Mensch & Arbeit

Unternehmensführung

Auch mit dem Undenkbaren kalkulieren

Die digitale Transformation ist geprägt von grosser Unsicherheit. Besonders für KMU, die oft familiengeführte Unternehmen sind, gilt jetzt, diesen Zustand der Unsicherheit nicht über das Schicksal des Unternehmens entscheiden zu lassen, indem man sich durch andauernden Erfolg blenden lässt oder durch zu langes Zögern den Anschluss an die Moderne verpasst.
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Eigentlich geht es dem Unternehmen gut. An der Spitze steht das Oberhaupt der «Familie». Vielleicht im übertragenen Sinne der «Unternehmensfamilie», vielleicht aber auch im buchstäblichen. Viele lokale Unternehmen sind seit Generationen im Familienbesitz. Was nach Sicherheit, offenem Austausch und flachen Hie­rarchien klingt, bringt auf den zweiten Blick oft grosse Herausforderungen mit sich. Dann nämlich, wenn kleine und mittelständische Unternehmen einen ihrer stärksten Vorteile gegenüber den Top-Playern nicht ausspielen: die Fähigkeit, sich schnell auf eine sich verändernde Welt einzustellen, Trends besser als andere zu erkennen und ohne viel Aufwand und Bürokratie umzusetzen.

Diskussionskultur wahren

In Grosskonzernen ist der CEO oft nur eine verblasste Idee. Die Mitarbeiter haben ihn mal auf einem Foto im Intranet oder bei einer Kick-off-Veranstaltung gesehen – und da hört der Kontakt auch schon auf. Ganz anders in kleineren Unternehmen. Wo man täglich eng mit dem Geschäftsführer oder direkt mit dem Inhaber zusammenarbeitet, vielleicht sogar persönlich von ihm Freigaben und Feedbacks bekommt, sollte es auch genügend Raum und Vertrauen geben, um den Chef auf Missstände oder auch neue Trends im Markt aufmerksam zu machen.

So weit zumindest die Theorie. In der Praxis sieht es oft anders aus. Die Hemmschwelle der Mitarbeiter, Kritik zu üben, ist höher, wenn diese direkt an den obersten Chef geht als zum Beispiel an einen Teamleiter. Hinzu kommt, dass es unter einem Patriarchen, der das Unternehmen vielleicht schon von seinem Vater übernommen hat, eher die Ausnahme bleibt, dass sich ein starkes und souveränes Managementteam herausbildet. Oft siegen Kontrollbedürfnis und die Angst, echte Verantwortung an Familienfremde abzugeben über Vernunft und Weitblick.

Das kann jahrzehntelang gut gehen, aber das Fehlen einer adäquaten Streit- und Diskussionskultur, sei es aus Angst vor dem Konflikt oder Mangel an souveränen Führungskräften, ist gerade in der heutigen Vuca-Welt (volatility, uncertainty, complexity und ambiguity; zu Deutsch: Volatilität , Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit) ein hochgradiges Risiko.


Wichtige Feedbackgeber

Natürlich ist es verführerisch, die kurz- und mittelfristigen Erfolge als selbstverständlich und dauerhaft anzusehen. Solange der Markt und das Umfeld positives Feedback geben, entsteht kein Druck, etwas zu ändern. In einer komplexen und schnelllebigen Wirtschaftswelt ist das allerdings zu kurz gedacht. Wo wichtige Themen wie die Weiterentwicklung des Unternehmens, Transformation und Change jahrelang vernachlässigt worden sind und der Blick überwiegend nach innen statt nach aussen gerichtet war, kann der Knall ganz plötzlich und unerwartet kommen.

Was hilft? Ein unverstellter Blick. Und der muss sowohl von innen als auch von aus­sen kommen. Bei kleineren Unternehmen wird aus verschiedensten Gründen gerne auf externe Berater, Ratgeber und auch aktive Markt- sowie Zukunftsforschung verzichtet. Sei es, um Geld zu sparen oder weil der Glaube vorherrscht, die 100 Mitarbeiter und den Markt noch gut selbst überblicken zu können. Ein souveräner Patriarch aber weiss ebenso wie ein fähiger Manager, dass er seinen Beraterstab und gute Feedbackgeber braucht. Es gilt also, Diskussionen zu fördern, statt sie im Keim zu ersticken und gerne auch Querdenker dazuzuschalten, die sich nicht scheuen, ihre Meinung offen zu vertreten.

Der Fehler im System

Das ultimative Ziel eines jeden Unternehmens, das Erfolg anpeilt, ist es, besser zu sein als die Konkurrenz. Egal, ob die Konkurrenz also mit wohlklingenden Euphemismen wie «Marktbegleiter» oder «Mitbewerber» tituliert wird – das Ergebnis bleibt dasselbe. Soll das eigene Unternehmen sich an der Spitze halten oder zu dieser aufsteigen, müssen die anderen weichen. Denkbar ungünstig ist es also, dieses Ziel durch «Nebenkriegsplätze» zu verwässern. Wo der unsinnige Irrglaube vorherrscht, auch unternehmensinterne Konkurrenz sei förderlich für den Erfolg, kommt man leicht vom Weg ab und verzettelt sich in Belanglosigkeiten.

Dass es in jedem Betrieb auch Reibereien gibt, ist völlig natürlich. Der Vertrieb will schnelle Ergebnisse, die Produktion ausführliche Testreihen und so weiter. Die Kernfrage ist: Wie geht die Führung damit um? Lässt die Unternehmenskultur eine offene Kommunikation und eine transparente Lösung zu oder gilt: Wer den besten Draht nach oben hat und am lautesten schreit, bekommt den Zuschlag?

Um zu bestimmen, wie es um die Unter­nehmenskultur in den eigenen Reihen
bestimmt ist, ist es ratsam, einen kritischen Blick auf die Beförderungen und Boni der letzten Jahre zu werfen. Wer ist ausgezeichnet worden und vor allem wofür? Wo Anpassungsfähigkeit und Schmeichelei vor Klarheit und Vernunft Karriere machen, geht es mit dem Unternehmen auf Dauer bergab. Die Guten, die woanders eine Perspektive haben, ziehen von dannen, die anderen ducken sich weg. Übrig bleibt eine Ellbogenmentalität, die noch niemals zu Höchstleistungen angespornt hat.


Bürokratie kleinhalten

Bürokratie pauschal zu verteufeln, ist natürlich unsinnig. Vier Augen sehen mehr als zwei und manche Dinge müssen unweigerlich über den Tisch des Chefs gehen. Auf der anderen Seite ist gerade die schnelle Schlagkraft, da flachere und klarere Hierarchien, einer der grossen Vorteile, die kleine und mittelständische Unternehmen haben. Wer hier anfängt, ein starres Regelwerk zu implementieren, statt Flexibilität zu bewahren, ist selbst schuld.

Ein Unternehmensberater fand beispielsweise heraus, dass die simple Bestellung eines Bleistiftes ein Unternehmen bis zu 90 Euro kosten kann, wenn sie erst durch fünf Instanzen geht. Ein neuer Computer muss her? Gut, hier macht eine Genehmigung von höherer Stelle Sinn, aber muss dasselbe für jede Büromaterialbestellung gelten? Ein Angebot an einen neuen Grosskunden ist aufzusetzen? Zugegeben, eine Korrekturschleife mehr ist besser, als es mit einem peinlichen Verschreiber in der Anrede rauszuschicken. Aber muss deswegen jede E-Mail gegengelesen werden?

Diese Art der Bürokratie verlangsamt die Unternehmensprozesse enorm und verschlingt neben unverhältnismässig viel Zeit auch noch Unsummen an Geld. Und es gibt einen weiteren unangenehmen Effekt, wenn zu viel und zu akribisch kontrolliert wird: Wo jedes Detail reglementiert und geprüft wird, lebt es sich am besten, wenn man das eigene Denken abschaltet. Besser also die Führungsebene unterstützt eine gewisse Flexibilität in geschäftsinternen Prozessen und lässt auch mal den Einzelfall entscheiden, statt pauschal alles über einen Regelkamm zu scheren. Mitarbeitern sollte ein Grundvertrauen entgegengebracht werden, das es ihnen ermöglicht, selbstständig und eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen.

Risikoprävention

Eines der wichtigsten Schlagworte in jedem Betrieb ist – oder eher – sollte sein: Risikomanagement. Obwohl seine Relevanz hinreichend bekannt ist, wird es oftmals nur mit äusserstem Unmut angefasst. Und auch wirklich nur, wenn es sich gar nicht mehr vermeiden lässt. Das Problem? Es kann schnell zu spät sein. Statt von Risikomanagement ziehen wir es daher vor, von Risikoprävention zu sprechen.

Dass wir uns nur ungern mit Risiken auseinandersetzen, hat zwei ganz einfache Gründe. Erstens: Wer beschäftigt sich schon gerne dauerhaft mit Untergangsszenarien? Zweitens: Die meiste Zeit über glauben wir fest daran, alles richtig zu machen. Wir kennen die Wettbewerber, Fehler werden schnell korrigiert, und Produkt und Strategie sind sowieso einwandfrei. Dabei verlieren wir gerne Faktoren wie das Innovationsrisiko aus dem Blick. Die Folge: Produkte, die eher aufgrund des Ruhms vergangener Tage noch mitgeschleppt werden, oder Entwicklungen, vor denen wir so lange die Augen
verschliessen, bis es zu spät ist. Das Unternehmen Kodak ist ein Beispiel dafür.

Insbesondere in mittelständischen Unternehmen gibt es aber mindestens einen weiteren Risikofaktor: die Unentbehrlichkeit der Mitarbeiter. Da wäre der IT-Spezialist, der sich als Einziger mit dem Back-End der Website und der Verkaufssoftware auskennt. Was passiert, wenn dieser längere Zeit ausfällt oder kündigt? Oder mit den Mitarbeiterzahlen wird sowieso bereits an der Grenze zur Unterbesetzung taktiert. Jetzt fehlt nur noch eine längere Krankheit, Schwangerschaft, Kündigung und schon kann das Unternehmen mit Vollgas in die Katastrophe rauschen.

Rückblickend hätte es geholfen, damals vorausschauend zu sein und selbst das Undenkbare als Möglichkeit zu akzeptieren. Viele Unternehmen, auch die Global Player, von denen man dachte, sie wären an der Weltspitze festzementiert, mussten irgendwann überrascht aufblicken und sich fragen, an welcher Stelle ihr Fundament anfing zu bröckeln. Es ist also wichtig, sich nicht auf den Erfolg der vergangenen Tage zu verlassen, sondern die eigene Unternehmenskultur ebenso kritisch im Blick zu behalten wie die der Konkurrenz. Welche Faktoren könnten dem Unternehmen gefährlich werden? Und wenn man diese Frage nicht selbst beantworten kann, weil man zu nah dran ist: Dann muss man ehrlich zu sich sein und jemanden ins Unternehmen holen, der es kann.

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