Marketing & Vertrieb

Kolumne: Brand Leadership

Zukunftsoffenheit als Erfolgsprinzip

Wofür steht Ihr Unternehmen? Ihre Antwort auf diese Frage kann Ihnen einiges über die Zukunftsaussichten Ihres Unternehmens verraten. Und sie kann der entscheidende Startschuss sein, um die nächste Etappe der unternehmerischen Entwicklung in Angriff zu nehmen.
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Ein Gedankenexperiment

Stellen Sie sich vor, Sie sind CEO eines Pferdekutschen-Unternehmens Ende des 19. Jahrhunderts. Es handelt sich um das führende Pferdekutschen-Unternehmen Nordamerikas. Mit den besten Pferden, den kompetentesten Fahrern und den luxuriösesten Kutschen. Jeder kennt es. Von der Ost- bis zur Westküste geniesst es einen tadellosen Ruf. Mit Stolz sagt Ihr Management: «Wir sind das führende Pferdekutschen-Unternehmen Nordamerikas.» Jedem neuen Mitarbeiter wird dies eingeimpft. Jedem Kunden wird dies mit grossen Gesten und kleinen Details zum Ausdruck gebracht.

Man ist der unangefochtene Platzhirsch – ohne arrogant zu sein. Die Position ist Ergebnis harter Arbeit. Über Jahrzehnte hinweg. Wohlverdient. Und voller Ambitionen nehmen Sie und Ihr Team das nächste Kapitel der Unternehmensentwicklung in Angriff: «In Zukunft wollen wir das führende Pferdekutschen-Unternehmen der ganzen Welt werden.» Und dann kommt die Eisenbahn. Kommen Fahrräder, Autos und Flugzeuge. Wenn Sie Ihr Unternehmen bei der Veränderungsdynamik, die unsere Welt damals wie heute kennzeichnet, als Pferdekutschen-Unternehmen verstanden und entsprechend positioniert hätten: Wie ist das Wachstumspotenzial des Unternehmens einzuschätzen? Wie die Zukunftschancen? Ich stelle mir die Frage, ob das Pferdekutschen-Unternehmen damals seine Chancen auf Zukunft irgendwie hätte verbessern können und was wir heute daraus lernen können. Mal rein hypothetisch gefragt: Was wäre denn gewesen, wenn sich das Unternehmen als «innovatives Mobilitätsunternehmen» verstanden hätte? Als Premium-Dienstleister, der Menschen auf sensationelle Art und Weise von A nach B bringen will? Mit Offenheit und Leidenschaft für neue Beförderungsmöglichkeiten im Kern. Ohne eine Technologie, wie die Pferdekutsche, so dominant ins Zentrum seines Selbstverständnisses zu stellen. Ohne sich einlullen zu lassen vom Erfolg der Vergangenheit. Wie wäre es um die Zukunftsfähigkeit bestellt gewesen? Was denken Sie? 

Ich finde, vielleicht würde es das Unternehmen dann heute noch geben. Vielleicht wäre es nach über 150 Jahren jetzt sogar das führende Mobilitätsunternehmen der Welt und würde Flotten an Eisenbahnen, Flugzeugen, Bussen und Schiffen betreiben. Dann würde es eventuell gerade auch an der Lösung des Batteriekapazitätsproblems tüfteln, um der E-Mobilität zum Durchbruch zu verhelfen. Und sicher würde es – als einer der Pioniere neben Elon Musk, Richard Branson und Co. – an der Frage arbeiten, wie wir Menschen auf den Mars bringen können. Sicher? Vielleicht. Es ist ja nur ein Gedankenexperiment, das zeigen soll: Die Art des Selbstverständnisses einer Organisation hat fundamentalen Einfluss darauf, was sie in Zukunft werden kann und sein wird. 

Ein zukunftsoffenes Selbstverständnis ist entscheidend

Damals wie heute gilt: Je mehr sich Märkte, Kundenbedürfnisse und Technologien verändern, desto weniger zählen die Erfolgsprinzipien der Vergangenheit. Und desto wichtiger wird es, sich zu öffnen für die entstehenden Möglichkeiten von morgen. Diese Zukunftsoffenheit sollte man in den Grundpfeilern seiner Organisation fest verankern und in der täglichen Arbeit zum Leben erwecken. Folgende Fragen sind wichtig: Woran macht sich das Selbstverständnis in Ihrem Unternehmen fest? Klebt es an einer «Pferdekutsche», die mit der Zeit irrelevant wird? Ist es frei von der Selbstgefälligkeit vergangener Erfolge? Ist es offen für die Zukunft? Inspiriert es Sie und Ihre Mitarbeitenden dazu, neue Themen und Herausforderungen anzugehen? Etwas auszuprobieren? Etwas zu wagen? Unternehmen tendieren dazu, sich von den Erfolgsprinzipien ihrer Vergangenheit leiten zu lassen – und machen es neuen Ideen ungewollt schwer, sich durchzusetzen. Die Erfolgsprinzipien von gestern verlieren ja auch nicht alle über Nacht ihre Bedeutung. Für den effizienten Betrieb des Geschäfts sind sie unerlässlich. Aber Hand aufs Herz: Was tun Sie heute wirklich, um Ihre Erfolgsprinzipien zu hinterfragen und mit einer gehörigen Portion Zukunft anzureichern? Gelingt es Ihnen, neben der effizienten Ordnung gleichzeitig auch kreatives Chaos zu kultivieren – ohne im Konflikt zwischen konservativen und progressiven Kräften stecken zu bleiben?

Der Zukunft mehr Raum geben, damit sie entstehen kann

Dies fällt kleinen wie grossen Unternehmen schwer. Selbst die lange Zeit sehr erfolgreiche deutsche Automobilindustrie demonstriert aktuell, dass auch unglaubliche Ressourcenkraft und höchste Professionalität nicht helfen – solange das Selbstverständnis auf den Verbrennungs­motor und den Erfolg von gestern fixiert ist. Mittelständische Unternehmen sind da zukunftsoffener und agiler aufgestellt. Ihre Herausforderung liegt auf der Ressourcenseite: Viel zu oft fehlen die richtigen Mitarbeiter und viel zu oft «frisst» das Tagesgeschäft die Zeit auf, die man sich für strategische Themen und Business-Development-Aufgaben eingeplant hatte. So vergeht schnell ein Monat, ein Quartal, ein ganzes Jahr – ohne dass Fortschritte erzielt wurden. 

Systematisches Business Development ist gefragt. Verbindliche Zukunftsarbeit, die das Geschäft voranbringt, anstatt von ihm geschluckt zu werden. Die Kultivierung eines zukunftsoffenen Selbstverständnisses ist dabei der erste Schritt – am besten in Form eines schriftlich ausformulierten Unternehmensleitbildes mit klarer Vision, Mission und Werten. Das Ableiten ambitionierter Ziele und Massnahmen aus diesem Selbstverständnis heraus ist der zweite Schritt. Und dann folgt das Vorantreiben der Fortschrittsaktivitäten. Iteration für Iteration. Lernkurve für Lernkurve. Diesen Prozess zu initiieren und zu führen, ist die Kernaufgabe der Unternehmensleitung. Im Idealfall involviert man seine Bereiche und Fahnenträger, bündelt ihre Kräfte in einem gemeinsamen Zukunftsprogramm. Allein geht heute nur noch wenig. 

Fazit

Archimedes hat gesagt: «Gib mir einen festen Punkt und einen ausreichend langen Hebel, und ich kann die ganze Welt anheben.» In diesem Sinne sollte man das Selbstverständnis seiner Organisation in Form einer zukunftsrelevanten Vision zum festen Hebelpunkt seiner unternehmerischen Entwicklung machen. Man sollte danach streben, aus der bestmöglichen Zukunftsversion seines Unternehmens heraus gemeinschaftlich zu handeln – und die zukünftige Welt seines Unternehmens tatkräftig herbeiführen.

Porträt