Herr Odier, das originäre Geschäft von Banken besteht darin, dass diese über Spareinlagen ihrer Kunden verfügen, die wiederum gewinnbringend angelegt oder als Kredite vergeben werden, um mit diesem Geld, das gering verzinst wird, durch die Kreditzinsen Gewinne zu erwirtschaften. Die EZB, in deren Folge auch die SNB, konterkariert mit ihrer Geldpolitik dieses Geschäftsmodell. Welche Daseinsberechtigung bleibt den Banken noch?
Gerade wegen den rekordtiefen Zinsen ist unser Know-how besonders gefragt. Klassische Anlagemöglichkeiten wie das Sparkonto oder Obligationen werfen kaum mehr Zinsen ab. Alternativen sind gefragt. Als Privatbank beraten wir unsere Kunden bei der langfristigen Anlage ihrer Vermögenswerte – und zwar über alle Anlageklassen hinweg. Unsere Hauptaufgabe besteht also darin, die Vermögenswerte unserer Kunden zu erhalten und zu vermehren und gleichzeitig eine langfristige, vertrauensvolle und enge Beziehung zu pflegen. Dabei haben wir einen spezifischen Beratungsansatz entwickelt, der es beispielsweise Unternehmern und ihren Familien ermöglicht, ihr Vermögen global, koordiniert und effizient zu betrachten. Wir integrieren ihr privates Portfolio, ihr Vorsorgevermögen und die Barmittel im Unternehmen, um die bestmögliche Rendite nach Steuern zu erzielen. Noch nie war unsere Wertschöpfung in einer so unsicheren Zeit so hoch. Wir bieten massgeschneidertes Private Banking gerade auch für Unternehmer an.
Wenn die Zentralbank den Zins in den Negativbereich drückt, wird das Neuverschulden gewinnträchtig. Haben die in Finanzkreisen und der breiteren Bevölkerung unbeliebten Negativzinsen nicht auch zu einem Paradigmenwechsel geführt, der zeigt, dass Sparen zunehmend bestraft und Schuldenmachen belohnt wird?
Negative Zinssätze lassen sich mit Notfallmedikamenten vergleichen: Trotz der Risiken können sie temporär nützlich sein. Auf lange Sicht werden sie jedoch weniger wirksam und die Nebenwirkungen nehmen stetig zu. Sie bestrafen die Sparer und schaffen gleichzeitig starke Anreize für Staat, Unternehmen und Haushalte, mehr Schulden zu machen. In fast allen Industrieländern ist die Verschuldung im Zuge der Finanzkrise deutlich gestiegen. Negative Zinssätze schränken den geldpolitischen Handlungsspielraum im Falle eines Konjunkturrückgangs ein und halten die Währung davon ab, an Wert zu gewinnen. Dies begünstigt die Exporteure und schafft einen erheblichen Handelsüberschuss. Das machte in der Vergangenheit Sinn. Doch ist dies auch für die Zukunft der richtige Ansatz – gerade in Zeiten, in denen der internationale Handel unter Druck gerät?
Wie beurteilen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass bald auch Konsum-, Hausbau- und Unternehmenskredite mit einem Negativzins angeboten werden? Wann kommen also die Negativzinsen für alle, und welche Folgen wird das haben?
Die Wahrscheinlichkeit, dass negative Zinsen für Konsum- oder Hypothekendarlehen angeboten werden, ist sehr gering. Unseres Erachtens sind sich die Regulierungsbehörden der steigenden Verschuldung der privaten Haushalte und des sehr starken Wachstums des Immobilienmarktes durchaus bewusst. Sie haben Massnahmen ergriffen, um den Anstieg zu verlangsamen, indem sie höhere Vorauszahlungen und Amortisationen fordern und die Banken ersuchen, zusätzliche Kapitalpolster zu bilden. Negative Zinssätze würden nur zu mehr Schulden führen, was im Gegensatz zu dem steht, was die Aufsichtsbehörden zu erreichen versuchen.
Welche Folgen sehen Sie vor allem auch auf KMU zukommen?
Hier muss man zwischen der Kredit- und der Anlagesicht unterscheiden. Für mittelständische bis grosse Unternehmen ist es positiv, dass sie als Kreditnehmer in den Markt für Unternehmensanleihen einsteigen können. Sie können ihre hohen Fremdkapitalzinsen refinanzieren und so die Zinsaufwendungen senken. Darüber hinaus verbessern sie ihr Ergebnis und kurbeln Investitionen an. Kleinere Unternehmen hingegen sind benachteiligt, da sie keine Mittel über den Anleihemarkt beschaffen können und somit hochverzinsliche Bankkredite aufnehmen müssen. Darum sind die relativen Zinskosten, die sie für Investitionen zahlen müssen, höher als bei mittleren beziehungsweise grossen Unternehmen. Auch auf der Anlageseite sind die kleineren Unternehmen in einer schwächeren Position. Sie können weniger Einfluss auf die Verhandlungen mit ihren Banken geltend machen, wenn diese beschliessen, Negativzinsen einzuführen. Als der negative Zinssatz sich noch um 0 bewegte, konnte sich ein kleines Unternehmen nach einer anderen Bank umsehen, die keinen negativen Zinssatz verlangte. Mit den jetzt tief im negativen Bereich liegenden Zinsen ist dies jedoch schwieriger geworden.
Vor welchen weiteren Herausforderungen stehen Unternehmer?
Aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsen, sinkender Umwandlungssätze und regulatorischer Vorgaben wird die Vorsorgeplanung für Unternehmer zunehmend komplexer. Die Schweiz hat grundsätzlich ein gutes Drei-Säulen-System. Aber die Überalterung und die tiefen Zinsen setzen dem System zu. Aus diesem Grund wird die private Vorsorge immer wichtiger – auch und gerade für Unternehmer. Denn sie stehen vor vielfältigen Herausforderungen. Einmal müssen sie selbst für sich als Privatier vorsorgen, dann haben sie als verantwortungsvoller Arbeitgeber auch die Vorsorge ihrer Mitarbeiter im Auge, und letztlich gilt es Vermögensstrukturen aufzubauen, die eine Nachfolgeregelung steuerlich bestmöglich gestalten lassen.