Marketing & Vertrieb

E-Commerce

Wie Facebook den Handel ausschalten will

Noch denken viele stationäre Händler, aber auch E-Commerce-Anbieter, dass die grösste Gefahr seitens Amazon zu drohen scheint. Dem ist jedoch nicht so. Die wirkliche Gefahr liegt uns jeden Tag in der Hand, mit fast 500 Millionen Nutzern und nun mit einer eigenen App, welche auch Bezahlungen ermöglicht: Facebook Messenger.
PDF Kaufen

An der letzten «F8-Konferenz» hat Facebook angekündigt, nicht nur einen Bezahldienst anzubieten, sondern auch weitere, grundlegende Zusatzfunktionen im Messenger einzubauen. Die Absicht dahinter erscheint nicht ganz so klar, und Detailhändler sowie E-Commerce-Anbieter sind sich wohl auch nicht bewusst, dass Facebook zu einem ernst zu nehmenden Player in diesem Segment wird, bald wohl mit einem eigenen OS, basierend auf dem Messenger für 1,4 Milliarden User und in Kombination mit einer eigenen ­Bezahlungslösung, beschleunigt durch 700 Millionen Whatsapp-Nutzer.

Erst ausgliedern …

Facebooks Messenger-Plattform könnte der Anfang von etwas ganz Grossem werden. Woher diese Annahme? Facebook hat an der jüngst abgehaltenen Entwicklerkonferenz Pläne eines aufgebohrten Messengers präsentiert. Das heisst, Entwicklern steht es nun frei, Applikationen zu entwickeln und anzubinden. So wurde neben der Ankündigung eines «Messengers for Business» die Plattform für Drittanbieter ergänzt und schon kurze Zeit später waren über 40 Apps zur Erweiterung verfügbar. Warum dieser Schritt und warum gerade via Messenger-Applikation? Facebook will wohl unabhängiger von den so‑­ genannten Gatekeepern werden, sprich Google Play und vor allem Apples iTunes. Noch ist dies allerdings nicht zu einhundert Prozent möglich. Wie Facebook erklärte, würde eine komplette Plattformlösung die App vor allem langsamer machen.

Darum folgt man lieber einem Annäherungsprinzip: Externe Apps werden lediglich aus dem Messenger heraus verlinkt und sind bis zu einem gewissen Grad in der Lage, Inhalte in Messenger-Chats darzustellen. Die eigentliche Installation einer externen Drittanbieter-App aber erfolgt ganz konventionell über den jeweiligen Store von Apple oder Google.

Noch also funktioniert der Messenger als klassische Kommunikationsgeschichte. Nachrichten werden gesendet, empfangen, angereichert, weitergeleitet und so weiter. Zulasten der klassischen Dienste wie E-Mail. Gewisse Generationen verzichten fast komplett auf private E-Mails und lösen die Kommunikation durch den Messenger von Facebook ab. Dasselbe gilt auch für SMS, welches durch Whatsapp kannibalisiert wurde und immer noch wird. Eine Verlagerung derselben Handlung auf neue Applikationen also. Woher also der Fokus von Facebook, den Messenger zu stärken? Wie eingangs erwähnt, liegt das wahre Potenzial weniger in den Nachrichten, sondern in den Transaktionsabsichten dahinter.

Facebook möchte den Messenger nicht als Applikation, sondern als Plattform positionieren, was auch jüngst mit der kompletten Ausgliederung als messenger.com anzufangen scheint. Erst ausgliedern, dann weiter aus- und aufbauen. Dann aber spätestens kollidieren die Interessen zwischen Facebook und den OS-Betreibern massiv, denn Facebook möchte das Thema der Transaktionen auch finanzieller Natur stärker in den Fokus rücken. Bisher steht dem Messenger nur Apps offen, die Bilder, Videos und Sounddateien im Messenger platzieren wollen. Irgendwann dürften aber auch Nachrichteninhalte verfügbar sein, die Services und Produkte im Sinne einer (derzeit klassischen) E-Commerce-Transaktion darstellen.

Zitat Mark Zuckerberg: «Messaging is one of the few things people do more than social networking. In some countries 85 percent of people are on Facebook, but 95 percent of people use SMS or messaging. Asking folks to install another app is a short term painful thing, but if we wanted to focus on serving this [use case] well, we had to build a dedicated and focused experience. [...] The reason is that what we’re trying to do is build a service that’s good for everyone. Because Messenger is faster and more focused [...].»

… dann ausbauen

Mark Zuckerberg erklärte dazu bereits im November 2014, dass er die Nutzung des Messengers forcieren möchte, damit Menschen fokussierter und schneller kommunizieren können. Dazu mussten bereits letztes Jahr alle Facebook-Nutzer eine eigene App für den Messenger herunterladen. Doch das ist wohl erst die Hälfte der Reise, denn jetzt, wo die App auf allen Smartphones ist, ist es ein Leichtes, diese Applikation nicht als Messenger per se, sondern als eigentlichen Browser für Smartphones zu verstehen. Mehr und mehr Inhalte werden über den Messenger (Browser) geteilt und kommentiert, Termine ausgemacht, Informationen ausgetauscht.

Man bespricht, surft, recherchiert und wird irgendwann wohl auch direkt kaufen. Alles in derselben Applikation, die Grenzen verwischen und verschwinden letztendlich dann ganz, und dank des eigenen Transaktionssystems sind auch Bezahlungen ein Leichtes. Das fehlte Facebook bislang noch und es lässt sich in der aktuellen Konstellation mit Apple und Google als Mitverdiener bei In-App-Käufen auch gar nicht realisieren. Momentan noch jedenfalls.

Das Bezahlen bequem über die Messenger-App ist nur eine Frage der Zeit – denn neben Werbung könnte Facebook auch daran mitverdienen. Was für die eben beschriebene Strategie spricht, ist auch eine Personalie: Für den Messenger ist der frühere Chef des Online-Bezahldienstes Paypal, David Marcus, verantwortlich. Die in den Staaten bereits eingeführte Geld-versenden-Funktion im Messenger hatte Paypal in seiner App bereits im vergangenen Sommer gestartet, kurz nach dem Wechsel von Marcus zu Facebook.

Kampf um loyale Kunden

Aber wo befindet sich die künftige Käuferschaft? Genau, neben dem Messenger auf Whatsapp, welches Facebook 2014 gekauft hatte. Fehlt nur noch diese nahtlose Integration in die Facebook-Welt. Bereits im April diesen Jahres waren erste Screenshots mit dem Whatsapp-teilen-Button innerhalb von Facebook aufgetaucht, nur Zufall oder Beta-Test? Facebook kommentierte die Bilder nur knapp. Eine alternative Variante wäre, man wendet sich an einen Hardware-Partner und stellt sicher, dass die Messenger-App bereits beim Kauf installiert und prominent platziert ist. Zum Beispiel mit Samsung, das im Smartphone-Markt immer stärker unter Druck gerät oder den chinesischen Shooting-Star Xiaomi, an dem Facebook gemäss diversen Berichten gerne beteiligen würde. Also zwei sehr attraktive Kooperationspartner für ein heute noch fiktives und dennoch logisches Szenario.

Die User werden entscheiden, ob und wie sie es nutzen werden. Aber eines ist sicher: Unternehmen, Händler und Marktplätze müssen sich anstrengen: Konnte der Händler noch mit Beratungskom­petenz punkten, sind es beim heutigen ­E-Commerce vor allem Preis, Verfügbarkeit und (Liefer-)Service. Nun kommt mit dem eigentlichen unified-commerce die nächste Stufe, aus der er sich zu befreien gilt: der Lock-In-Effekt. User und Käufer sind bequem, warum also die Plattformen wechseln, nur weil ich etwas kaufen möchte? Beratung, Service und Verfügbarkeit sind plötzlich obsolet, wenn es Unternehmen nicht schaffen, noch direkter an den Kunden zu gelangen und Loyalität zu erreichen. Das ist nicht leicht im ungeduldigen Informationszeitalter, aber nicht unmöglich.

Porträt