Marketing & Vertrieb

E-Commerce

Marktplatz-Riesen bestimmen das Onlinegeschäft

Aggregierte Marktplätze und Gemischtwarenplattformen gewinnen an Bedeutung. Für Hersteller und Händler, auch im B2B-Bereich, kann es Sinn machen, sich nicht ausschliesslich auf ihre Marke und das bestehende Distributions-Netzwerk zu verlassen, sondern den Aufbau gemeinsamer Marktplätze in die Strategieüberlegungen einzubeziehen.
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Die Zahlen, welche der E-Commerce-Verband FEVAD dieses Jahr veröffentlicht hat, könnten der Beleg für einen längerfristigen Trend sein. Demnach wächst das Gesamtvolumen im E-Commerce, wenn auch nicht mehr so stark, und die Absatzkanäle werden immer fragmentierter. So wundert es nicht, dass ein vermehrter Anstieg von aggregierten Marktplätzen zu verzeichnen ist und dass Gemischtwarenplattformen wie Amazon und Alibaba weltweit an Bedeutung gewinnen. Diesen Alibaba-Effekt (Sesam öffne dich) nutzen nun auch Nischenanbieter oder Plattformen im Internet. So treten vermehrt Marktplätze auf den Plan und füllen vertikal die Lücken, wo ein klassischer horizontaler Anbieter nicht mithalten kann. Man schliesst sich also in einem virtuellen Binnenmarkt zusammen, um gemeinsam von aggregierten Besuchern und Skaleneffekten zu profitieren.

Die Marktplatz-Vorteile

Woher kommt dieser Erfolg von Gemischtwaren-Plattformen wie Amazon, Alibaba und Co? Für den Konsumenten gibt es drei wichtige Kriterien für die Wahl des richtigen Anbieters im Bereich E-Commerce: Preis, Verfügbarkeit und Liefergeschwindigkeit. Daher setzen bekannte Anbieter im Elektronikbereich just auf diese Faktoren in ihren Werbebotschaften. Nachgelagert spielt bei Kunden der Bestellprozess, der Kundendienst und das damit in Einklang gehende Vertrauen eine wichtige Rolle. Doch gerade bei den ersten drei Faktoren kann ein Marktplatz dank der In­tegration verschiedener Anbieter und Lieferanten einen intrinsischen Ausgleich schaffen zwischen einzelnen Angeboten: Ist ein Angebot bei einem Anbieter derzeit nicht verfügbar, dafür bei einem zweiten, wird der Kunde dem Marktplatz treu bleiben, wohingegen bei einer Enttäuschung die Gefahr gross ist, dass der Abnehmer der Plattform den Rücken kehrt und schlimmstenfalls nicht zurückkehrt. Dabei kann ein Angebot innerhalb des Marktplatzes zwar im Service variieren (Verfügbarkeit, Liefergeschwindigkeit), mittelfristig werden sich die Produkte entweder im Preis oder im Service und der Leistung angleichen und über das Produkt differenzieren (frei nach Michael Porters Strategieformulierung: der Kunde bestimmt das Angebot nachhaltig).

So hat selbst Amazon es verstanden, dass es nicht alle Produkte in allen Tiefen und Linien anbieten kann. Die Lager- und Beschaffungsrisiken wären viel zu gross. Schon alleine deshalb macht eine Integration von verschiedenen Anbietern Sinn, können so doch verschiedenste Angebote an einem Ort zusammenkommen und gemeinsam von den vorhandenen Kunden profitieren. Analog einem Warenhaus mit Shop-in-Shop-Konzept setzt man dabei auf Kernwerte und Aussenwirkung und kann unterschiedlichste Produkte unter einem Dach feilbieten.

Dies führt zum nächsten Punkt: Gemeinsame Marketingeffekte führen zu aggregiertem Traffic und Besuchern. Anstatt einzelne Webshops zu bewerben, kann ein Marktplatz durch Gemeinschaftskosten oder Grundgebühren dafür sorgen, die Plattform für alle Teilnehmer entsprechend zu bewerben. Durch die Angebotstiefe, die Verlinkung und Bewerbung der einzelnen Lieferanten und Anbieter wiederum wird organisch Suchmaschinenoptimierung betrieben, was die Position des Marktplatzes innerhalb des Suchmaschinen-Netzwerkes stärkt und Kunden in einer Aufwärtsspirale akquirieren lässt.

Auch für B2B interessant

Ein solcher Marktplatz ist nicht nur für Konsumgüter attraktiv – gerade im B2B-Bereich könnte man mit entsprechender Offenheit rasch Marktanteile gewinnen und einen festen Absatzort im Online gewinnen. «Wir sind nicht Amazon», hört man dabei oft, was eigentlich schade ist. War vor zehn Jahren Amazon doch noch um ein Vielfaches kleiner. Ob nun Amazon im Westen oder Alibaba Rakuten im Osten – aggregierte Marktplatz-Riesen bestimmen mehr und mehr den kommerziellen Markt. So hat Amazon angekündigt, dass es bereits über eine Milliarde Produkte anbietet, und mit der neuesten Entwicklung des eigenen Mobiltelefons Fire-Fly ist es nun möglich, diese Produkte in einem Bild zu erfassen und zu kaufen.

Während einige Hersteller und Einzelhändler sich immer noch ausschliesslich auf ihre Marke und ihr bestehendes Distributions-Netzwerk verlassen, ist ihnen entgangen, dass der Kunde König ist und er heute mehr und mehr die Wahl hat. Marktanteile werden geringer werden und die Abnahmemöglichkeiten werden immer fragmentierter. So kann zwar im Konsumbereich noch von einem Einkaufserlebnis gesprochen werden, aber insbesondere B2B-Anbieter tun sich gut daran, Skaleneffekte zu nutzen und gemeinsame Marktplätze aufzubauen. Nur somit können die Investitionen im Marketing multipliziert, Kundenbesucher aggregiert und Upselling betrieben werden. Denn auf der anderen Seite zählen einzig die Lieferung, der Preis und der Service.

Amazon geht offline

Spannend an der derzeitigen Entwicklung sind zwei massgebende Schritte der grossen Anbieter aus den USA (Amazon) und China (Alibaba). So hat Amazon im Oktober angekündigt, den ersten Laden in New York zu eröffnen. Wer nun ein riesiges Kaufhaus erwartet, wird aber enttäuscht werden. Amazon will nämlich in dem Laden in der Nähe des Empire State Buildings seinen Kunden vor allem Service bieten. So können sie unter anderem online bestellte Waren abholen und nicht mehr erwünschte Artikel zurückgeben. Ausserdem soll es dort in einer Art Mini-Lagerhaus ein eingeschränktes Sortiment von Waren zur Zustellung am selben Tag (same day delivery) innerhalb New Yorks geben.

Amazon möchte die Fläche auch dazu nutzen, seine Geräte wie Kindle-Tablets oder die Fernsehbox Fire TV zu demonstrieren. Das schafft einerseits Nähe zum Kunden und ist für ein Publikum im höheren Preissegment sehr attraktiv. Diese sind prädestiniert, diese Produkte zu nutzen. Wer nun denkt, dass dies auf die USA beschränkt bleiben wird, vergisst komplett, dass alleine in Deutschland bereits 10 000 Personen für Amazon arbeiten, in der Vorweihnachtszeit sind es sogar über 25 000 an rund elf Standorten. Ein Übergangs- und Verkaufsgeschäft liegt da nahe, sollte der Flagship Store in New York erfolgreich sein und Schule machen.

Und was macht Alibaba? Der Anbieter aus China, welcher heute rund 80 Prozent des chinesischen Marktes dominiert, hat seinerseits Ende September den wohl grössten Börsengang der Geschichte hingelegt. Das Unternehmen unter der Leitung des ehrgeizigen Jack Ma, einst Englischlehrer, hat nicht nur einen eigenen Marktplatz (Taobao) mit über 500 Millionen Nutzern. Er schafft mit seinem eigenen Zahlungssystem (Alipay) und seinem Angebot der Alibaba-Universitätsausbildung für E-Commerce-Einsteiger die Voraussetzungen für eine weltweite Dominanz des Onlinehandels. Dazu braucht Alibaba in Zukunft keine Kapitalgeber mehr, denn sie haben nun die Erlaubnis, eine eigene Bank zu gründen. Das Kapital ist jedenfalls vorhanden. Die Frage bleibt, wie die Schweiz reagiert, wenn es heisst: Sesam öffne dich.

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