Marketing & Vertrieb

Zielgruppen

Erfolgsfaktoren im Umgang mit «Best Agern»

Starkes Wachstum einerseits, heterogene Dynamik andererseits. Welches sind entscheidende Erfolgsfaktoren, um im anspruchsvollen Segment der Best Agers zu reüssieren? Ein Beispiel aus der Reisebranche zeigt, wie Innovation, Qualität und Kundenpflege konkret umgesetzt werden, um in diesem Marktsegment langfristig überzeugen zu können.
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Die Klischees über das Marktsegment 65+ halten sich hartnäckig, nicht nur im Reisemarkt. Wer ertappt sich nicht auch heute noch bei der Idee, dass der Reisemarkt 65+ vor allem aus Kaffeefahrten für Rentner besteht oder aus Gästen konservativer Kurhotels im Schwarzwald oder Südtirol? Wer sich vor Augen führt, dass bereits 40 Prozent unserer Kundinnen und Kunden über 65 via Internet buchen, kann erahnen, dass die Facetten der Best Agers – und dazu zählen wir auch Altersgruppen ab 50 – markant vielfältiger geworden sind, sogar noch vielfältiger als die jüngeren Segmente. Darum greifen sture Zielgruppendefinitionen nach Altersstufen längst nicht mehr.

Tatsächlich lassen viele stereotypen Fakten diesen Markt besonders verlockend erscheinen, gerade auch für das Reisegeschäft: Zeit und Geld sind vorhanden; zunehmende Lebenserwartung lässt die Zielgruppe weiter wachsen; 60 Prozent des Schweizer Vermögens sind im Besitze der 50+-Generation; höchste Markenloyalität im Segment 60+; oder 70 Prozent der 70-jährigen Singles unternehmen Ferien im Reisecar; um nur einige zu nennen. Aber Einkommens- und Altersstatistiken reichen bekanntlich nicht, um eine Zielgruppe zu definieren und wirksam zu bearbeiten. 65+ ist kein taugliches Segmentierungskriterium, sondern höchstens der kleinste gemeinsame Nenner (und damit weitgehend irrelevant) für spezifisches Ferienverhalten.

Grundsätzliche Vorlieben, Interessen, Lebenssituation und Lebensstil sind für die Art der Ferien und des Reisens viel wichtigere Einflussgrössen als das Alter. Genauso vor wie nach der Pensionierung. Die Bedürfniskomplexität nimmt jedoch noch weiter zu und die bisherigen Kriterien werden früher oder später von zusätzlichen überlagert. Körperliche Beweglichkeit, Erholungsbedarf, Erlebnistempo, Betreuungsbedarf etc. sind völlig anders, ob es sich um das Segment 65+, 75+ oder 80+ handelt.

Das Alter wird heute wieder vermehrt auch von Reiseveranstaltern als Chance erkannt und das Segment 65+ wird wieder «in». Aus Marketingsicht entsteht ein mehr oder weniger «neuer Markt», der attraktiv zu sein scheint. Interessanterweise konzentrierten sich in der Schweiz in der Vergangenheit meist nur kleinere und mittlere Spezialisten konsequent und erfolgreich auf dieses Segment. Mit gutem Grund. Denn wer sich erfolgreich im Reisemarkt 65+ bewegen will, erkennt und befriedigt die typischen Bedürfnisse dieses Marktes, was eine hohe Flexibilität und vor allem ein Commitment der ganzen Organisation voraussetzt.

Im Folgenden einige typische Reisebedürfnisse und teilweise auch widersprüchliche Tendenzen der Best Agers, die sich trotz meiner starken Vorbehalte gegen Verallgemeinerungen herausschälen lassen.

Trends

Die Reisenden besitzen neue Freiheiten, hervorgerufen durch die berufliche und familiäre Situation. Ohne Rücksicht auf Kinder oder berufliche Restriktionen können nun die eigenen Neigungen und Reisemotive ausgelebt werden. Kultur, Natur, Gesundheit, Geselligkeit, Bildung und Nostalgie stehen im Vordergrund. Oft ist ein eigentlicher Nachholbedarf im Sinne eines «Erlebnishungers» vorhanden, und wir stellen einen verstärkten Trend zu Themenreisen fest, der sich weiter akzentuiert. Musik­reisen, Gourmetreisen oder Aktiv-geniessen- Programme treffen den Zentralnerv des 65+Marktes.

Hightouch versus Hightech

Nicht zu übersehen ist das Bedürfnis des «Getragenseins». Es wird nach mehr Zuwendung gefragt. Damit zusammenhängend auch das Bedürfnis nach Begegnung. «Reisen in guter Gesellschaft» – das Motto der Twerenbold Reisen Gruppe – besitzt eine besondere Kraft und Relevanz. Eigentlich ein Paradox: Neues entdecken und durch das gemeinsame Erleben trotzdem eine gewisse «Geborgenheit» erfahren.

Aktivität

Weiter stellen wir die zunehmende Fitness fest. Unser neues Produkt «Aktiv geniessen» mit Genusswanderungen, Velo- und E-Bike-Reisen, teilweise kombiniert mit unseren eigenen Flussschiffen, findet eine hohe Akzeptanz. Das Bedürfnis nach Bewegung vereint mit komfortabler Infrastruktur ist ausgewiesen. Fitness aber auch im geistigen Sinne. So nimmt die Reisegewandtheit rasant zu, ebenso wie der Umgang mit neuen Technologien, sei es zur Informationsgewinnung, zur Kommunikation oder für Buchungen.

Entschleunigung

Gleichzeitig verspürt ein Teil der Bevölkerung – nicht nur die ältere Generation – das Bedürfnis nach Entschleunigung. Gewisse Reiseangebote orientieren sich darum bewusst am Grundsatz «weniger ist oft mehr». Etwa durch sternförmige Touren von einem fixen Standort aus. Auch auf Wanderreisen geht es nicht primär um Leistung, sondern um das Eintauchen mit allen Sinnen in Natur und Kultur, um die Entdeckung besonders schöner Orte und um persönliche Begegnungen fern der motorisierten Touristenströme. Dies ist echtes «slow down».

Best Agers werden zunehmend komfortbewusst. Bequemlichkeit wird zum Entscheidungskriterium. Besonders erfolgreich darum das Reisekonzept der Fluss- und Hochseeschifffahrten, wo das schwimmende Hotel gleich immer dabei ist und trotzdem täglich Neues erlebt werden kann.

Komfort

Ein klarer Trend verspüren wir zu erdgebundenem Reisen. Gerade internationale Flughäfen werden zu Beginn oder am Ende einer Reise als hoher Stressfaktor empfunden. Daher investieren wir konsequent seit Jahren in verschiedene Busterminals mit hohem Komfort. Erholung beginnt schon mit der Abfahrt.

Sicherheit

Ein zunehmendes Bedürfnis nach Sicherheit zeigt sich nicht nur im Reisemarkt. Sicherheit basiert auf objektiven Aspekten, besitzt aber vor allem auch eine subjektive Dimension. Sie hängt von der Berechenbarkeit und Beständigkeit der Marke ab. Seriosität der Information, Verhalten der Mitarbeitenden, Zuverlässigkeit der versprochenen Qualität und durchgehende Betreuung beeinflussen die subjektive Wahrnehmung entscheidend.

Wie begegnen wir den Herausforderungen in diesem sich rasch entwickelnden Marktumfeld und Marktsegment?

Innovation, Qualität und Kundenpflege

Trends erkennen, antizipieren und Innovationen rasch umsetzen. So stellen wir sicher, immer wieder Trends selbst zu setzen und permanente Veränderung als Chance wahrzunehmen. Flache Hierarchie und unbürokratische Entscheidungswege sind Voraussetzungen, um auf veränderte Bedürfnisse und Gewohnheiten zu reagieren. Die schlanken Strukturen bedingen auch ein erhöhtes Mass an Eigenverantwortung, insbesondere in den Führungsteams, die in ihren Märkten täglich agieren und reagieren wie zum Beispiel im Yield Management. Nur so können wir einzigartige Produktneuheiten laufend am Markt positionieren.

Wer weitgehend im Direktverkauf tätig ist, braucht neben der Produktentwicklung auch ein permanentes Tuning der richtigen Kommunikationskanäle und der jeweiligen Botschaften. Die Produktentwicklung und -differenzierung sowie der Aufbau der entsprechenden Kommunikation, um die Produkte am richtigen Ort und in der richtigen Tonalität zu bewerben, bleiben eine stete Herausforderung. Nicht zuletzt, weil sich auch die Wirkungsgrade verschiedener Kommunikationskanäle immer wieder verändert. Die Kundennähe und die systematischen Beobachtungen von Entwicklungen in der Gesellschaft helfen, Trends und Entwicklungen erfolgreich zu antizipieren. Im Transportsektor spricht man inzwischen von einer «Busmania», was gleichbedeutend ist mit Entschleunigung, erdgebundenem und umweltfreundlichen Reisen. Das frühzeitige Reagieren auf diese Entwicklung hat entscheidende Marktvorteile und im Bus-Rundreisen-Segment die klare Marktleaderposition gebracht.

Rasches Handeln kann Wettbewerbsvorteile sichern. Gleichzeitig nutzen wir als Twerenbold Reisen Gruppe auch gezielt positive Synergien, indem wir den optimalen Mix zwischen dezentraler und zentraler Organisation verwirklichen.

Konsequent in Qualität investieren

Qualität von A bis Z sicherstellen heisst für uns als Traditions-Familienunternehmung, eine vertikal integrierte Produktekette im eigenen Besitz zu führen. Das Unternehmen ist nicht nur Vermittler von Reiseerlebnissen, sondern Leistungserbringer und Dienstleister. Die Kunden erhalten alles aus einer Hand – vom modernen Abfahrts-Busterminal über den Bustransport bis zum Flussschiff, zu den Ausflügen im eigenen Bus und der Rückreise. Dieses Konzept – übrigens einmalig in der Schweiz – bedingt hohe Investitionen: Die Gruppe hat in den letzten Jahren 90 Millionen Franken in die Infrastruktur investiert. Die Mittel werden nicht als Dividenden ausgeschüttet, sondern in der eigenen Firma mit kalkuliertem Risiko eingesetzt. Das erhöht die Einstiegshürden für Konkurrenten am Markt und verhindert die Austauschbarkeit von Produkten. Und stetiges Investieren ermöglicht Trendsetting in der Produktqualität (Busse, Schiffe). Das Bedürfnis nach Bequemlichkeit und Komfort ist ungebrochen und wird weiter prägend sein. Die ausgewogene Mischung macht es aus: hervorragende Infrastruktur, angemessene Routen, gehaltvolle Reiseinhalte, zuverlässige Organisation und eine aufmerksame Reiseleitung. Wer denkt, dass dabei der Preis eine untergeordnete Rolle spielt, der täuscht sich. Best Agers sind preisbewusst und das Preis-/Leistungsverhältnis muss zu 100 Prozent stimmen.

Gelebte Kundenorientierung

Auch das Management kümmert sich persönlich um die Kunden. So trifft es jährlich während mehreren Tagen die treuesten Kunden anlässlich der Dankes-Reise. Mit dem Excellence Reiseclub besteht ein weiteres emotionales Kundenbindungsinstrument. Letztlich dient es auch als eine Art Sensorium für Kundenbedürfnisse. Entscheidend in der Kundenpflege sind die Mitarbeitenden, die die rich­tige Wellenlänge ausstrahlen, selber auch Lebenserfahrung mitbringen und einen persönlichen Kundenkontakt aufbauen können. In den verschiedensten Funktionen – vom Call-Center bis zu den Carchauffeuren oder Reiseleiterinnen – stellen unsere Mitarbeitenden echtes Interesse unter Beweis, besitzen Einfühlungsvermögen, spenden Zeit für den Gast. Diese entscheidenden Kompetenzen können wir nur mit dem notwendigen Generationenmix bei den Mitarbeitenden sicherstellen. Ein Aufbau des Markenvertrauens kann nur über die Zeit erfolgen und benötigt eine verlässliche, konsistente Unternehmungspolitik, welche sich in der Produktqualität und in der Kommunikation niederschlägt.

Aufmerksam bleiben

Tradition, Innovation, Entrepreneurship und Ausrichtung auf den Zeitgeist machen die Marke Twerenbold unverwechselbar. Die Kundennähe und das Involvement der Besitzerfamilie – die vierte Generation steht bereits am Start – bilden die Basis für die erfolgreiche Weiterentwicklung der Firmengruppe im Marktsegment der Best Agers.

Der Reisemarkt 65+ bietet Chancen, denen mit unterschiedlichsten Geschäftsmodellen begegnet wird. Auch wir wissen heute nicht mit Sicherheit, wie sich die künftigen Bedürfnisse entwickeln werden. Die kommenden Babyboomer haben eine andere Werthaltung, wenn sie im Rentenalter sind, als die be­stehenden 65+-Jahrgänge. Individualismus, Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit sind ausgeprägter. Höhere Fitness, Bildung und damit auch höhere Reisegewandtheit führen auch in Zukunft zu veränderten Anspruchsmustern.

Porträt