Marketing & Vertrieb

Mobility

Der «Mobilegeddon» in Marketing und E-Commerce

Meist verbindet man den Begriff Mobility mit Autos. Das ist falsch. Denn Mobility bedeutet Beweglichkeit im sozialen Sinne zur Umschreibung aller Trends rund ums mobile Internet. Heute gibt es in der Schweiz mehr Mobilfunkverträge als Einwohner und weltweit mehr SIM-Karten als Menschen. Der Konsument von heute ist ein «Homo mobilis».
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Smartphone-Nutzer verbringen täglich mehrere Stunden vor einem Bildschirm, der vor kurzer Zeit noch als viel zu klein und damit als irrelevant galt. Was ist passiert? Die neusten Generationen von Smartphones und die App-Ökosysteme von Apple, Google und Samsung sind der Ausgangspunkt eines veritablen «Mobilegeddon». Heute nutzen Menschen drei Stunden täglich Mobilgeräte als Fenster zur Welt und dank den letzten Entwicklungen in Sachen Bots und Chats werden aus simplen Suchmaschinen ortssensible persönliche Assistenten. Gleichzeitig listet Google Seiten, die nicht mobiloptimiert sind, weiter unten in den Suchergebnissen. Der Kunde, als stetig erreichbarer «Homo mobilis» immer unterwegs muss ins Zentrum der Überlegungen von Unternehmen rücken.

Mobiles, Smartphones und Tablets spielen eine immer wichtigere Rolle in unserem privaten wie beruflichen Leben. Zwei Umfragen Ende letztes Jahr von Marketing und Kommunikation sowie von Young & Rubican Anfang 2017 brachten das Thema Digitalisierung nicht nur in die Köpfe von Geschäftsleitungen, sondern auch von Werbetreibenden und Beratern. Denn gerade das Thema Mobile wurde von verschiedenen Seiten beleuchtet und hervorgehoben.

Fast zwei Drittel der Befragten (66,7 Prozent) nannten die «Personalisierung und Individualisierung» als einen der wichtigsten Trends für 2017. Auf Platz 2 wäre da «Location Based Advertising» und «Mobile Payment» mit jeweils etwas über 45 Prozent, gefolgt vom Video (Advertising), welches ebenfalls einen hohen Stellenwert in der Zukunft (40,5 Prozent) innehält. Aber auch technologisch ist mobile auf dem Vormarsch: 61,9 Prozent der Befragten nannten das «Internet of Things» und 54,8 Prozent «Virtual Reality» als grosse Trends. Was nicht erstaunt, über 50 Prozent sehen «leistungsfähigere Akkus» als grösste Herausforderung, wohingegen weniger als 5 Prozent denken, dass Smartwatches in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden.

Das eigentlich Besondere am Smartphone sind die zahlreichen Sensoren auf kleinstem Raum: von Helligkeits- und Beschleunigungssensor über GPS bis hin zum WLAN. Nach einem Jahr öffnete Apple seine App-Welt für externe Entwickler – und schob den Mobilegeddon damit weiter an. Apple wurde zum ersten Anbieter, der ein gesamtes sogenanntes Ökosystem bietet, also gemeinsam mit Wertschöpfungspartnern an einem idealen, umfassenden Angebot arbeitet. Was kennzeichnet das Medium «Mobile»? Ein mobiler Bildschirm, drahtloser Zugang zum Internet und ein auf Mobilität optimiertes Betriebssys­tem bedeuten, dass auch die sogenannten Wearables, also Fitnessarmbänder über Tablets bis zum vernetzten Auto, zum Mobile-Universum gehören.

Mobile ist Pflicht

Somit ist Mobile 2017 keine Wahl mehr, sondern Pflicht, denn der Abnehmer, ob Kunde oder Partner, funktioniert mobil. Die Mehrheit aller Suchanfragen kommt bereits heute von Smartphones und bei sozialen Netzwerken sind zwischen 70 und 80 Prozent der Seitenaufrufe von Mobilgeräten – oder wann haben Sie sich das letzte Mal aus Facebook ausgeloggt. Wer heute zur Welt kommt, ist ein «Born Mobile», wer aktuell die Volljährigkeit erreicht, gehört zur ersten «Mobile Generation», und all die älteren «Mobile Immigrants» gehören immerhin zur Gattung des «Homo mobilis».

Ortsbasierte Anwendungen stellen einen Bezug zur aktuellen Umgebung des Nutzers her. Es ist dieser Zauber der ortsbasierten Dienste, der Mobile zu etwas Besonderem macht. Auch Google wird seit dem Jahr 2015 mehrheitlich mobil genutzt. Wenn statt des einfachen Suchergebnisses für ein Produkt auch angezeigt wird, welcher Laden in der Nähe das Produkt verkauft, ob er geöffnet hat und wann während der Öffnungszeiten der Andrang am niedrigsten ist, wird aus der Suchmaschine ein persönlicher Assistent. Die Features werden immer vielfältiger, und der Werbekuchen rund um die mobile Suche ist begehrt. Mehr noch: Google listet mittlerweile Seiten, die nicht mobiloptimiert sind, weiter unten in den Suchergebnissen. Eine durchdachte mobile Nutzungserfahrung wird für E-Commerce-Seiten und die meisten anderen Websites deshalb zum Überlebensfaktor.

Unternehmen sollten sich für ihre Website an Kriterien orientieren wie: Lesbarkeit, Erkennbarkeit von Bildern, Mobile-freundliche Bedienungselemente, Dateien und Programmiersprachen, flache Seitenarchitektur und schnelle Ladezeiten. Das Internet ist längst nicht mehr so offen, wie einst von seinen Erfindern konzipiert. Stattdessen gibt es sogenannte Walled Gardens: Die IT-Riesen versuchen ihre eigenen Ökosysteme zu etablieren und abzugrenzen. Die Härte des Streits der verschiedenen Ökosysteme zeigt sich etwa am Beispiel von Apples Sprachassistent Siri. Siri sucht, wenn nicht ausdrücklich anders verlangt, mit Microsofts Bing statt mit Google. Für das Unternehmen Google bedeutet das schmerzhafte Werbeverluste.

Das Smartphone ist aber nicht nur wegen der Suchfunktion ein allgegenwärtiger Begleiter. Social Networks via Handy sind für viele Nutzer das wichtigste Fenster zum Weltgeschehen. Statt ziellos herumzusurfen, nutzen die Menschen ihre Geräte mit vielen, kurzen und meist gezielten Aktionen. Schlechte Bedienbarkeit ist hier ein No-Go. Egal ob Sie eine Website erstellen, die «responsive» ist, sich also der Bildschirmgrösse automatisch anpasst, oder aber eine eigene Mobilseite oder App – Ihre Seite muss vor allem auf Mobile funktionieren, denn Mobile ist heute schon der vorwiegende Nutzungsmodus.

Video-Content ist ein «Must»

Egal ob (Facebook-)Live-Video, 360-Grad-Videos oder Virtual Reality – 2017 wird das Video-Jahr überhaupt. Vor allem in Social Networks sind gut gemachte Videos oft der Traffic-Lieferant schlechthin. Gute Videos garantieren Aufmerksamkeit und Verweildauer. 2017 erreichen Firmen ihre Zielgruppe oft am besten mit Video-Content (nein, keine Katzen-Videos). Video-Content ist im Jahr 2017 ein Must – wenn die Qualität stimmt und man einen guten Mix hat von authentischen Videos, Drohnenaufnahmen, 360-Grad-Videos bis hin zu «Augmented Reality». Dabei sind Mobile-Videos der Wachstumstreiber der Online-Werbung.

So verstehen Werbungtreibende es immer besser, wie mobile Kampagnen entwickelt werden: Mobile Videos funktionieren anders, da sie auf die Sehgewohnheiten der User abgestimmt werden müssen und sich darum in Länge, Format und Sichtbarkeit von TV-Spots unterscheiden. Technologisch werden sich Firmen durchsetzen, die mobile Werbung programmatisch und interaktiv anbieten und durch innovative Lösungen überzeugen können. Davon profitieren vor allem Agenturen, die dank Dynamic Content Optimization (DCO) ihre Videos in Echtzeit mit interaktiven und dynamischen Inhalten anreichern können. Auch Suchmaschinen werden künftig mehr als nur Suchergebnisse liefern und vor allem auch Videos und Shopping direkt in den Ergebnissen anzeigen.

Bots und Machine Learning

Dank künstlicher Intelligenz werden Chatbots immer besser und sorgen gerade bei Social Media und im Kundendienst für Furore. Unternehmen müssen nun in Betracht ziehen, sich hier weiterzubilden, wenn sie bei diesem Trend ein Wörtchen mitreden wollen. Gerade im Bereich Kundendienst sind Chatbots eine vom Kunden gewollte Alternative, die aber nur mit dem richtigen Know-how auch erfolgreich Anwendung findet.

Die mobile Welle wird Unternehmen aus dem Markt drängen, die nicht in der Lage sind, schnell und richtig darauf zu reagieren. Intern geht die Entwicklung oft von den Mitarbeitern aus: Sie bringen ihre Geräte mit ins Büro und nutzen sie zum Teil für Arbeitsaufgaben. Statt dies nur zu dulden, sollten Sie die Belegschaft dazu ermuntern. «Bring your own device» lautet die Devise. Kunden fordern aufgrund ihrer Erfahrungen mit Mobile-Vorreitern wie Amazon und Co. zunehmend von allen Unternehmen Echtzeitassistenz.

Mobilgeräte wiederum ermöglichen es den Mitarbeitern, schnell und ortsunabhängig darauf zu reagieren. Dafür braucht es ein Enterprise-Mobility-Management. Das beinhaltet ein Rechtemanagement: Wer soll wann auf welche Unternehmensdaten zugreifen können? Ausserdem müssen ein firmenübergreifendes Gerätemanagement und ein Sicherheitskonzept etabliert werden. Definieren Sie, welche Apps auf Dienstgeräte geladen werden dürfen. Auch die Trennung von privaten und beruflichen Bereichen auf einem Gerät ist möglich.

Auf strategischer Ebene muss jede Abteilung für sich selbst herausfinden, wo Mobile ins Geschäft eingreift und wie sie es nutzen kann: In welchem Bereich häufen sich die Anfragen nach mobilen Diensten? Wo wird eine mobile Präsenz besonders dringend benötigt? Entwickeln Sie entsprechende Angebote. Von nun an muss der Kunde als «Homo mobilis» ins Zentrum Ihrer Überlegungen rücken. Apple, Google und Samsung haben derweil alle in einen weiteren Bereich investiert: das smarte Zuhause.

Künftig sollen Stromzähler, Heizungsregler und dergleichen von jedem beliebigen Ort aus gesteuert werden können. Interne und externe Vernetzung und Mobilität machen auch vor den Fabrikhallen nicht halt. Unter dem Stichwort Industrie 4.0 will sich die deutsche Industrie Vorteile verschaffen. Ein Resultat all dieser Entwicklungen sind riesige Datenmengen. Wenn diese Big Data in Echtzeit analysiert und interpretiert werden können, werden sie zu Smart Data.

Hyper-Personalisierung

Bleiben wir gerade beim Personalisierungstrend. Denn Dank Big Data und Programmatic Marketing haben Unternehmen immer mehr Hilfsmittel für eine noch genauere Ansprache des Kunden – und das automatisiert. Man spricht von der sogenannten Hyper-Personalisierung. Ein Idealzustand, dass Unternehmen jeden Kunden tatsächlich sehr persönlich und individuell ansprechen können, ist dabei allerdings Königsklasse und bedarf der richtigen Kombination der schon erwähnten Content-Strategie mit der richtigen Form von Marketing, um Automation zu erreichen. Als erste Form von Werbung versprach Onlinewerbung, Kunden wirklich gezielt ansprechen zu können.

Mobiles Marketing ist die Erfüllung dieses Versprechens. Die Nutzer werden ortsbezogen und live erreicht. Das Smartphone ist via E-Commerce ein Point of Sale und zugleich der wichtigste Wegweiser zum nächsten physischen Laden. Es hilft beim Preisvergleich und kann mittlerweile selbst als Zahlungsmittel dienen. Mobile Werbung ist heute die einzige Werbekategorie, die laufend weiter wächst. Einem gängigen Vorurteil zum Trotz handelt es sich dabei nicht um ein «Mäusekino», also einen winzigen, irrelevanten Bildschirm, sondern um einen intimen Ort der Kommunikation, auf dem sich Marken authentisch und unaufdringlich präsentieren müssen. Noch werden klassische Banner auch in den Mobile-Ökosystemen fleissig eingesetzt. Sie werden aber wohl bald aussterben.

Wie andere aufdringliche Formate auch wirken Banner im Mobile-Bereich störend. Sogenanntes Native Mobile Advertising ist hier schon weiter. Es arbeitet mit redaktionell aufbereitetem und mobiloptimiertem Inhalt. Solche Werbung fügt sich in die Umgebung, beispielsweise den Facebook-Feed, unauffällig ein. Der Nutzer kann sie beim Scrollen ignorieren oder eben auf sie reagieren. Ebenfalls erfolgreich im Mobilbereich sind App-Install-Apps, die zum Installieren von Apps aufrufen.

Die Relevanz mobiler Video-Anzeigen wird durch den Siegeszug von Youtube samt dafür optimierter Werbeformate steigen. Das «Social-Media-kann-verkaufen-Konzept» wurde oft erwähnt, aber durchgesetzt hat es sich noch nicht – wird es wohl auch nicht. Aber: 2017 wird sich etwas Matchentscheidendes ändern. Soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram und Pinterest haben das 2016 bereits getestet mit neuen «Buy Buttons», den Möglichkeiten von Services und diverser Call to Action, und dies wird sich auch auf Messenger ausweiten (wie Facebook schon erfolgreich getestet hat).

Das Ende der Warenhäuser

Bei den erfolgreichsten Einzelhändlern der Schweiz macht das etwas über 50 Prozent aller Online-Transaktionen aus. Die Kunden möchten zeit- und ortsunab­hängig bestellen. Der Anteil von mobilen Transaktionen am E-Commerce aller bekannten schweizerischen Einzelhändler wächst dabei stetig. Kunden legen dabei immer grösseren Wert nicht nur auf kürzere Bestellzeiten, sondern auch auf kürzere Lieferzeiten. Druck kommt vor allem durch Amazon Prime. Auch bei den digitalen Händlern von Elektronikartikeln haben sich Same-Day-Delivery-Angebote in der Schweiz im letzten Quartal 2016 etabliert und werden sich in Zukunft wohl auch in anderen Produktbereichen mehr und mehr durchsetzen. Lieferzeit und Rückgabeoptionen entwickeln sich immer stärker zu entscheidenden, fast strategischen Erfolgsfaktoren.

Der stationäre Handel wird durch Mobile einerseits herausgefordert – schliesslich steht jedem Kunden nun der bestmögliche Produkt- und Preisberater zur Verfügung –, andererseits birgt Mobile für die Händler die Chance, zum Onlinehandel aufzuschliessen: Ortsbasierte Werbung kann als Zubringer für die stationären Läden dienen. Reine Onlinehändler wiederum müssen ihr Angebot auf mobile Nutzung hin optimieren. In Sachen Bezahlung wird es noch länger dauern, bis altgewohnte Muster abgebaut sind.

Noch wird in vielen westlichen Ländern am liebsten bar bezahlt. Allerdings zeigen Ticketing-Apps, etwa für den Bahnverkehr, dass die Kunden durchaus die Vorzüge schnellen, mobilen Bezahlens zu schätzen lernen. Erschwerend kommt hinzu, dass Alibaba, Taobao und Tmall bereits heute viele europäische Kunden haben.

Jetzt wollen die chinesischen Onlinekaufhäuser näher an die Käufer ran und verhandeln ein Versandzentrum in Südosteuropa für den gesamten Kontinent. Alibaba verhandelte unter anderem letztes Jahr mit der Regierung in Bulgarien, um ein Versandcenter in dem europäischen Land zu errichten – dabei bauen die Chinesen nicht neu, sie nutzen leerstehende Warenhäuser – ein Schicksal das auch der Schweiz zu drohen scheint. Damit bleibt nur noch ein Weg zum Kunden: über das Mobilgerät, denn die klassischen Verkaufskanäle werden sich wandeln zu Logistikhubs.

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