Mensch & Arbeit

Standortmanagement

Das alte Zürich lebt in Finnland

Wer glaubt, nur in der Hektik der City of London oder in der Wall Street könnten die besten Entscheide getroffen werden, irrt. Rund vierzig Finanzfachleute beweisen, dass es auch am Polarkreis Standortvorteile geben kann.
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In der finnischen Kleinstadt Vaasa sitzen drei Dutzend der erfolgreichsten Finanzfachleute Europas. Diese nutzen als Managed Futures Manager, einer Unterklasse der Hedge Fonds, Trends auf den weltweiten Märkten aus. Dazu lassen sie sich von Star-Absolventen der finnischen Hochschulen die präzisesten Algorhythmen entwickeln, um die Aufs und Abs auf den weltweiten Märkten zu analysieren.

Die Umgebung, in der sie arbeiten, ist das Gegenstück zu den grossen Finanzplätzen der Welt. Vaasa bietet wenig Ablenkung, dafür viel Natur. Im Winter taucht die Sonne hier am Horizont manchmal nur gerade für ein paar Minuten auf. Dann legt sich wieder Dunkelheit über die schneebedeckten Seen, Wälder und die Stadt. Bis zum Polarkreis sind es gerade 300 Kilometer. «Hinzu kommt unser Arbeitsethos», sagt Martin Estlander, der Gründer des gleichnamigen Unternehmens. «Wir sind dem alten Zürich und Genf vielleicht mehr verwandt als dem heutigen», sagt der weltgewandte Verwalter von Managed Futures. Seit über 21 Jahren, mit nur einer Ausnahme, liefert Estlander seinen Kunden, das sind Banken und Pensionskassen, regelmässig eine jährliche Rendite von etwa zwölf Prozent. Estlander strahlt eine grosse Ruhe und Sicherheit aus, nicht jene Hektik, die man in den grossen Finanzzentren offensichtlich beweisen muss, um als hervorragend zu gelten.

Die Mitarbeiter von Estlander & Partners rekrutieren sich hauptsächlich aus der näheren Umgebung. Dank der guten Beziehung zu den Hochschulen gelingt es dem Unternehmen immer wieder, die besten Talente zu rekrutieren. Einer davon ist der Mathematiker Daniel Djupsjöbacka, der für die europaweit drittbeste Abschlussarbeit an der lokalen Uni ausgezeichnet wurde. Die Türen zu den Elite-Universitäten der Welt standen ihm weit offen – er verzichtete. Heute ist er als stellvertretender Leiter des Portfolio-Managements verantwortlich für ein ganzes Team von IT-Spezialisten, das Algorhythmen für die Trenderkennung entwickelt.

Der Erfolg des Unternehmens basiert auf der Güte der Computerprogramme, die ständig weiterentwickelt werden und an denen Estlander & Partners eisern festhält. «Menschliche Entscheide basieren oft auf Emotionen statt auf Fakten. Deshalb schalten wir den menschlichen Faktor bei Investitionsentscheiden aus. Wir haben grösseres Vertrauen in unsere Computermodelle als in die Menschen», sagt Martin Estlander, der CEO. Menschen tendierten dazu, rationale Entscheidungen hinauszuzögern und verharrten deshalb oft in Positionen, die sie längst hätten aufgeben müssen, doziert er. Die Gewinne, die er an die Investoren abliefert, geben ihm recht.

Gegen den Herdentrieb

Die Dürre in den USA im letzten Sommer hat die Preise für viele Agrarrohstoffe um bis zu 50 Prozent in die Höhe getrieben. Die Informationen dazu laufen zusammen am Trading-Desk des Unternehmens im Zentrum von Vaasa. Auf 32 Bildschirmen flimmern die neusten Zahlen und Grafiken von Bloomberg und anderen Datenzulieferern aus aller Welt. Computerprogramme analysieren diese, erkennen kleinste Preisentwicklungen und unterscheiden vermeintliche von realen Preistrends. Erst wenn ein solcher klar erkennbar ist, gibt der Computer das Signal zum Kauf oder Verkauf eines Futures auf Rohstoffe, Aktien-Indizes, Obligationen oder Währungen. Im obigen Beispiel wurde frühzeitig Weizen erstanden und später gewinnbringend weiterverkauft.

Lohnexzesse kennt man trotz wirtschaftlichem Erfolg bei Estlander & Partners nicht. In der Einsamkeit des Nordens lässt sich ungestört arbeiten. Lange galten Alternative Anlagen, zu denen neben den Managed Futures auch die Hedge Fonds zählen, als ideale Risikodiversifizierer in einem Portfolio, da sich die Anlagen stark von Aktien und Obligationen-Fonds unterscheiden. Doch je mehr Hedge Fonds und Managed Futures auf dem Markt sind, umso ähnlicher werden sich diese untereinander. Der Grund dafür liegt teilweise darin, dass sich ihre Manager in New York, London und Pfäffikon gegenseitig austauschen und damit der menschliche Herdentrieb sich bei Investitionsentscheidungen bemerkbar macht.

Eine fatale Entwicklung, die gleichzeitig ein Vorteil für Estlander & Partners darstellt. Eher verirrt sich ein Elch an die Adria, als dass sich ein Hedge Fonds- oder Managed Futures-Manager aus einem der grossen Finanzplätze der Welt in der Einsamkeit der finnischen Tundra niederlässt. Die Managed Futures von Estlander & Partners sind nur gering mit den anderen Anbietern solcher Fonds korreliert.

Man bleibt unter sich. Das betrifft auch die Unternehmenskultur. Während am Paradeplatz das Job-Karussell bei den Banken immer schneller dreht, bleiben die Angestellten Estlander & Partners treu. So ist noch nie eine Führungskraft, die man behalten wollte, abgesprungen. «Ganz wichtig ist für uns, dass das Team harmoniert», sagt Martin Estlander. Das zahlt sich aus. Mit einer Milliarde Franken, die das Unternehmen verwaltet, ist man gross genug, um konkurrenzfähig zu bleiben und gleichzeitig klein genug, um auch kleinere, aber gewinnversprechende Transaktionen zu tätigen, an welche die grossen Anbieter von Managed Futures gar nicht denken.

Estlander & Partners verfügt über die innere Sicherheit, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Auch wenn sich die Märkte einmal ohne sichtbare Trends seitwärts entwickeln, verliert man in Finnland nicht die Nerven. Dass diese zurückkommen, ist für die Finnen so sicher wie die Ablösung der Mittagsnacht durch die Mitternachtssonne. Denn: «Trends sind die Folge des Herdentriebes, von Gier und Furcht. Der Mensch als emotionales Wesen aber wird sich nicht ändern», sagt Christoffer Dahlberg, der Statthalter von Estlander & Partners in der Schweiz. «