Marketing & Vertrieb

Wachstumsfaktoren

Vertrieb: Bremse oder Motor des Wachstums?

Ohne einen guten Vertrieb ist kein Wachstum möglich. Natürlich bedarf es zum Wachstum einer leistungs­fähigen Organisation, schneller, schlanker Prozesse, optimierter Schnittstellen und einer marktwirksamen Strategie, aber ohne einen starken Vertrieb wird sie ihre Leistung nicht auf die Strasse bringen. Was es braucht, um mögliche Wachstumsbremsen zu lösen, skizziert dieser Beitrag.
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Wo Schatten ist, gibt es auch Licht. Natürlich gibt es vorbildlich aufgestellte und hochwirksame Vertriebsorganisationen und Vertriebsabteilungen. Diese sind es auch, die Mut machen, ihnen nachzueifern, denn wenn der Vertrieb erst einmal leistungsfähig aufgestellt ist – als Organisation und nicht nur in Form der einzelnen Mitglieder der Organisation – und wenn er dann noch auf eine ebenso leistungsfähige Organisation zurückgreifen kann, ist eine wesentliche Wachstumsbremse beseitigt. Um dem Vertrieb dabei zu helfen, Bremsen zu lösen und zum Wachstumsmotor zu werden, sollen nachfolgend neun Facetten betrachtet werden:

  1. Vertriebsstrategie
  2. Führungsprinzipien
  3. Innendienst / Aussendienst
  4. Kundenbindungsprogramme
  5. Produktanzahl
  6. Projekteinbindung
  7. Instrumente und Planung
  8. Schnittstellen
  9. Begeisterte Kunden

1. Vertrieb braucht Strategie

So selbstverständlich es auch klingen mag, wenn man fordert, ein Unternehmen benötige eine Vertriebsstrategie, so erforderlich ist es doch, diese Notwendigkeit immer wieder zu adressieren. Es geht nicht darum, die Strategie immer wieder neu zu erarbeiten, sondern sie einmal zu erarbeiten, dabei sicherzustellen, dass sich die Vertriebsstrategie an der Unternehmens- und Marktsegmentstrategie ausrichtet und diese nicht konterkariert und die Vertriebsstrategie dann permanent zu pflegen.

Was in der Theorie logisch klingt, wird in der Praxis oft vernachlässigt. Oft reduziert sich das «strategische» Vorgehen des Vertriebs auf das Aufstellen von Besuchshäufigkeitszielen, die Klassifizierung von A-, B- und C-Kunden und die Forderung, einen bestimmten Deckungsbeitrag nicht zu unterschreiten. Das strategische Erarbeiten einer Marktposition wird oft den Opportunitäten geopfert. Wenn Opportunitäten aber die Regel werden, ist die gesamte Organisation betroffen, weil viele Sonderfälle erzeugt werden und somit auch die Komplexität in der Gesamtorganisation zunimmt. Profit wird durch steigende Komplexität aufgezehrt.

Die Erarbeitung einer marktwirksamen Vertriebsstrategie ist ein Projekt. Ihre Justage und den strategischen Erfordernissen folgende Pflege ist ein Prozess. Genau dieser Prozess aber bedarf einer Konsequenz, wie sie im Vertrieb nur unter einer starken Führung möglich ist.

Unternehmen, die sich ehrlich eingestehen müssen, noch nicht über eine klare Vertriebsstrategie – die auch dem Vertrieb bekannt sein muss – zu verfügen, sollten schnell handeln, denn jeder verlorene Tag wird dem Wettbewerb geschenkt. Unternehmen, die über eine Vertriebsstrategie verfügen, die in den letzten sechs Monaten nicht hinterfragt und deren Resultate nicht binnen der letzten sechs Monate strukturiert gesichtet wurden, sollten sich bald in Klausur mit ihrem Vertrieb begeben, um genau dies zu tun.

2. Vertrieb braucht Führungsprinzipien

Ein wesentliches Argument, für eine Karriere im Vertrieb ist bei Vertriebsmitarbeitern aller Hierarchieebenen die Freiheit, die Selbstbestimmtheit des Handelns. Natürlich spielt auch das Einkommen eine Rolle, aber Befragungen zeigen immer wieder, dass das Thema «Freiheit» ganz vorne steht.

Folglich ist es auch keine Überraschung, dass sich bei genauer Betrachtung der Vertriebsarbeit eine gewisse «Eigenkreativität» einstellt, die auf den persönlichen Fähigkeiten einzelner Vertriebsmitarbeiter beruht. Mitarbeiter haben gewisse Vorgehens-, Kunden- und Produktpräferenzen und kombinieren diese zu einem eigenen Stil. Im Prinzip ist dagegen auch nichts einzuwenden, solange sich der Vertrieb im System bewegt, das sein Unternehmen gemeinsam beschlossen hat. Genau hier liegt aber das Problem, denn die genannte Eigenkreativität führt häufig zu Stilblüten, die nicht beabsichtigt sein können.

Vertriebsführung reduziert sich dabei nicht auf das Verwalten der Mitarbeiter, Verkaufsgebiete und Kunden, sondern Vertriebsführung bedeutet, den Vertrieb von der Spitze des Unternehmens bis in das letzte Verkaufsgebiet so zu führen, dass alles zur Vertriebsstrategie passt. Die Individualität des einzelnen Vertriebsmitarbeiters muss sich in das Gesamte einfügen, will man die Komplexität nicht erneut erhöhen. Ganz abgesehen davon muss ein Unternehmen schon aus Eigeninteresse eine stringente Vertriebsführung aufbauen, will es nicht bei jedem Personalwechsel erneut böse Überraschungen erleben.

Führung erfolgt anhand von gemeinsam vereinbarten Resultaten und Vorgehensprinzi­pien. Es geht nicht um die detaillierte Vor­gabe minutiöser Schritte, denn dies führt im Vertrieb nur zu Frustration. Führung soll dabei helfen, Erfolge nicht dem Zufall zu überlassen. Und natürlich lebt Führung von vorbildlichem Handeln. Dies beginnt – wie immer – an der Unternehmensspitze.

3. Innendienst und Aussendienst ge­hören zum selben Team

Eine der meist unterschätzten Einheiten im Vertrieb ist der Vertriebsinnendienst. Nicht nur, dass in dieser Einheit oft hoch qualifizierte Personen sitzen; die Mitarbeiter im Innendienst sind auch meist hoch motiviert, ihren Beitrag zu zufriedenen Kunden zu leisten. Bedauerlich ist, dass der Innendienst in zahlreichen Unternehmen zum Schreibbüro des Aussendienstes degradiert wird.

Eine Aufwertung des Innendienstes ist Führungsaufgabe und zahlt sich für alle Beteiligten aus: In einem echten Team können beispielsweise vertriebliche Aufgaben in der Kundenbetreuung an den wertvollen Innendienst übertragen werden und somit für den Aussendienst zusätzliche Kapazitäten schaffen. Insbesondere kann die Betreuung von C-Kunden hier erfolgen. Dem Innendienst rein passive Funktionen zu übertragen, ist nicht genug. Ein wirksamer Innendienst bearbeitet stets auch aktiv den Markt. Schreibarbeiten können an weniger qualifizierte Abteilungen oder externe Dienstleister ausgelagert werden. Ein guter Innendienst aber kann die Kernleistung wesentlich stärken.

4. Ohne die Einbindung des Vertriebs bringen Kundenbindungsprogramme nichts

Wenn man hinter die Kulissen vieler sogenannter Kundenbindungsprogramme sieht, verbirgt sich dahinter ein undurchdringliches Dickicht vermeintlicher Vorteile, die auf den zweiten Blick keine echten Vorteile für die Kunden darstellen. Ein gutes Kundenbindungsprogramm, das seinen Namen verdient, zielt auf einen echten Nutzen der Kunden ab.

Selbst wenn ein nutzbringendes Kundenbindungsprogramm existiert, hilft dies wenig, wenn der Vertrieb es nicht oder nicht in hinreichender Tiefe kennt. Nicht selten werden Vertriebsmitarbeiter von Kunden auf das Kundenbindungsprogramm angesprochen und sind dann sprachlos. Dies ist natürlich eine Situation, die nicht im Sinne einer wirksamen Vertriebsstrategie und Vertriebsführung sein kann. Wenn es also ein Kundenbindungsprogramm im Unternehmen gibt, muss jeder Vertriebsmitarbeiter fundiert Auskunft über den Nutzen des Programms geben können.

5. Dem Vertrieb bringen viele Produkte nicht automatisch viel

Die Erfahrung zeigt, dass bis zu 30 Prozent der Produkte eines Unternehmens ausgelistet werden können, weil sie wenig Ertragskraft und/oder wenig strategische Bedeutung haben. Die Diskussion um die Erfordernis von bestimmten Produkten im Produktportfolio wird häufig sehr emotional geführt und mit vermeintlich starken Argumenten hinterlegt. Es werden Kernkunden ins Feld geführt, die sich sicher «dem Wettbewerb zuwenden» würden, wenn ein bestimmtes Produkt nicht mehr geführt wird, obwohl sich dies nur einmal pro Jahr verkauft, Produkte, die sich zwar nur selten drehen, erhalten trotzdem plötzlich eine «strategische Bedeutung» und manch einer mag sich einfach nicht mit den Fakten der Lagerbewegungs- («Renner/Penner»-) Liste auseinandersetzen.

Um ein Produktportfolio attraktiv zu halten, muss es gepflegt werden. Es genügt nicht, lediglich Innovationen zu addieren, denn Wachstum hat auch etwas mit Fokussieren und Weglassen zu tun. Meist ist die mangelnde Pflege eines Produktportfolios der Tatsache geschuldet, dass man sich nicht entscheiden mag, weil die Konsequenzen des Auslistens nicht absehbar sind. Ein bereinigtes Produktportfolio ist aber immer ein starker Beitrag für eine fokussierte Vertriebsarbeit.

6. Projekteinbindung

Dem Vertrieb muss bewusst sein, dass es nicht nur darum geht, Kunden zu betreuen, sondern auch dafür Sorge zu tragen, dass sich das
Unternehmen als Ganzes weiterentwickelt. Daher ist die regelmässige Einbindung des Vertriebs in Unternehmensentwicklungs-Projekte zwingend erforderlich.

Das Argument, man müsse doch für Umsatz sorgen und könne nicht den ganzen Tag – oder gar mehrere Tage – in Meetings verbringen, ist ein Killerargument, denn natürlich darf von einem Vertriebsmitarbeiter sehr wohl erwartet werden, dass er oder sie sich in den Gesamtkontext des Unternehmens einbringt, wenn es um Fragen geht, die ein gewisses Vertriebs-Know-how erfordern. Fragt man den Vertrieb nämlich nicht, kann man sicher davon ausgehen, genau dies nach Abschluss eines Projektes als Argument dafür zu hören, dass die gefundene Lösung «natürlich» nicht funktionieren kann.

7. Instrumente für Planung und Controlling nützen dem Vertrieb nur, wenn sie am Nutzer ausgerichtet und transparent sind

Bei vielen Instrumenten darf man sich nicht wundern, dass ihre Akzeptanz im Vertrieb dramatisch gering ist. Dies gilt vor allem für Planungs- und komplexere Controllinginstrumente.

Hier kann vor allem die Unternehmenszentrale helfen, denn viele Instrumente zur Planung und Steuerung des Vertriebs sind so komplex, so dass oft nur noch wenige Experten damit umgehen können. Angesichts dessen darf man sich nicht wundern, dass der Planungsprozess im Vertrieb eher einem Basar als einem strukturierten, möglichst realistischen Blick auf eine wünschenswerte Zukunft gleicht. Es wird gehandelt, gefeilscht, Planungsdaten werden angezweifelt, es wird taktiert, und am Ende verfügt man über ein Ergebnis, an dessen Erreichung niemand richtig glaubt.

Will man den Vertrieb in die Planung und in das Controlling einbeziehen – was sich unbestreitbar empfiehlt – muss man sich der Mühe unterziehen, Instrumente und Verfahrensweisen zu schaffen, die dem Vertrieb erkennbaren Nutzen schaffen.

8. Der Vertrieb braucht die anderen Unternehmensbereiche für seine Existenz

Vor allem an den Schnittstellen geht viel Kraft verloren. Bedauerlicherweise sind Vertriebsorganisationen und Vertriebsabteilungen nicht besonders häufig geneigt, diese Schnittstellen zu anderen Bereichen zu pflegen und zu verbessern. Da der Vertrieb sich in der Regel darüber bewusst ist, welche herausragende Rolle er im Unternehmen spielt, werden andere Abteilungen häufig zu Zuarbeitern degradiert, was wiederum die Zusammenarbeit nicht erleichtert.

Die wichtigsten Schnittstellen sind diejenigen zum Marketing, zum Controlling, zum Einkauf, zur Produktentwicklung und zur Logistik. Die Unternehmensführung sollte fördernd darauf einwirken, dass an diesen Berührungspunkten transparent ist, wer wofür verantwortlich ist und welche Leistung oder Information in welcher Qualität wann abgegeben wird. Dabei sollen nicht die Einzelfälle, sondern die
Regelfälle geklärt sein.

9. Aufgabe des Vertriebs ist es, für begeisterte Kunden zu sorgen, statt sich mit «nur» zufriedenen Kunden zu bescheiden

Es genügt nicht, über zufriedene Kunden zu verfügen. Zufriedene Kunden sind diejenigen Kunden, denen der Vertrieb das verkauft, was sie wollen. Zufriedene Kunden sind die Basis des Geschäfts. Begeisterte Kunden aber sind die Basis des Wachstums, denn begeisterte Kunden sind diejenigen Kunden, denen der Vertrieb nicht nur verkauft hat, was sie wollten, sondern denen der Vertrieb geholfen hat, zu entdecken, was sie wirklich brauchen. Dies ist ein signifikanter Unterschied.

Begeisterte Kunden lassen sich an drei Aspekten erkennen: Sie müssen nicht bei einem bestimmten Unternehmen kaufen, tun es aber dennoch; sie sind nicht so preissensibel, wie andere Kunden; sie empfehlen ein Unternehmen ungefragt und aktiv weiter.

Das Durchsehen der Kundenliste und die Klassifizierung in zufriedene und begeisterte Kunden hat schon mancher Unternehmensführung und mancher Vertriebsführung die Augen geöffnet.

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