Eigentlich geht es dem Unternehmen gut. An der Spitze steht das Oberhaupt der «Familie». Vielleicht im übertragenen Sinne der «Unternehmensfamilie», vielleicht aber auch im buchstäblichen. Viele lokale Unternehmen sind seit Generationen im Familienbesitz. Was nach Sicherheit, offenem Austausch und flachen Hierarchien klingt, bringt auf den zweiten Blick oft grosse Herausforderungen mit sich. Dann nämlich, wenn kleine und mittelständische Unternehmen einen ihrer stärksten Vorteile gegenüber den Top-Playern nicht ausspielen: die Fähigkeit, sich schnell auf eine sich verändernde Welt einzustellen, Trends besser als andere zu erkennen und ohne viel Aufwand und Bürokratie umzusetzen.
Diskussionskultur wahren
In Grosskonzernen ist der CEO oft nur eine verblasste Idee. Die Mitarbeiter haben ihn mal auf einem Foto im Intranet oder bei einer Kick-off-Veranstaltung gesehen – und da hört der Kontakt auch schon auf. Ganz anders in kleineren Unternehmen. Wo man täglich eng mit dem Geschäftsführer oder direkt mit dem Inhaber zusammenarbeitet, vielleicht sogar persönlich von ihm Freigaben und Feedbacks bekommt, sollte es auch genügend Raum und Vertrauen geben, um den Chef auf Missstände oder auch neue Trends im Markt aufmerksam zu machen.
So weit zumindest die Theorie. In der Praxis sieht es oft anders aus. Die Hemmschwelle der Mitarbeiter, Kritik zu üben, ist höher, wenn diese direkt an den obersten Chef geht als zum Beispiel an einen Teamleiter. Hinzu kommt, dass es unter einem Patriarchen, der das Unternehmen vielleicht schon von seinem Vater übernommen hat, eher die Ausnahme bleibt, dass sich ein starkes und souveränes Managementteam herausbildet. Oft siegen Kontrollbedürfnis und die Angst, echte Verantwortung an Familienfremde abzugeben über Vernunft und Weitblick.
Das kann jahrzehntelang gut gehen, aber das Fehlen einer adäquaten Streit- und Diskussionskultur, sei es aus Angst vor dem Konflikt oder Mangel an souveränen Führungskräften, ist gerade in der heutigen Vuca-Welt (volatility, uncertainty, complexity und ambiguity; zu Deutsch: Volatilität , Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit) ein hochgradiges Risiko.
Wichtige Feedbackgeber
Natürlich ist es verführerisch, die kurz- und mittelfristigen Erfolge als selbstverständlich und dauerhaft anzusehen. Solange der Markt und das Umfeld positives Feedback geben, entsteht kein Druck, etwas zu ändern. In einer komplexen und schnelllebigen Wirtschaftswelt ist das allerdings zu kurz gedacht. Wo wichtige Themen wie die Weiterentwicklung des Unternehmens, Transformation und Change jahrelang vernachlässigt worden sind und der Blick überwiegend nach innen statt nach aussen gerichtet war, kann der Knall ganz plötzlich und unerwartet kommen.
Was hilft? Ein unverstellter Blick. Und der muss sowohl von innen als auch von aussen kommen. Bei kleineren Unternehmen wird aus verschiedensten Gründen gerne auf externe Berater, Ratgeber und auch aktive Markt- sowie Zukunftsforschung verzichtet. Sei es, um Geld zu sparen oder weil der Glaube vorherrscht, die 100 Mitarbeiter und den Markt noch gut selbst überblicken zu können. Ein souveräner Patriarch aber weiss ebenso wie ein fähiger Manager, dass er seinen Beraterstab und gute Feedbackgeber braucht. Es gilt also, Diskussionen zu fördern, statt sie im Keim zu ersticken und gerne auch Querdenker dazuzuschalten, die sich nicht scheuen, ihre Meinung offen zu vertreten.