Marketing & Vertrieb

Vertriebsstrategie

Vertriebsrelevantes Wissen intern vernetzen

Wenn es finanziell eng wird, muss der Vertrieb ran. Doch alleine damit kommen Unternehmen manchmal nicht mehr weiter. Denn wenn die Liquidität wirklich in Gefahr ist, braucht der Vertrieb die Unterstützung anderer Bereiche; die sind darin oft erfolgreicher als gedacht. Es kommt nur darauf an, wie sie eingebunden werden.
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Wirtschaftskrise, Kundenabwanderung, Umsatzeinbruch: Immer wieder kommen Unternehmen an einen Punkt, an dem sie schnell mehr Umsatz brauchen. Meistens geht dann die Order an den Vertrieb, neue Aufträge zu bringen. Der Druck auf die Vertriebsmannschaft wächst, doch die arbeitet oft am Anschlag und kann ihre Ergebnisse nicht beliebig steigern. Was in einer solchen Situation gerne übersehen wird: Auch andere Abteilungen und ihre Mitarbeiter haben echtes Vertriebspotenzial. Zum Beispiel erfassen die Servicemitarbeiter oder Telefonzentrale ganz entscheidende Informationen von Kunden, und Projektmitarbeiter kennen ihr Produkt und seine Absatzkanäle so gut wie niemand anders. Dieses Wissen wird im Tagesgeschäft des Vertriebs oft gar nicht verwendet. Wenn aber dringend mehr Umsatz verzeichnet werden muss, liegt darin die Chance: Schlüsselpersonen des gesamten Unternehmens zusammenzuholen und ihr Know-how für den Vertrieb zu kanalisieren – zumindest vorübergehend. So wird quasi ein «Vertriebsturbo» eingelegt.

Wird schnell mehr Umsatz gebraucht, wendet sich die Geschäftsführung normalerweise an den Vertrieb und gibt die Order, mit Nachdruck neue Aufträge zu bringen. Das ist nicht nur dann schwierig, wenn die Abteilung bereits voll ausgelastet ist und die Vertriebler ohnehin unter grossem Zeitdruck arbeiten. In einem vertriebsinternen Workshop werden zwar einige gute Ideen entstehen, die sich im Anschluss auch umsetzen lassen. Wesentlich mehr Kraft für eine kurzfristige Verstärkung des Vertriebs aber bekommt das Unternehmen, wenn es die gesamte Energie aller Stellen dafür kanalisiert. Und das geschieht, indem sich die Schlüsselpersonen aller Bereiche zusammentun und gemeinsam den Vertriebsmotor ankurbeln. Dabei geht es um eine aktive Zusammenarbeit über einen bestimmten Zeitraum, um dem Vertrieb einen echten Turbo zu verpassen.

Deshalb lohnt es sich, auch über den Vertrieb hinauszublicken, um schnell zu mehr Umsatz zu kommen. Auch andere Stellen haben vertriebsrelevantes Wissen: Mitarbeiter aus dem Marketing zum Beispiel können durch ihr Wissen über den Markt zu einem Vertriebsdurchstoss beitragen. Das wird etwa beim Value Based Selling deutlich; hier wird der Wert einer Leistung für den Kunden und damit die Kundenperspektive in den Vertrieb einbe­zogen – was ohne die Marktkenntnisse des Marketings kaum möglich wäre. Ebenso kennen die Produktmanager ihre Projekte so gut, dass sie oft gute Ideen für deren Vertriebswege haben.

Auch im Service und im Kundendienst laufen wertvolle Informationen auf, die aber selten in der Praxis aufbereitet und weiterverwendet werden. Die Mitarbeiter dort haben generell einen umfassenden Überblick, was die Kunden gut und schlecht finden. Und während die Vertriebsplanung oft unter Führungskräften stattfindet und darüber hinaus im Dialog mit den Account-Managern und Aussendienstlern, bekommt auch die Unterstützung im Vertriebsinnendienst eine Menge über Kunden und Aufträge mit und hat realistische Vorstellungen davon, was zusätzlich machbar ist. Wer all das und auch, je nach Unternehmenssituation, weitere Schlüsselpersonen einbezieht, kann dem Vertrieb also einen Schub verpassen, der aus eigenen Kräften innerhalb der Vertriebsabteilung so kaum möglich wäre.

Vertriebsturbo – das bedeutet, das gesamte System Vertrieb neu zu durchdenken und innovative Wege zu finden, und zwar mit den Schlüsselpersonen des Unternehmens. Ein Beispiel: Ein Büromöbelhersteller kam in eine Lage, in der er schnell Vertriebserfolge brauchte, als der Markt 2009 infolge der Finanzkrise einbrach. Ein Grosskunde fiel weg und insgesamt ging der Umsatz von 20 Millionen im Jahr 2008 auf acht Millionen zurück. Der Geschäftsführer rief sein Führungsteam zusammen und holte einen externen Moderator dazu. Schon zu Beginn war klar: Das Unternehmen war abhängig von diesem einen Kunden gewesen und der Vertrieb besass in der bisherigen Struktur nicht genug Schlagkraft, diese Abhängigkeit aufzubrechen. Nun sassen Schlüsselpersonen aus dem ganzen Unternehmen zusammen, vom Marketingleiter über Produktmanager bis hin zu Vertretern des Kundenservice, um strategische Initiativen zu entwickeln, die in sechs Monaten zum Vertriebserfolg führen sollten.

Zunächst galt es, die Lage des Unternehmens einzuschätzen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen:

› Wie sieht das Umfeld aus?

› Welche Trends zeichnen sich in den Märkten ab?

› In welcher wirtschaftlichen Situation befindet sich das eigene Unternehmen und in welcher die Kunden?

› Welche technologischen Entwicklungen wirken sich auf das Unternehmen aus?

› Welche internen Fehler haben zu dieser schlechten Situation geführt?

Die teilweise sehr lebhafte Diskussion brachte Erschreckendes hervor: Die Abhängigkeit von diesem nun verlorenen Grosskunden war viel zu gross. Trotzdem war kein schlagkräftiger Vertrieb aufgebaut und die bestehenden Produktlinien waren seit sechs Jahren nicht mehr erneuert worden. Das Management hatte es ausserdem versäumt, beim Umsatzrückgang die Kapazitäten anzupassen und beispielsweise Kurzarbeit einzuführen.

Nach dieser Erkenntnis ging es darum, die Stärken und Schwächen sowie Chancen und Risiken des Unternehmens zu identifizieren, um die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Die Konzentration auf den Grosskunden hatte leider auch dazu geführt, dass einige Stärken im Laufe der Jahre verkümmert waren. Kurzerhand skizzierten Produktmanager und Serviceverantwortliche gemeinsam die Vision einer neuen Produkt- und Servicegeneration – es zahlte sich nun aus, dass unterschiedliche Fachkräfte an einem Tisch sassen.

Die Ideen der Beteiligten griffen ineinander, es entstanden viele brauchbare Lösungen. Da Fachleute aus dem gesamten Unternehmen dabei waren, konnten sie viele Möglichkeiten sofort auf Machbarkeit prüfen. Vieles wurde deshalb auch gleich wieder verworfen wie etwa die Idee eines Billigsortiments. Der Vertrieb aber erwies sich für die neue Produkt- und Servicegeneration schlicht nicht gut genug aufgestellt: Die notwendigen Strukturen, Prozesse und Werkzeuge fehlten. Es galt also, diese schnell zu entwickeln.

Das Unternehmen würde sich in den folgenden Monaten radikal verändern müssen. Allem voran war eine Revision des bestehenden Produktportfolios notwendig: Es gab nur zwei echte «Cashcows»; unter den «New Stars» war kein Schwerpunkt auszumachen und für die unzähligen «New Entries» fehlten Prozesse zur Bewertung und Investition in einzelne darunter. Die Produktmanager hielten zu sehr an liebgewonnenen, aber nicht mehr laufenden Produkten fest – die Diskussionen darüber verliefen äusserst kontrovers. Zugleich war dies der Moment, in dem das Unternehmen ein echtes Portfolio-Management entwickelte und die Produkte und Dienstleistungen systematisch mit Blick auf die Zukunft strukturierte.

Im nächsten Schritt – inzwischen war der Workshop in den zweiten Tag gegangen – galt es, strategische Initiativen zu finden, um in sechs Monaten den Vertriebserfolg zu erzwingen, sprich, die Umsätze möglichst schnell zu steigern. Konkret ging es darum:

› Ein Produkt- und Service-Portfolio aufzubauen

Produktmanager, Marketingmitarbeiter und Vertriebler erarbeiteten im Folgenden ein wettbewerbsfähiges Portfolio und stellten sicher, dass Investitionen des Unternehmens in Produkte und Dienstleistungen wirksam wurden. Später ging aus dieser Arbeitsgruppe ein Portfolio-Manager hervor, der der Vertriebsmannschaft wichtige Impulse gab und heute in enger Abstimmung mit dem Marketing die Produktmanager koordiniert.

› Den Vertrieb für Wachstumsthemen zu stärken

Vertreter aus Marketing und Vertrieb entwickelten eine konkrete Unterstützung fürs Tagesgeschäft im Vertrieb. Sie wählten zum Beispiel Messen aus, organisierten Kunden-Events und liessen die Vertriebsunterlagen professionell gestalten.

› Bertriebsbereiche neu zu strukturieren

Vertriebs- und Service-Führungskräfte planten eine neue Organisation ihrer Bereiche, um mehr Schlagkraft und besseren Kundenservice zu erreichen. Der Service wurde so noch persönlicher gestaltet und Bestandskunden werden wesentlich individueller betreut.

› Ein Call-Center mit der Akquise neuer Kunden zu beauftragen

Eine Arbeitsgruppe suchte einen passenden Anbieter und konzipierte Anrufe, um neue Kunden zu überzeugen.

› Die Kapazitäten in der Produktion an die Auftragslage anzupassen

Mitarbeiter aus der Produktion und Verantwortliche aus dem Personal beschlossen – gemeinsam mit dem Betriebsrat – eine Phase der Kurzarbeit, um auf die (noch) sinkenden Absatzzahlen zu reagieren. Für die Zukunft entwarfen sie intelligente Fertigungskonzepte, um Kapazitäten flexibler anpassen zu können und die Produktion für zukünftige Krisen besser aufzustellen.

Da in der Praxis wertvolle Ergebnisse aus Workshops oft schlicht im Tagesgeschäft untergehen, trafen sich alle Arbeitsgruppen im Abstand von drei bis vier Wochen, um den jeweiligen Fortschritt zu besprechen und gegebenenfalls nachzujustieren. Nach drei Monaten war der gesamte Prozess abgeschlossen. So stellten sich die ersten Erfolge schon nach kurzer Zeit ein, die Kurzarbeit wurde auch bald wieder beendet. Der Vertrieb war dann völlig neu aufgestellt und hatte erheblich an Schlagkraft gewonnen. Allein die Kundenkontakte pro Woche hatten sich von fünf auf 50 verzehnfacht. Ein Jahr nach dem Vertriebsturbo schrieb das Unternehmen übrigens wieder schwarze Zahlen, und aktuell weist es ein Umsatzwachstum von 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf.

Wer einen Vertriebsturbo richtig gestaltet und die gesamte Kraft des Unternehmens dafür einsetzt, kann in kurzer Zeit Erfolge einfahren. Gleichzeitig ist so ein Turbo auch die Chance, den Vertrieb auf Dauer besser aufzustellen und auf lange Sicht mehr Schlagkraft zu entwickeln.

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