringen.» Das gilt selbst für zwei sich völlig Fremde. «Weil die neuronale Resonanz die Abwehrhaltung ausschaltet, die meistens zwischen Fremden herrscht.»

Dieses Einschwingen von zwei Individuen mit Herz und Hirn aufeinander macht ein erfolgreiches Gespräch erst möglich; die oder der Sendende kann die beabsichtigte Botschaft vermitteln und dem Empfangenden gelingt es, genau diese Botschaft zu verstehen – und nicht etwas völlig anderes. Die Methode der «Mitfühlenden Kommunikation» wurde ursprünglich entwickelt, um Paaren bei der Vertrauensbildung und Konfliktlösung zu helfen. Sie nützt jedoch ebenso bei Gesprächen zwischen Arbeitgebern und Angestellten, Erwachsenen und Kindern, Ärzten und Patienten, Dienstleistern und Kunden.

In den USA hat die «Mitfühlende Kommunikation» via die Vorstandsetagen bereits Eingang in die tägliche Arbeit verschiedener grosser und kleiner Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen gefunden. Manager und Kundenberater sowie Kreations-Teams lernen sie, üben sie ein und wenden sie an.

Der Untertitel des Buches «Wie Worte unser Leben verändern» ist allerdings etwas irreführend: Die Worte sind bei der propagierten Kommunikationsstrategie weniger als die halbe Miete. Von den zwölf Punkten haben gerade vier (Schritte 8 bis 11) mit verbaler Kommunikation zu tun. Auch legen die beiden Experten in ihren Ausführungen deutlich mehr Gewicht auf die übrigen Punkte, so dass man zum Schluss kommen muss: Die Schlüsselfaktoren für gelingende Kommunikation sind vor allem nonverbal.

Die ersten sechs Schritte dienen der Vorbereitung vor der Gesprächssituation, der Blick dabei ist auf sich selbst gerichtet; sie schaffen einen inneren Zustand von Positivität, Achtsamkeit, Entspannung, Präsenz und innerer Ruhe. Dieser Zustand ist gewissermassen die Voraussetzung, um mit dem Herzen zu sehen. Erst wenn wir ganz bei uns selbst sind, können wir im Gespräch auch aufmerksam auf die nonverbalen Signale achten, die uns zu entschlüsseln helfen, was der andere wirklich denkt und fühlt: Mimik, Gestik, Tonfall, Gefühlsregungen.

Kooperation statt Konkurrenz

Die Autoren betrachten diese Achtsamkeit für die nonverbalen Signale als eine Form des aufmerksamen Horchens – und betonen immer wieder, wie wichtig es auch im eigenen Interesse für den gesamten Gesprächsverlauf ist, dass wir imstande sind, intensiv und fokussiert zu-zuhören (Punkt 12): «Die Mitfühlende Kommunikation legt genauso viel Gewicht auf das Zuhören wie auf das Sprechen.» Denn konzentriertes Zuhören ist für neuronale Resonanz entscheidend:

«Wie jüngste Gehirnscan-Forschungen zeigen, spiegelt unser Gehirn umso stärker die Aktivität des Gehirns vom Gesprächspartner wider, je intensiver wir zuhören.» Sorgen und Freuden mitfühlen und wirklich verstehen können wir nur, wenn wir auch wirklich zuhören. Dafür muss es uns auch gelingen, den ständigen inneren Fluss der Gedanken zu unterbrechen (siehe Box «Kommunikationskiller schlechtes Zuhören»).

Kooperation statt Konkurrenz, empathisch zuhören, sich aufrichtig zeigen und zu seinen Werten stehen – das alles erinnert streckenweise sehr an die bekannten Rezepte der «Gewaltfreien Kommunikation» nach Marshall B. Rosenberg. Auch Rosenberg betont ja die Bedeutung von Empathie und Zuhören für den Gesprächs-erfolg. Vielleicht kommt Newberg und Waldman schlicht das Verdienst zu, die Richtigkeit des Ansatzes der gewaltfreien Kommunikation neurowissenschaftlich untermauert zu haben.

Zustimmung ausdrücken

Auch die Tipps zur verbalen Kommunikation (8 bis 11) sind so neu und originell nicht, es kann aber sicher nicht schaden, sie sich vor jedem Gespräch in Erinnerung zu rufen: Machen Sie Komplimente, seien Sie freundlich, loben und anerkennen Sie, drücken Sie Ihre Zustimmung aus, reden Sie von Erfreulichem statt sich zu beklagen, sprechen Sie langsam, in warmem und fürsorglichem Ton und vor allem: Fassen Sie sich kurz.

Die Autoren betonen diesen letzten Punkt immer wieder, auch im Licht neurologischer Untersuchungen. Sie fordern, dass man sich konsequent an die 30-Sekunden-Regel hält: «Wenn man anderen etwas mitteilt, sollte man sich immer auf eine Äusserung von 20 bis 30 Sekunden beschränken.»

Der Grund dafür ist: Unser Arbeitsgedächtnis kann für die Kommunikation gar nicht mehr als vier Informations­blöcke aus dem Langzeitgedächtnis her­vorholen, und diese winzigen Informationsstücke behält es für höchstens 30 Sekunden. Mehr liegt nicht drin, drum sollte man es gar nicht erst versuchen. Die 30-Sekunden-Regel ermöglicht es, irrelevante Informationen herauszufiltern, verhindert es, das Gegenüber mit zu viel Information zu überladen und begrenzt zudem die Möglichkeit, negative Emotionen auszudrücken.

Die Neurologen warnen wiederholt davor, negative Emotionen wie Wut und Zorn überhaupt zu äussern; das sei aus neurologischer Sicht völlig kontraproduktiv und sabotiere mit Sicherheit jedes Gespräch. Allerdings führt es auch zu keinem guten Ergebnis, wenn man negative Gefühle bloss unterdrückt, wenn sie einmal da sind. Stattdessen solle man die negativen Gefühlsregungen einfach beobachten – ohne sie zu bewerten oder zu artikulieren.

Negative Gedanken «umformen»

Anschliessend solle man jedes emotionale Gefühl und jeden negativen Gedanken so umformen, dass er in eine positive, mitfühlende und lösungsorientierte Richtung führe. Aber damit nicht genug: Weil das Hirn ungemein stärker auf Negativität reagiere als auf Positivität, sei es sogar nötig, jedem negativen Gedanken als
Reaktion drei bis fünf positive Gedanken folgen zu lassen. Die renommierte Psychologin Barbara Fredrickson hat die Wichtigkeit dieser Regel in ihrem Buch «Positivity» beschrieben. Wer das schaffe, dem seien florierende Geschäfte und gedeihende Beziehungen sicher.

Die Autoren geben zu, dass es schwierig ist, alte und falsche Kommunikationsweisen durch neue zu ersetzen und dass man dafür sehr viel üben muss. Geht es nach Newberg und Waldman so können täglich 20 Minuten Training aber wahre Wunder bewirken – schon innerhalb von acht Wochen: «Sie werden Ihr Gehirn buchstäblich neu verdrahten, um effektiver zu kommunizieren.»

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