Marketing & Vertrieb

Corporate Architecture

Architektur – das unterschätzte Marketinginstrumentarium

Wirklich hochwertige Corporate-Architecture-Konzepte sind selten. Ein Grund dafür: Dem Thema «Marketing und Architektur» wird immer noch zu wenig Beachtung geschenkt. Dabei birgt es hohes Potenzial, das Firmen­image zu stärken, eine bessere Identifikation mit dem Unternehmen herzustellen und sogar den Umsatz zu steigern.
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Der Spagat, den Corporate-Architecture (CA) leisten muss, ist oft sehr gross. Und die Gründe dafür sind vielfältig. Es besteht eine grosse Spannweite zwischen simpler und hochwertiger Corporate-Architecture. Bekannte Discounter betreiben ebenso CA wie die Schweizerischen Jugendherbergen, die Raiffeisengruppe oder Ida Gut mit ihrem Atelierladen im Zürcher Kreis 4.

Mehr als Wiedererkennbarkeit

Die Unterschiede sind riesig, denn Ketten wie IKEA und Aldi setzen auf die reine optische Wiedererkennbarkeit. Jede Gebäudefassade ist mit demselben Farb- und Materialisierungskonzept konzipiert und oft mit einem überproportional grossen Schriftzug versehen. Die Gebäude fallen zwar auf und die Wiedererkennung ist gegeben; das Konzept funktioniert einwandfrei. Und doch haben diese Konzepte grosse Nachteile. Kein einziger Kunde würde den Laden besuchen, weil er von der Architektur fasziniert ist. Der Kunde erwartet auch keine Qualitätsprodukte, sondern Artikel, die zur Aussenhaut des Gebäudes passen. Dies ist zwar authentisch, verunmöglicht aber einen Strategiewechsel zu hochpreisigen Produkten im Vornherein.

Anders sieht das in den bereits erwähnten Beispielen aus. Bei Raiffeisen beispielsweise fühlt sich der Kunde wohl. Es ist nichts Protziges in der Architektursprache zu finden und doch fallen die neu erstellten oder kürzlich umgebauten Filialen angenehm auf. Kunden gehen gerne hin, die Magnetwirkung wirkt sich auch auf den Geschäftserfolg aus. Auch für die Mitarbeitenden ist dieses Umfeld angenehm und es erfüllt sie mit Stolz gegenüber dem Arbeitgeber. Corporate-Architecture ist also in solchen Fällen nicht nur ein Kundenmagnet, sondern zieht auch qualifiziertes Personal an.

Pionierbranchen

Es gibt Branchen wie die Gastronomie und speziell die Hotellerie, die CA schon früh für sich entdeckt haben. Hoteleigentümer haben entdeckt, dass mit reinen Zweckbauten keine positiven Emotionen erzeugt werden können. Und wer sich einen Urlaub leistet, der möchte in eine andere Welt eintauchen, als er sie von zu Hause kennt. Der Gast will sich wie ein König fühlen, egal in welcher Hotelkategorie. Das System funktioniert bei den Jugendherbergen genau gleich gut wie im Grand Hotel Tschuggen, der «Bergoase» in Arosa, welche durch Mario Botta entworfen und realisiert wurde. Ein ganz anderes Beispiel ist die neue Monterosa-Hütte. Sie überzeugt in ihrer Gesamtheit und fasziniert in Formgebung und Materialisierung genauso wie in ihrer technischen Pionierhaftigkeit. Der leuchtende Bergkristall ist ein Selbstversorger bezüglich Energie und Wasser. Zudem ist er rücksichtsvoll gegenüber der Bergwelt, weil auch an die eigene Kläranlage gedacht wurde. Berggänger lieben die Natur und sie fühlen sich ihr auch beim Betreten der «Hütte» verbunden, denn der im Innern sichtbare Holzbau verfehlt seine Wirkung nicht. Am Beispiel der Monterosa-Hütte ist erkennbar, wie zentral in der Konzeption der authentische, auf die Zielgruppen abgestimmte Charakter des Gebäudes ist. Es reicht nicht aus, nur schöne Architektur zu machen, zum Gesamtkonzept gehören die inneren Werte des Unternehmens. Die Haltung zur Umwelt ist hier ebenso bedeutend wie jene gegenüber Kunden und Mitarbeitenden. Werden diese Faktoren berücksichtigt, ist der wirtschaftliche Erfolg garantiert.

Vorbilder Flagship-Stores

Nicht nur die Hotellerie hat die CA für sich entdeckt, auch viele Markenartikler nutzen das Instrument. Erwähnenswert sind die Nespresso-Shops oder die Victorinox-Flagship­Stores, da bei beiden der Markenauftritt, das Corporate Design eng mit der Architektur verbunden ist. Ein Kunde fühlt sich sofort wohl und in bester Kauflaune.

Ebenfalls eine Art Flagship-Store ist der Sprüngli-Laden an der Zürcher Bahnhofstrasse. Die Betreiber achten darauf, dass die teuren Pralinen in adäquaten Räumlichkeiten präsentiert werden. Eine wirkungsvolle Möglichkeit, sich von der Konkurrenz wie beispielsweise dem Confiseur Läderach zu unterscheiden, der seine Produkte in einfacher ausgestatteten Läden verkauft. Seine Produkte erreichen trotz hervorragender Qualität nie dieselbe Ausstrahlung.

Zurückhaltung möglich

Viele Unternehmer begründen ihre 0815-Bauten damit, dass sie zurückhaltend kommunizieren und nicht dick auftragen wollen. Diese Bescheidenheit macht sie unbestrittener­massen sympathisch, einen Haken hat die Sache aber trotzdem. Wo bleibt der Stolz zu dem, was man tut, wo findet sich die Einzigartigkeit des Unternehmens und wo bleibt die Identität? Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Markenidentität und ein Gespür für Architektur und Design automatisch mit Protz gleichzusetzen ist. Warum denkt der Baumeister beim Bau eines Werkhofes oft nur an die Funktionalität? Warum bildet er nicht ein Projektteam, bestehend aus Management, Architekt und Bauarbeitern, die gemeinsam Ideen generieren, wo und wie der Stolz des Handwerks zur Schau getragen werden kann?

Da Beton sich in jede erdenkliche Form bringen lässt, könnte dieser Umstand ausgenutzt werden. Beispielsweise könnte der Unterschied zwischen einer Normschalung und einer «Bretterschalung» oder eines grauen und eines farbigen Betons aufgezeigt werden. Manch ein potenzieller Kunde und Bauherr wäre ob diesen optischen Varianten überrascht und eher bereit, eine hochwertigere Ausführung zu wählen.

Küchenbauer haben schon längst begriffen, dass sie mit den Emotionen und deren Wirkung arbeiten müssen. Denn Kochen kann man auf einer billigen Küchenabdeckung aus Hartplastik genauso gut wie mit einer aus Naturstein. Trotzdem ist der Bauherr bereit, nur der Optik wegen mehr auszugeben. Dieser Mechanismus könnte auch bei anderen Bauteilen funktionieren. Es sind zum Beispiel Schreinerbetriebe oft ohne Stil eingerichtet, so dass Holz einen altbackenen Eindruck macht. Warum zeigen die Schreiner nicht mit mehr Fantasie, was aus Holz alles machbar ist, in seiner reinen Form oder auch in bunten Farben? Das staubige Büro wird doch keinem Bauherrn gerecht. Wie wäre es mit einem multimedialen Erlebnisraum, in dem die Herkunft, Bearbeitung und Veredelung des Holzes zelebriert wird?

Die Philosophie verstehen

Wenn Bauherren und Architekten völlig unterschiedliche Sprachen reden, kann kein befriedigendes Resultat erwartet werden. Sie müssen aber beide die Bedeutung der Corporate Architecture verstehen und unterstützen. Der Bauherr ist gut beraten, wenn er sich mit einem Briefing selber Rechenschaft über seine Ziele ablegt. Anhand dieses Dokumentes wird die Auswahl des Architekten einfacher und präziser.

Zum gegenseitigen Verständnis gehört, dass Corporate Architecture die Werte des Unternehmens aufnimmt und dass über den zukünftigen Bau eine Geschichte erzählt werden kann. Das Bauwerk soll faszinierend auf Kunden, Mitarbeitende, Lieferanten und Partner wirken und langfristig für die Authentizität eines Unternehmens stehen. So besteht die Gewähr, dass CA-Architektur nicht nur Kosten verursacht und den nötigen Raum zur Verfügung stellt, sondern zu einem langle­bigen und wertvollen Kommunikationsinstrument mit hohem Wertschöpfungspotenzial wird.