Marketing & Vertrieb

Kampagnenentwicklung

Wie die Zielgruppe zum Expertengremium wird

Immer wieder schiessen Kampagnen am eigentlichen Ziel vorbei. Mal fehlt es am Empathievermögen der Agenturen oder diese haben ihre Kunden nicht wirklich verstanden. Zielgruppen bereits in die Kampagnenentwicklung einzubinden, bringt nachweislich bessere Ergebnisse.
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In Agenturen wird doch stets behauptet, dass sie zielorientiert arbeiten und auf ihre Zielgruppe hören. Was dann aber nicht selten herauskommt, ist genau das Gegenteil – Plakatkampagnen auf Englisch für eine ländliche Zielgruppe oder ähnliche Fehlleistungen. Es gehört zur professionellen Deformation vieler Agenturen, dass sie nicht wirklich auf die Zielgruppe hören, weil man selbst Profi ist und es deshalb besser weiss. Manchmal steht auch ganz einfach der sogenannte Fluch des Wissens im Weg, die Unfähigkeit, sich in jemanden hineinzuversetzen, der zum ersten Mal mit einem Thema konfrontiert wird.

Zielgruppen als Experten

Die Zielgruppe will auch vermehrt mitbestimmen können, und sie soll das bitte auch dürfen. Durch diese Ermächtigung wird eine Beziehung zwischen dem Unternehmen und der Zielgruppe aufgebaut, und das schafft Vertrauen. Dieses ermöglicht wiederum ehrliche und valide Feedbacks auf Firmenideen und kreative sowie wirkungsorientierte Lösungen für allfällige Probleme. Aber wie kann man die eigene Zielgruppe einspannen, wenn diese gar keine Experten sind? Können Laien Kampagnenstrategien entwickeln?

Innerhalb der Kundschaft besitzen sehr wahrscheinlich nur wenige die notwendige Ausbildung oder Erfahrung in Marketing, Kommunikation oder Product Management, um eine Kommunikations- oder Kampagnenstrategie zu entwickeln. Das heisst aber noch lange nicht, dass die Zielgruppe für die firmeninterne Konzeptplanung nicht ihren Teil beitragen kann. Kritisches Hinterfragen und Bewerten kann man sich in anderen Lebensbereichen ebenfalls aneignen. Dazu kommt die Erkenntnis, dass sich Profis, wenn sie die Zielgruppe nicht ganz genau kennen, im Halbdunkeln vorantasten müssen. Ob sie dabei den Weg zur Tür finden oder sich die Nase anschlagen, bleibt offen – trotz Unterstützung von Analyse-Software und Marktstudien.

Die Zielgruppe muss viel aktiver eingespannt werden als bisher, denn ihre Mitglieder besitzen das Potenzial, sich als Nicht-Profis unter einer fachgerechten Anleitung zu richtigen Kampagnenprofis zu entwickeln. Dass dahinter keine Behauptung steckt, zeigt das kommende Beispiel.

Entwicklungsarbeit vom Kunden

Target Community Lab (TCL) steht für ein Workshopdesign, das die Business Campaigning GmbH im Jahr 2004 entwickelt hat und seitdem für mehrere Dutzend beauftragende Partner durchgeführt hat, darunter Postfinance, Swisscom, Credit Suisse, Amag und andere. Dabei wird die strategische Zusammenarbeit mit der Zielgruppe organisiert und man lässt sie ihre eigene Kommunikations- oder Kampagnenstrategie entwickeln. Der Fisch entwickelt quasi seinen eigenen Köder. Anders als bei klassischen Marktforschungsinstrumenten, wie etwa Fokusgruppen, werden die Teilnehmenden in TCLs nicht zu bereits identifizierten Themen befragt, sondern sie werden angeleitet, selbst eine Kampagnenstrategie zu entwerfen und zu präsentieren. So bestimmt die Zielgruppe selbst, welche Themen für sie wirklich relevant sind, wie und über welche Kanäle sie mit welchen Botschaften angesprochen werden wollen. Diese Kernelemente einer jeden Strategie kommen den Teilnehmenden unverfälscht von den Lippen.

Anschliessend werden die Informatio­nen – die präsentierten Konzepte sowie Video- und Tonaufnahmen der gesamten Arbeit – erfasst, ausgewertet und in einem Erkenntnis- und Empfehlungspapier zusammengefasst. Von den Zielsetzungen über Kernbotschaften bis hin zum Instrumentarium erhält der Partner dann Aufschluss darüber, was wie richtig ankommt. Neue Erkenntnisse, ungewöhnliche Ansätze, aber auch Gewissheit über Annahmen, die schon lange vage im Raum stehen, gehören mit dazu. Das Ergebnis eignet sich als Briefing für eine Agentur oder als erster Strategieentwurf für die zu planende Kampagne.

Ein Beispiel aus der Praxis

Ein anschauliches Beispiel, das zeigt, wie wirkungsvoll eine solche Vorgehensweise sein kann, war das erste Workshop-Modell, das Business Campaigning für ein Pharmaunternehmen durchgeführt hat. Dieses wollte ein Lifestyle-Produkt für Frauen in der Schweiz lancieren. In Finnland, dem ersten Land, in welchem das Produkt lanciert worden war, konnte man eine passende Marketingkampagne erfolgreich fahren. Das Problem: Hierzulande konnte dieselbe Kampagne nicht funktionieren, weil sie vielmehr zu kulturellen Missverständnissen geführt hätte als zum Erfolg. Finnen ticken halt anders als Schweizer.

Während eine Werbeagentur mit ihren Profis eine Lancierungskampagne für die Allgemeinheit entwickelte und dafür die finnische Positionierung auf die Schweiz adaptierte, wurden für den Workshop als Zielgruppe Studentinnen eingeladen. Abgesehen vom Hauptziel waren dabei alle Schritte bis hin zur Erreichung dieses Ziels nicht vorgegeben. Sie erhielten somit jegliche Freiheiten in der Planung und legten selbst fest, welche Zwischenziele erreicht und welche Massnahmen getroffen werden müssten, damit sie das neue Produkt kaufen würden. Nach einiger Zeit kamen die Studentinnen auf die Idee, als Massnahme für die Kampagne einen Slogan zu entwickeln, der das Produkt mit Witz und Leichtigkeit besser vermarkten sollte.

Das Ergebnis überraschte: Die Studentinnen definierten als wichtigsten Nutzen nicht die Produkteigenschaft, die der Auftraggeber als zentral in den Vordergrund stellte, sondern die Breite des Produkts und entwickelten einen Spruch, der es in sich hatte. Er baute darauf auf, dass Frauen besser als Männer wissen, worauf es ankommt: nicht auf die Länge, sondern auf die Breite. Was zunächst überhaupt nichts mit dem Produktnutzen zu tun zu haben schien, entpuppte sich als entscheidender Erfolgsfaktor. Die Studentinnen waren derart begeistert von ihrer Idee und dem Konzept, dass sie sich aktiv dafür einsetzten, auch das Bildmaterial für die Werbebotschaften entwickeln zu dürfen. Die daraus resultierende Kampagne war von hoher Authentizität und hatte mit ihrer witzigen Kernbotschaft einen guten Erinnerungswert.

Anschliessend kam der messbare Mehrwert ins Spiel: Das Produkt wurde parallel in abgegrenzten Gebieten lanciert, und es konnte vergleichend nachgewiesen werden, dass die im TCL entwickelte Kampagne zu einem vier Mal höheren Marktanteil führte als eine durch renommierte Werber konzipierte Kampagne.

Ergebnisorientiert querdenken

So simpel der Workshop aussehen mag: Er liefert messbare Resultate und schafft einen Mehrwert. Mit ihm können Unternehmen im Kleinen herausfinden, was im Grossen wirkt. Damit steht das Labor im Vergleich zu herkömmlichen Zielgruppenanalysen komplett quer, denn Marktstudien befragen in einem weitaus grös­seren Rahmen. TCL eignet sich für die Gestaltung eines neuen Produkts, einer neuen Dienstleistung oder einer neuen Kampagne. Der Workshop bringt nebst seiner Querdenker-Eigenschaft noch einen anderen Vorteil mit sich. Es bildet sich nämlich am Ende der Zusammenarbeit eine kleine Community heraus. Die ungezwungene Atmosphäre während des Workshops kann zusätzlich dafür sorgen, dass sich die acht bis zwölf Mitstreiter zu einer kleinen Gruppe von «Botschaftern» entwickeln, die das Produkt, die Dienstleistung oder die Kampagne nach aussen tragen und bekannt machen.

Fazit

Der aktive Einbezug der Zielgruppe in die Planung der Kampagne überrascht immer wieder, indem auch bei vermeintlich schwieriger zu identifizierenden Bedürfnissen die eingeladenen Personen mit wirkungsvollen Ideen kommen, die auch Experten noch gar nicht in den Sinn gekommen sind. Genau das soll das Ziel sein, wenn es darum geht, sinnvolle Kampagnen für sinnvolle Ziele zu gestalten: ein wirkungsorientiertes Zusammenarbeiten mit der Zielgruppe.

Porträt