Mensch & Arbeit

Retrospektiven in der Projektarbeit

Acht Schritte für konstruktives Feedback

Im agilen Projektmanagement sind Retrospektiven ein wichtiges Element, um angestrebte Ziele zu erreichen. Wie es gelingt, ein faires und konstruktives Feedback der Teammitglieder zu erarbeiten, zeigt nachstehender Beitrag.
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In «Scrum»-Projekten sind Retrospektiven ein integraler Bestandteil der Arbeit. Sie dienen dazu, den vorangegangenen Sprint zu analysieren, um sowohl aus Fehlern als auch aus positiven Geschehnissen zu lernen. Dadurch sollen die Teamarbeit kontinuierlich verbessert und der Projekterfolg sichergestellt werden. Eine auf Feedback von Kunden, Vorgesetzten und Kollegen ausgelegte Retrospektive bietet darüber hinaus die Chance, daraus einen Nutzen für die eigene persönliche Weiterentwicklung zu ziehen.

Prozessrahmen definieren

Besonders wertvoll ist das Feedback von Personen aus dem direkten Arbeitsumfeld, denn selbst erfahrenen Führungskräften fällt es oft schwer, ihren Mitarbeitenden konstruktive Rückmeldungen zu geben, wenn sie nicht unmittelbar mit ihnen zusammenarbeiten. Feedbackgespräche im Projektteam bergen jedoch auch einige Hürden, die es zu überwinden gilt: Manche Kollegen möchten nicht als «Besserwisser» wahrgenommen werden und trauen sich daher nicht, offen auf Schwächen und Stärken anderer hinzuweisen. Andere wiederum äussern Kritik und sind dann überrascht, wenn es negative Reaktionen gibt.

Der Feedback-Prozess ist insbesondere in Teams herausfordernd, die eine sehr heterogene Struktur aufweisen: beispielsweise, wenn Mitarbeiter des Kunden zum Team gehören oder auch in Projektteams, die aus Mitarbeitern mehrerer organisatorischer Einheiten zusammengestellt sind. Hier bestehen oft Hemmungen, die den offenen und ehrlichen Austausch behindern. Und wenn sowohl der Bedarf als auch der Wunsch nach Feedback vor­handen ist, fehlt es oftmals an Wissen, wie man es richtig macht und welche Regeln beim Feedback sinnvoll sind.

Die nachfolgend erläuterte Methode hilft Teammitgliedern dabei, sich fair und konstruktiv Feedback zu geben, indem sie einen Rahmen dafür definiert. Entwickelt wurde dieses Vorgehen für die Retrospektive von Projektteams, in denen Softwareentwickler, Vorgesetzte und Mitar-beitende des Kunden zusammenarbeiten, die jeweils über einen sehr unterschied­lichen Erfahrungsschatz verfügen. Ein Team also, dessen Zusammenstellung ein direktes und offenes Feedback – sowie den konstruktiven Umgang damit – spürbar erschwert.

Ablaufplan

Folgende acht Schritte helfen, eine Retrospektive so zu gestalten, dass es dennoch relativ leicht möglich ist, ein offenes – und vor allem für alle wertvolles – Feedback zu geben. Dabei stellen der vorgesehene Ablauf sowie die speziellen Fragestellungen sicher, dass sich die Teilnehmer tatsächlich konstruktives Feedback geben und Wertschätzung füreinander zeigen. Natürlich kann auch der «Scrum»-Master als Teammitglied aktiv an der Retrospektive teilnehmen – in diesem Fall muss jedoch ein externer Moderator die Feedback-Runde leiten.

Schritt 1: Vorbereitung

Benötigt werden: Ein namentlich gekennzeichnetes und mit den entsprechenden Fragen / Bereichen vorbereitetes Blatt für jeden Teilnehmer, idealerweise im DIN-A2-Format, ein ausreichend grosser Tisch, Filzstifte.

Schritt 2: Einstimmung – Abstand zum Tagesgeschäft schaffen

Eine kleine Übung zum Einstieg sollte den Teamkollegen ein «anderes», entspanntes Setting ermöglichen und Abstand zum Tagesgeschäft schaffen. Beispiele für mögliche Aufgaben:

  • Jeder soll etwas von sich erzählen, was die anderen noch nicht wissen.

Oder:

  • Jeder erzählt eine Wahrheit und eine Lüge über sich – das Team schätzt, was gelogen ist.

Zeitrahmen: zirka 15 Minuten.

Schritt 3: Erwartungshaltung ermitteln

Die Retrospektive startet mit einer Selbstreflexion der Teilnehmer. So wird allen klar, dass es vorrangig um den Einzelnen persönlich geht. Dafür beantwortet jeder Teilnehmer schriftlich für sich die folgenden zwei Fragen auf seinem Blatt:

  • Was kann man von mir erwarten?
  • Was erwarte ich vom Team?

Zeitrahmen: zirka 10 Minuten.

Schritt 4: Schriftliche Feedbackrunden

Nach der Einstiegsphase startet die Feedbackrunde. Dazu sollen alle Teilnehmer die folgenden zwei Sätze auf ihrem persönlichen Blatt notieren:

  • Was ich an deiner Arbeit schätze:
  • Was ich dir wünsche, das dir besser gelingt:

Danach reicht jeder sein Blatt an seinen Tischnachbarn weiter. Dieser vervollständigt schriftlich die beiden genann­-ten Bereiche. Dabei sollte der Moderator / «Scrum»-Master nochmals betonen, dass die Antworten sich nicht auf die Person beziehen sollen, sondern auf die geleistete Arbeit.

Die spezifische Formulierung der Feedbackbereiche stellt auch bei offensichtlichen Kritikpunkten sicher, dass das Feedback wertekonform ausgedrückt wird. Bereits von anderen Teammitgliedern notierte Aspekte dürfen nicht wiederholt werden, können aber gegebenenfalls präzisiert oder durch konkrete Beispiele erläutert werden.

Dieser Teil der Aufgabe wiederholt sich so lange, bis jeder Teilnehmer wieder sein persönliches Blatt vor sich liegen hat. Das Resultat: Jeder hat für jeden sowohl Lob als auch Verbesserungspotenziale auf­geschrieben. Der Zeitrahmen: 7 Minuten pro Runde.

Schritt 5: Selbstreflexion

Die Retrospektive wechselt nun wieder vom gegenseitigen Feedback in die Selbstreflexion. Jeder liest sein persönliches Feedback, welches die anderen Teammitglieder auf dem Blatt notiert haben. Die Selbstreflexion kann wertvoller werden, indem die Teilnehmer Verständnisfragen zum Feedback stellen, das sie erhalten haben. Dadurch kann ein offener Dialog entstehen, der den einzelnen Teilnehmern weiterhilft. Hier sollte sich der Moderator bzw. der «Scrum»-Master explizit Gedanken über die Teamdynamik machen: Anschuldigungen und Rechtfertigungen gilt es zu verhindern. Gegebenenfalls sollten vor dem Einstieg in den Dialog nochmals grundsätzliche Feedbackregeln erläutert werden, z. B. Senden einer Ich-Botschaft, entsprechend dem Feedback-Modell «WWWW» – Wahrnehmung, Wirkung, Wunsch, Werte – oder nach dem Modell «BAHN» – Beobachtung, Auswirkung, Hintergrund, Nachfrage. Folgende Fragen können darüber hinaus dabei helfen, persönliche Schwerpunkte zu setzen, weshalb zwei Bereiche auf dem Blatt vorgesehen sind:

  • Darauf bin ich stolz:
  • Was nehme ich mit?

Zeitrahmen: 10 Minuten.

Schritt 6: Selbstoffenbarung

Im Anschluss an die Selbstreflexion er­läutert jeder Teilnehmer den anderen Teammitgliedern, welche der notierten Aspekte für ihn persönlich besonders relevant erscheinen. Um tatsächlich Änderungen vornehmen zu können, sollte jeder nur ein oder zwei Schwerpunkte zur persönlichen Verbesserung setzen und versuchen, diese nachhaltig zu verbessern, anstatt viele Aspekte nur ein bisschen anzugehen. Die Entscheidung, was dem Team gegenüber transparent gemacht wird und was nicht, trifft jeder Einzelne für sich. Die Selbstoffenbarung kann erweitert werden, indem die Teilnehmer, die dies möchten, die Kollegen im Hinblick auf bestimmte Aspekte um Unterstützung bitten. Zeitrahmen: 2 Minuten pro Teilnehmer.

Schritt 7: Ausklang – zum Beispiel mit «Pleased & Surprised»

Zum Abschluss der Retrospektive sollte jeder kurz erläutern, was ihn an dieser Feedbackrunde überrascht hat und / oder was ihm besonders gefallen hat. Zeitrahmen: 1 – 2 Minuten je Teilnehmer.

Schritt 8: Nachhaltigkeit sichern

Der Moderator / «Scrum»-Master sollte die Teilnehmer dazu ermutigen, sich das Feedback immer wieder einmal anzusehen und zu reflektieren, eventuell kann er das Team auch nach einigen Wochen aktiv daran erinnern. Ebenso kann es sinnvoll sein, nach fünf bis sechs Monaten eine weitere Retrospektive zu veranstalten, die entweder auf der vorherigen aufbaut oder lediglich in der gleichen Form wiederholt wird.

Fazit

Die hier beschriebene Form der Retrospektive wurde bereits mehrfach in Softwareentwicklungsteams, die mit Scrum arbeiten, durchgeführt und von diesen als sehr wertvoll erachtet. Sie hat sich insbesondere bei der Arbeit mit Teams bewährt, die schon eine Weile im Rahmen eines Projekts zusammenarbeiten, aber bei denen sich der offene Austausch aufgrund sehr heterogener Strukturen schwierig gestaltet. Gerade wenn klar ist, dass das Team in dieser Zusammensetzung noch über einen längeren Zeitraum bestehen bleibt, kann diese Form des Feedbacks dazu beitragen, dass sich die Zusammenarbeit und die Produktivität spürbar verbessern.

Ebenso eignet sich die Methode auch für Feedbackrunden im Kontext von Teamklausuren. Die Ergebnisse können auf Wunsch des Mitarbeiters auch im regulären Mitarbeitergespräch berücksichtigt werden. Das Ziel ist dabei stets, Wertschätzung für die Kollegen zu zeigen und gleichzeitig den eigenen blinden Fleck hinsichtlich persönlicher Verbesserungspotenziale zu verkleinern.

Porträt