Marketing & Vertrieb

Zielgruppe Frauen

Das schlummernde Potenzial von Automotive-Kundinnen

Ob beim Autohändler oder in der Werkstatt – immer noch werden Frauen sehr häufig auf Basis alter Klischees behandelt. Wie eine Umfrage zeigt, unterschätzen viele Unternehmen im Umgang mit der Zielgruppe Frauen zudem deren Kaufkraft und verschenken damit Umsatzpotenziale.
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Frauenquote, Mentoring-Programme und Gender Diversity – es vergeht kein Tag, an denen diese Begriffe nicht durch die Presse geistern. Unternehmen und Politik debattieren seit Jahren darüber, wie es gelingen kann, mehr Frauen für die Führungsetage zu gewinnen. Bisher sind die Ergebnisse, aller Bemühungen zum Trotz, eher ernüchternd: Zwar schliessen immer mehr Frauen ihr Hochschulstudium mit Bestnoten ab, im Verhältnis dazu steigt die Zahl der Frauen im Top-Management jedoch kaum.

Kundinnen gewinnen

Kein Wunder, denn es ist nicht damit getan, mal eben eine Vorzeigefrau auf den Chefsessel zu hieven. Wenn sich nicht die generelle Denke und Ausrichtung des Unternehmens in Bezug auf die Frauen ändert, wird alles beim Alten bleiben. Das gilt nicht nur für Frauen in Führungspositionen, sondern beeinflusst auch den wirtschaftlichen Stellenwert von Frauen als Kundinnen. Mit der Einstellung «wir machen doch auch was für Frauen» ist es nicht getan. Hier ist ein Kulturwandel dringend vonnöten, gerade in den traditionell männlich geprägten Metiers wie dem Automotive-Bereich oder in technik­affinen Unternehmen, wie sie im Baugewerbe oder der Elektrotechnik-Branche zu finden sind.

«Frauen sind das nächste China!», verkündete Daimler-Chef Dieter Zetsche im vergangenen Jahr auf einer Investorenkonferenz. Doch was tun der schwäbische Autoriese und seine Wettbewerber wirklich dafür, um auf den Radar der Frauen zu gelangen? Das Portal «autobild.de» führt jedes Jahr unter seinen Leserinnen die Wahl zum «Frauenauto des Jahres» durch. Und auf dem ersten Platz landete 2015 nicht etwa ein Kleinwagen, wie er Frauen gerne zugeschrieben wird, sondern die Mercedes-S-Klasse.

Befragung

Dieses Ergebnis zeigt mehr als deutlich, dass es gar nicht um die Autos an sich geht. Die sind längst bei den Frauen angekommen. Es ist also gar nicht nötig, Millionen von Franken oder Euro in die Entwicklung von «frauenfreundlichen» Kleinwagen zu stecken. Woran es stattdessen hapert, um Frauen zu Kundinnen zu machen, hat die Autorin mit einer Umfrage herausfinden wollen. Im Rahmen dieser Befragung haben sich bisher 468 Frauen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu ihren Erfahrungen beim Autokauf geäussert.
Mit Ausnahme einiger Lichtblicke wurden demnach die Beratungsgespräche in den Autohäusern und Werkstätten durch die Bank als verbesserungswürdig bewertet. Stein des Anstosses war dabei vor allem die Art und Weise, wie sich der in 90 Prozent der Fälle männliche Ansprechpartner gegenüber den potenziellen Kundinnen verhalten hat. Man sollte meinen, dass Vorurteile à la «Frauen möchten einen handlichen Kleinwagen» oder «Hier zahlt sowieso der Ehemann» längst der Vergangenheit angehören – leider weit gefehlt.

Die Umfrage unterstreicht, dass sich die Unternehmen gar nicht bewusst darüber zu sein scheinen, welche Kaufkraft die «Zielgruppe Frau» mitbringt. Dabei sprechen die Zahlen für sich: Bei 30 Prozent der Teilnehmerinnen der Umfrage lag der Kaufpreis des anvisierten Wagens bei über 40 000 Franken und damit klar im hochpreisigen Segment. Reicher Ehemann? Mitnichten: 89 Prozent der Frauen gaben an, 31 Jahre oder älter zu sein, mitten im Berufsleben zu stehen und über ihr eigenes Geld zu verfügen.

Angestaubte Klischees

«Welche Farbe soll es denn sein?» oder «Wie wäre es mit diesem Modell, das hat einen grossen Kofferraum?» – das sind nur zwei Beispiele aus der Vielzahl an schlichtweg düpierenden Fragen, die den Frauen von Kundenberatern gestellt wurden. Hier zeigt sich wieder, wie entscheidend eine ganzheitliche Strategie ist. Was nützt es Mercedes, die jetzt Millionen in ihre neue «She’s Mercedes»-Kampagne – flankiert von einem Magazin und einer Online-Community – stecken, wenn dieser Spirit nicht bei allen Mitarbeitern im Unternehmen ankommt?

Da kann das Marketing noch so tolle Strategien ersinnen – sie werden im Sande verlaufen, wenn das vorwiegend männ­liche Salesteam nicht offen für Veränderungen ist. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf: Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter entsprechend schulen, um Frauen als Kundinnen nicht zu vergraulen, sondern zu gewinnen.

Mangelnder Respekt

Die Frauen wissen scheinbar genau, was sie wollen. Und vor allem möchten sie eins – als Kundinnen ernst genommen werden. Genau an diesem entscheidenden Touchpoint hapert es sowohl bei Autohäusern als auch bei Werkstätten gewaltig. Viele der Befragten gaben an, sich darüber geärgert zu haben, dass sie nicht als Käuferin wahrgenommen und her­ablassend behandelt wurden und man ihnen mangelndes technisches Verständnis und Interesse unterstellt habe. Der schlimmste Fauxpas: In mehreren Fällen sprach der Verkäufer nur mit dem Partner – obwohl die potenzielle Kundin vorher deutlich kommuniziert hatte, dass sie das Auto nutzen und bezahlen würde.

Als besonders wichtig bewerteten die Probanden die nachfolgenden Kriterien: Freundliche sowie zuvorkommende Behandlung (98 %), Respekt (100 %), ein Angebot zu erhalten, das die eigenen Bedürfnisse widerspiegelt (94 %), und die Möglichkeit einer Probefahrt (85 %). Eigentlich Kriterien, die sich jedes erfolgreiche Unternehmen in Sachen Kundenpflege auf die Fahnen schreiben sollte. Doch anscheinend verläuft hier noch ein tiefer Graben zwischen dem Idealzustand und der Realität – oder besser gesagt: zwischen der Wahrnehmung und Behandlung von männlichen im Vergleich zu weiblichen Kunden.

Differenziert beraten

In Zeiten von «unisex» und «one size fits all» sollte man annehmen, dass bei der Behandlung von Kunden kein Unterschied mehr auf Grund des Geschlechts gemacht wird. Die Zahlen sprechen jedoch eine andere Sprache: Längst überholte Stereotype sind quicklebendig und Verkäufer tappen mit Vorliebe in ein besonders grosses Fettnäpfchen: die Annahme, dass es die Zielgruppe Frau gibt. Eine falsche Annahme. Denn ebenso, wie es tatsächlich Männer gibt, die sich nicht für Fussball interessieren und deren technisches Verständnis nur gerade mal ausreicht, um den Neuwagen zu betanken, gibt es auch unter den Frauen eine Vielzahl verschiedener Typen.

Keine dieser Frauen wird sich als Erstes dafür interessieren, welche Farbe ihr potenzielles neues Auto hat. Meistens haben sie sich schon im Vorfeld bestens darüber informiert, welcher Wagen für sie in Frage kommt. Denn für die Mutter wird es beispielsweise wichtig sein, ob sich ein Kindersitz bequem auf dem Rücksitz installieren lässt. Die Businessfrau wird hingegen auf der Suche nach einem prestigeträchtigen Modell sein, das auch auf langen Strecken komfortabel ist und sie sicher und schnell von A nach B bringt.

Daher sollten Unternehmer zuallererst eins verinnerlichen: die Kunden nicht alle über einen Kamm scheren und auch nicht blind nach dem Motto «typisch Mann« oder «typisch Frau» handeln. Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht in genderspezifischen Verkaufsstrategien, sondern darin, aufmerksam zuzuhören und nachzufragen, um eine aussagekräftige Bedarfsanalyse durchzuführen.

Fazit

Um gezielt die «Zielgruppe Frau» zu gewinnen, sollten klassische Angebote auf den Prüfstand gestellt werden. Denn mit 08/15-Einladungen zu einer Produktpräsentation oder einem Themenabend zu neuen Angeboten lässt sich keine Frau mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Was Unternehmen stattdessen brauchen, sind Events mit «Wow-Faktor», flankiert von einer allumfassenden Marketingstrategie, um die Zielgruppe in ihrer ganzen Diversität abzuholen. Eine «typisch weibliche» Eigenschaft ist trotzdem nicht ausser Acht zu lassen: Zahlreiche Studien belegen, dass Kundinnen exzellente Multiplikatoren sind. Dieser Eindruck hat sich im Rahmen der Umfrage bestätigt: Überwältigende 82 Prozent der Teilnehmerinnen gaben an, ihre Erfahrungen an Freunde und Bekannte weitererzählt zu haben.

Porträt