Mensch & Arbeit

Selbstmanagement

Auf der Suche nach mehr Lebenssouveränität

Mit Selbstmanagement verfolgt die Führungspersönlichkeit das Ziel, unter einem ganzheitlichen Aspekt ihre verschiedenen Lebensbereiche in ein harmonisches Gleichgewicht zu bringen und sich (wieder) zum Regisseur ihres Lebens zu machen.
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Die Vermessung des eigenen Selbst durch die Quantified-Self-Bewegung nimmt zuweilen bedrohliche Ausmasse an, wenn sich Menschen durch die digitale Erfassung körperbezogener Daten gängeln und von Plastikarmbändern per LED-Anzeige vorschreiben lassen, wann sie wo welcher sportlichen Aktivität nachzugehen haben.

Zwang zur Selbstoptimierung

Wer den Zwang zur Selbstoptimierung akzeptieren will, der sollte sich nicht daran hindern lassen. Alle anderen sollten sich kritisch hinterfragen, ob sie wirklich jede Verbesserung, die theoretisch möglich wäre, mitmachen müssen oder ob es nicht zielführender ist, die Souveränität über das eigene Leben zu behalten oder zurückzugewinnen.

Der allgegenwärtige Zwang zur Selbstoptimierung führt zuweilen zum Wahn(sinn) und zur Entstehung übertriebener Erwartungen, die ein Mensch an sich selbst stellt oder die von aussen an ihn herangetragen werden. Gemeint ist nicht allein die Erwartung der körperlichen Selbstoptimierung, sondern auch das Ziel, in jedem Bereich das absolute Maximum zu leisten und Perfektion anzustreben, etwa um andere Personen zu beeindrucken.

Die schier unglaubliche Masse verfügbarer Daten macht den Menschen lesbar bis in sein Innerstes und liefert exakte Hinweise, welche körperlichen Attribute er optimieren sollte, um den Anforderungen gerecht zu werden. Spezielle Gesundheits-Apps zeigen ihm, wie er sich gesund und fit hält, um – angeblich – glücklicher und zufriedener zu sein, aber auch, um von seiner Krankenkasse mit Gesundheits-Boni belohnt zu werden.

Lebensbereiche ausbalancieren

Eine Führungspersönlichkeit sollte zumindest reflektieren, wozu genau jene Selbstoptimierung dienen soll. Wenn die Selbstoptimierung im Dienst eines höheren Ziels steht, ist dies etwas anderes, als wenn sie um ihrer selbst willen betrieben und allein deswegen ins Werk gesetzt wird, weil es gerade chic und modisch ist. Die Selbstcoaching-Expertin Stefanie Demann schreibt in ihrem Buch «Selbstcoaching für Führungskräfte»: «Der Wert eines Menschen berechnet sich doch nicht dadurch, dass er sich von oben bis unten auf Wirtschaftlichkeit abklopft. […] Das Beste aus sich zu machen bedeutet nicht, sich permanent zu überwachen und jede Aktivität auf ihren wirtschaftlichen Nutzen hin zu überprüfen.»

Eine Empfehlung für den auf Selbstoptimierung orientierten Manager ist, sich die Frage zu stellen: Warum das alles? Nur um einem «Höher, schneller, besser, weiter» zu genügen oder um ein bestimmtes berufliches oder auch privates Ziel zu erreichen? Die Alternative besteht darin, sich all seiner Lebensbereiche bewusst zu werden und diese in Balance zueinander zu setzen.

Jede Führungspersönlichkeit spielt in ihrem Leben verschiedene Rollen: Morgens Familienmutter – oder Familienvater –, die dafür sorgt, dass die Kinder rechtzeitig in der Schule sind. Dann ab in den Job, ins Büro. Kundentermine, Mitarbeiterbesprechungen, Wissen aneignen und nutzen, lernen, fortbilden, Hektik, Stress, Freude und Ärger. Abends Freunde treffen, die Freizeitseele baumeln lassen, das Fitnessstudio aufsuchen.

Da nur ein beschränktes Zeitbudget für all dies zur Verfügung steht, ist die Folge oft ein Hin- und Hergerissen-Sein zwischen beruflichen Zielen, Anforderungen und Aufgabenerfüllung einerseits, Spass und Familiensinn andererseits. Dabei lassen sich mindestens vier Lebensbereiche differenzieren:

  • Fitness: Gesundheit, Ernährung
  • und Erholung,
  • Privatbereich: Freizeit, Hobbys, Freunde und Familie,
  • Beruf, Arbeit und Karriere und
  • Bereich Sinnhaftigkeit.

Diese verschiedenen Bereiche müssen miteinander harmonisiert werden. Zumindest sollte es das Ziel sein, keinen der vier Lebensaspekte sträflich zu vernachlässigen. Denn wer sich voll und ganz auf die Erreichung seiner beruflichen Ziele konzentriert, bekommt am Ende Probleme im privaten Bereich – und womöglich auch mit seiner Gesundheit. Und wer den familiären Aspekt einseitig und dauerhaft bevorzugt, muss damit rechnen, sich irgendwann Schwierigkeiten finanzieller Art einzuhandeln.

Wer nur mit seiner Selbstverwirklichung beschäftigt ist, permanent nach dem Sinn des Lebens fahndet und seine kulturellen Bedürfnisse befriedigt, droht ebenso zu verarmen wie derjenige, der im Job 24 Stunden am Tag seinen Zielen hinterher-hetzt. Jede eindimensionale Fixierung und Fokussierung ist schädlich. Entscheidend ist, das Leben in allen Lebensbereichen eigenverantwortlich zu gestalten.

Lebensvision als «roter Faden»

Sicherlich gibt es Lebensabschnitte, in welchen es notwendig und unerlässlich ist, einen oder zwei der Lebensbereiche verstärkt in den Mittelpunkt zu rücken. Der Jungmanager, der am Beginn seiner
Führungslaufbahn steht und eine Familie gegründet hat, setzt gewiss andere Prioritäten als die etablierte Führungspersönlichkeit. Wer gerade den beruflichen Einstieg in seine Traumposition anvisiert, für den stehen die beruflichen Ziele im Vordergrund, wer es beruflich «geschafft» hat, schiebt eher den gesundheitlichen Aspekt oder den Privatbereich nach vorne. Das Ziel sollte es sein, stets das richtige Mass zu finden und gerade in jenen Zeiten, in denen objektiv die Vernachlässigung eines Lebensbereiches gerechtfertigt wäre, diesen eben nicht ganz aus den Augen zu verlieren.

Die Führungspersönlichkeit sollte sich mithin mit einer Lebensvision, die alle Bereiche umfasst, beschäftigen und für jeden der Bereiche die ihr wichtigen Ziele formulieren. Diese Festlegung ist nicht in Stein gemeisselt, sondern wird von ihr regelmässig überprüft und den realen Rahmenbedingungen und objektiven Gegebenheiten der jeweiligen Lebensphase angepasst. Zu empfehlen ist, die Lebensvision in regelmässigen Abständen mit dem «Ist-Zustand» abzugleichen und sich zu fragen, ob Ziele überprüft und neu justiert werden müssen.

Balance kann nur diejenige Führungspersönlichkeit herstellen, die weiss, was ihr wirklich wichtig ist. Dieses Wissen dient als roter Lebensfaden, der alle anderen Zielsetzungen durchwirkt. Darum ist es sinnvoll, die Lebensvision gemeinsam mit Menschen aufzustellen, die in dem Leben der Führungspersönlichkeit eine bedeutende Rolle spielen.

Lebenssouveränität gewinnen

Welche Selbstmanagementstrategien die Führungspersönlichkeit einsetzen sollte, um zu mehr Lebenssouveränität zu gelangen, ist nicht zuletzt von ihrer Persönlichkeitsstruktur abhängig:

  • Ein kreativer Individualist verträgt es nicht, allzu viele Hilfen zur Planung einzusetzen, um seine Lebensbereiche auszubalancieren. Selbstmanagementtechniken behindern ihn mehr, dass sie ihm nutzen, weil sie ihn in ein Korsett zwingen.
  • Anders verhält es sich bei einer dominanten und funktional arbeitenden Führungskraft. Diese glaubt, sich immer durchsetzen und alles allein er­ledigen zu müssen. Für sie wäre es wichtig zu lernen, den Mitarbeitern zu vertrauen. Dann wäre sie vielleicht auch bereit, im Privatleben Menschen Vertrauen zu schenken.
  • Ein balanceorientierter, auf Fürsorge und ein harmonisches Betriebsklima bedachter Manager sollte seine Unfähigkeit, im beruflichen Kontext Nein zu sagen, erkennen und Gegenmassnahmen ergreifen. Dann gelänge es ihm eventuell, zudem mehr Zeit für die Familie und den Theaterbesuch freizu- schaufeln. Weil er sich stets erst um die Probleme der Mitarbeiter kümmert, kommt er nicht dazu, auch einmal an sich selbst zu denken.

Die Beispiele zeigen: Selbstmanagementtechniken haben keinen Nutzen an sich, der für alle Menschen zuträfe. Ziel ist, diejenigen Strategien, Methoden und Techniken einzusetzen, die zum Charakter und zur Persönlichkeitsstruktur der Führungspersönlichkeit passen.

Die Work-Life-Balance

Die grösste Herausforderung besteht darin, die Konsequenzen der Überlegungen zur Lebenssouveränität auch am Arbeitsplatz und im eigenen Unternehmen umzusetzen. Natürlich kann sich die Führungspersönlichkeit den Zwängen, die durch den Beruf entstehen, nicht entziehen. Sie ist und bleibt darin eingebunden. Sie kann aber ihr persönliches Selbstmanagementkonzept um die Dimension derjenigen Lebensbereiche erweitern, die neben dem Job ebenfalls für sie Bedeutung haben, und so zu mehr Lebenssouveränität gelangen.

Wer sich immer wieder bewusst macht, dass der Mensch nicht nur ein «Arbeitstier» ist, dem fällt es leichter, auch einmal die bewusste Entscheidung zu treffen, «offline» zu gehen, das Handy auszustellen sowie unerreichbar zu sein. So kann sich eine vielbeschäftigte Führungspersönlichkeit Ruhepolster und Stunden einrichten, in denen sie nicht für andere zur Verfügung steht, sondern sich nur um sich selbst kümmert. Am besten, sie räumt diesen Zeiten denselben Stellenwert ein wie der Weiterbildungsveranstaltung, dem Kundentermin oder der Mitarbeiterbesprechung. Natürlich: Dieses Ausklinken ist leicht gefordert und schwer umzusetzen. Die Umsetzung gelingt wahrscheinlich nur über die Arbeit an der Einstellung der Führungspersönlichkeit zum Leben, zum Job und zur Zeit.

Porträt