Marketing & Vertrieb

Touchpoint-Analyse

Kundenrelevante Kontaktpunkte ausloten

Die Zahl der Berührungspunkte zwischen Anbieter und Kunde hat sich massiv erhöht. Um Antworten darauf zu finden, welche Touchpoints sich neu kombinieren lassen, welche vernachlässigt werden können, welche gestrichen werden müssen und welche womöglich noch fehlen, ist eine Touchpoint-Analyse sehr hilfreich.
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Bei der Touchpoint-Analyse geht es zunächst um eine abteilungsübergreifend umfassende Bestandsaufnahme der kundenrelevanten Kontaktpunkte und dann um das Dokumentieren dieser Ist-Situation. Dazu werden zunächst alle Online- und Offline-Kontaktpunkte, die ein Kunde im Zuge eines Kaufprozesses beziehungsweise einer Nutzungsbeziehung hat – oder haben könnte – so weit wie möglich chronologisch gelistet. Dies wird aus der Perspektive des Kunden betrachtet. Dabei kann sich die Analyse auch auf einzelne Kundensegmente beziehungsweise Zielgruppen konzentrieren.

Wie man Touchpoints gruppiert

Man kann die Analyse weiter verfeinern, indem man die Touchpoints vor, während und nach einem Kauf bündelt (Pre-Sales, Sales und After-Sales). Aber aufgepasst: Diese Begriffe sind aus dem selbstzentrierten «Gestern». Wenn wir nämlich alles aus der Sicht des Kunden betrachten, dann wird aus einem Verkauf ein Kauf und dementsprechend aus einem «Point of Sales» ein «Point of Purchase». Und mehr noch: Eine neue Sorte von Touchpoints ist zunehmend kaufentscheidend und muss deshalb vorrangig betrachtet werden. Dies sind die von den Anbietern nur mittelbar steuerfähigen Touchpoints der Beeinflussung durch Dritte, die auf Mundpropaganda und Weiterempfehlungen basieren. Sie sind der Vorkaufphase vorgelagert und der Nachkaufphase nachgelagert. Denn vor dem Kauf lässt sich ein Kunde nicht selten durch die Meinung Dritter beeinflussen. Und nach dem Kauf wird er selbst zum Beeinflusser. Am Anfang und am Ende eines jeden Kaufprozesses steht also immer öfter eine Empfehlung – sei sie positiver oder negativer Natur. Und all das findet heute in einer «gemischten» Offline-Online-Welt statt.

Fünf Touchpoint-Arten

So gilt es also nun, sich um fünf Gruppen von Touchpoints zu kümmern und fünf Phasen bei den «Momenten der Wahrheit» ins Kalkül zu ziehen:

  • Influencing Touchpoints: Phase der Informationssuche und des Gewahrwerdens
  • Pre-Purchase Touchpoints: Phase der Entscheidungsvorbereitung
  • Purchase Touchpoints: Phase der Entscheidung und des Kaufs
  • After-Purchase Touchpoints: Phase der Nutzung und des Wiederkaufs
  • Influencing Touchpoints: Phase der Beeinflussung Dritter

Die Markenartikelindustrie hat in diesem Zusammenhang eine etwas andere Einteilung gefunden. Dort spricht man von sogenannten «Paid Touchpoints», «Owned Touchpoints» und «Earned Touchpoints». Das sind solche, die ein Un­ternehmen sich kauft (Inserate usw.), solche, die es besitzt (Website usw.) und solche, die man sich durch gute Arbeit verdient (Bewertungen usw.).

Der Human Touch

Da immer öfter die Meinung Dritter für einen schliesslichen Kauf den Ausschlag gibt, muss sich der Fokus von den «Payed» zu den «Earned Media / Touchpoints» verschieben. Je nach Unternehmensgrös­­se und Branche kann das Gesamt der Touchpoints auch wie folgt unterteilt und gegliedert werden:

  • Human Touchpoints
  • Brand Touchpoints
  • Product Touchpoints

Wenn etwa BMW uns in seiner Werbung Freude verspricht, dann wollen wir Freude an jedem Touchpoint der Marke spüren: Beim Fahren des Produkts, beim Konsumieren der Werbung und natürlich auch da, wo wir BMW-Mitarbeiter treffen können: im Autohaus, in der Werkstatt, vor dem Werkstor – und im Internet. Damit aber wahre Freude schliesslich nach aussen dringt, muss sie zunächst im Innen (vor)gelebt werden – ein Aspekt, der vielfach vernachlässigt wird.

In vielen Branchen spielt der Human Touch die entscheidende Rolle. So kann es beispielsweise passieren, dass ein Kunde seiner Automarke treu verbunden bleibt, jedoch den angestammten Händler verlässt, weil sein langjähriger Betreuer in ein anderes Autohaus wechselt. Und weiter kann es passieren, dass die Loyalität, die der Verkäufer mühevoll aufgebaut hat, in wenigen Augenblicken durch einen miserablen Kundendienst vernichtet wird. Bereits das zweite Auto «verkaufen» also in Wirklichkeit die Service-Mitarbeiter.

Kundenreise sichtbar machen

Einige Marketing-Experten stellen die von ihnen betrachteten Touchpoints in einem 360°-Kreis dar. Für mich bergen 360°-Betrachtungen jedoch eine ernste Gefahr: Sie nähren die Illusion, in Form eines Rundum-Blicks an alles gedacht und somit alles im Griff zu haben. Heute ist nichts gefährlicher als das. Denn täglich kommen neue Kontaktpunkte hinzu, die geprüft und – wenn für passend befunden – integriert werden müssen. Und deren Zahl wird tendenziell steigen, sodass ein Kreis bald auch aus allen Nähten platzt.

Ausserdem wächst jede Kundenbeziehung aus einer zeitlichen Abfolge von Interaktionen, die sich von einem Punkt in der Vergangenheit in eine gemeinsame Zukunft bewegt. Deshalb ist für mich eine horizontal-lineare Darstellung die bessere Wahl. Sie dokumentiert analog einer Reise den Handlungsstrang der «Customer Journey» mit allen Stationen beim Suchen und Finden, dem schliesslichen Kauf und dann dem Danach. In meiner Praxis hat sich die Methode des «Touchpoint Journey Mapping» als besonders hilfreich erwiesen. Dabei wird eine typische Kundenreise in Form einer Landkarte gezeichnet. Der Weg zu den einzelnen Touchpoints erscheint dann wie eine sich schlängelnde Linie von links nach rechts, wobei manche Kunden auch hin und zurück oder in Schleifen unterwegs sein können.

Kundenreise als Bild

Das Sichtbarmachen einer solchen «Customer Touchpoint Journey» ist hilfreich, und man kann damit viele Dinge tun: Es lassen sich die Kann- und Muss-Touchpoints herausarbeiten. Oder man legt die Reiserouten vieler Kunden übereinander, um so die Schlüssel-Touch­points sichtbar zu machen. Oder man stellt die unterschiedlichen Online- und Offline-Reiserouten unterschiedlicher Kundengruppen dar.

Kundenreise in Etappen

Ferner können mögliche Wirkungszusammenhänge zwischen den einzelnen Kontaktpunkten erkannt wie auch Synergie- und Kannibalisierungseffekte aufgedeckt werden. Hat man die Interaktionsmöglichkeiten erst einmal in eine für die Kunden logische Abfolge gebracht, lässt sich das Zusammenspiel dieser Effekte in späteren Schritten optimieren und so auch kundenfreundlicher gestalten.

Man kann eine solche Karte auch vertikal in drei grosse Etappen einteilen. Man definiert die Schritte vor, während und nach einer Transaktion. Das lässt sich in den verschiedensten Branchen und für die unterschiedlichsten Situationen durchspielen, zum Beispiel so:

  • Einkaufen im Handel: vor dem Betreten der Einkaufsstätte, während des Aufenthalts und nach Verlassen des Geschäfts.
  • Beim Produktverbrauch: Kaufen, Verwenden und Entsorgen eines Jog­hurtbechers
  • Beim Produktgebrauch: Kauf, Installation und Nutzung einer Computer-Software
  • Im E-Commerce: vor, während und nach einer Online-Bestellung
  • Im Verbands- oder Community-Marketing: Gewinnung, Aktivierung und Betreuung von Mitgliedern
  • In der Industrie: Konzeption, Aufstellen und Inbetriebnahme einer Fertigungsanlage

So oder ähnlich lässt sich das Ganze auch für einen Termin beim Notar, für die Reinigung eines Bürogebäudes, den Erhalt einer Stromabrechnung, der Pro­befahrt mit dem Traumauto oder auch einer wichtigen Geschäftsverhandlung durchspielen.

Alles wird dabei aus der Perspektive der Kundin oder des Kunden betrachtet. Welche Touchpoints nutzt er oder sie wann, warum und üblicherweise in welcher Reihenfolge? Welche sind für den (Wieder-)Kauf entscheidungsrelevant? Wo können Mund-zu-Mund-Propaganda und Empfehlungsbereitschaft am ehesten ausgelöst werden? Und siehe da: Zwischen dem, was man denkt, wie der Kunde oder die Kundin agiert, und dem, was die Kundschaft tatsächlich tut, können Welten liegen. Mit dieser Herangehensweise wird je­denfalls ausgeschlossen, dass man seine ganze Energie in Leistungen in­vestiert, von denen zwar die massgeblichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schwärmen, die aber den Wunschkunden letztlich egal sind. Und endlich kommt man dann auch davon weg, den Kunden oder die Kundin in vorgedachte Verkaufsabläufe zu zwängen.

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