Interviews

Interview mit Patrick Odier

«Vorsorgeplanung für Unternehmer wird zunehmend komplexer»

Patrick Odier, Senior Managing Partner der Lombard Odier & Co AG, über die Negativ­zinspolitik und ihre Auswirkungen auf KMU, die Möglichkeiten der Geldanlage und Vorsorgeplanung und die Digitalisierung im Bankgeschäft.
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Herr Odier, das originäre Geschäft von Banken besteht darin, dass diese über Spareinlagen ihrer Kunden verfügen, die wiederum gewinnbringend angelegt oder als Kredite vergeben werden, um mit diesem Geld, das gering verzinst wird, durch die Kreditzinsen Gewinne zu erwirtschaften. Die EZB, in deren Folge auch die SNB, konterkariert mit ihrer Geldpolitik dieses Geschäftsmodell. Welche Daseinsberechtigung bleibt den Banken noch?
Gerade wegen den rekordtiefen Zinsen ist unser Know-how besonders gefragt. Klassische Anlagemöglichkeiten wie das Sparkonto oder Obligationen werfen kaum mehr Zinsen ab. Alternativen sind gefragt. Als Privatbank beraten wir unsere Kunden bei der langfristigen Anlage ihrer Vermögenswerte – und zwar über alle Anlageklassen hinweg. Unsere Hauptaufgabe besteht also darin, die Vermögenswerte unserer Kunden zu erhalten und zu vermehren und gleichzeitig eine langfristige, vertrauensvolle und enge Beziehung zu pflegen. Dabei haben wir einen spezifischen Beratungsansatz entwickelt, der es beispielsweise Unternehmern und ihren Familien ermöglicht, ihr Ver­mögen global, koordiniert und effizient zu betrachten. Wir integrieren ihr privates Portfolio, ihr Vorsorgevermögen und die Barmittel im Unternehmen, um die bestmögliche Rendite nach Steuern zu erzielen. Noch nie war unsere Wertschöpfung in einer so unsicheren Zeit so hoch. Wir bieten massgeschneidertes Private Banking gerade auch für Unternehmer an.

Wenn die Zentralbank den Zins in den Negativbereich drückt, wird das Neuverschulden gewinnträchtig. Haben die in Finanzkreisen und der breiteren Be­völkerung unbeliebten Negativzinsen nicht auch zu einem Paradigmenwechsel geführt, der zeigt, dass Sparen zunehmend bestraft und Schulden­machen belohnt wird?
Negative Zinssätze lassen sich mit Notfallmedikamenten vergleichen: Trotz der Risiken können sie temporär nützlich sein. Auf lange Sicht werden sie jedoch weniger wirksam und die Nebenwirkungen nehmen stetig zu. Sie bestrafen die Sparer und schaffen gleichzeitig starke Anreize für Staat, Unternehmen und Haushalte, mehr Schulden zu machen. In fast allen Industrieländern ist die Verschuldung im Zuge der Finanzkrise deutlich gestiegen. Negative Zinssätze schränken den geldpolitischen Handlungsspielraum im Falle eines Konjunkturrückgangs ein und halten die Währung davon ab, an Wert zu gewinnen. Dies begünstigt die Exporteure und schafft einen erheblichen Handelsüberschuss. Das machte in der Vergangenheit Sinn. Doch ist dies auch für die Zukunft der richtige Ansatz – gerade in Zeiten, in denen der internationale Handel unter Druck gerät?

Wie beurteilen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass bald auch Konsum-, Hausbau- und Unternehmenskredite mit einem Negativzins angeboten werden? Wann kommen also die Negativzinsen für alle, und welche Folgen wird das haben?
Die Wahrscheinlichkeit, dass negative Zinsen für Konsum- oder Hypothekendarlehen angeboten werden, ist sehr gering. Unseres Erachtens sind sich die Regulierungsbehörden der steigenden Verschuldung der privaten Haushalte und des sehr starken Wachstums des Immobilienmarktes durchaus bewusst. Sie haben Massnahmen ergriffen, um den Anstieg zu verlangsamen, indem sie höhere Vorauszahlungen und Amortisationen fordern und die Banken ersuchen, zusätzliche Kapitalpolster zu bilden. Negative Zinssätze würden nur zu mehr Schulden führen, was im Gegensatz zu dem steht, was die Aufsichtsbehörden zu er­reichen versuchen. 

Welche Folgen sehen Sie vor allem auch auf KMU zukommen?
Hier muss man zwischen der Kredit- und der Anlagesicht unterscheiden. Für mittelständische bis grosse Unternehmen ist es positiv, dass sie als Kreditnehmer in den Markt für Unter­nehmensanleihen einsteigen können. Sie können ihre hohen Fremdkapitalzinsen refinanzieren und so die Zinsaufwendungen  senken. Darüber hinaus verbessern sie ihr Ergebnis und kurbeln Investitionen an. Kleinere Unternehmen hingegen sind be­nachteiligt, da sie keine Mittel über den Anleihemarkt beschaffen können und somit hochverzinsliche Bankkredite aufnehmen müssen. Darum sind die relativen Zinskosten, die sie für In­vestitionen zahlen müssen, höher als bei mittleren beziehungsweise grossen Unternehmen. Auch auf der Anlageseite sind die kleineren Unternehmen in einer schwächeren Position. Sie können weniger Einfluss auf die Verhandlungen mit ihren Banken geltend machen, wenn diese beschliessen, Negativ­zinsen einzuführen. Als der negative Zinssatz sich noch um 0 bewegte, konnte sich ein kleines Unternehmen nach einer anderen Bank umsehen, die keinen negativen Zinssatz verlangte. Mit den jetzt tief im negativen Bereich liegenden Zinsen ist dies jedoch schwieriger geworden. 

Vor welchen weiteren Herausforderungen stehen Unternehmer?
Aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsen, sinkender Umwandlungssätze und regulatorischer Vorgaben wird die Vorsorge­planung für Unternehmer zunehmend komplexer. Die Schweiz hat grundsätzlich ein gutes Drei-Säulen-System. Aber die Überalterung und die tiefen Zinsen setzen dem System zu. Aus diesem Grund wird die private Vorsorge immer wichtiger – auch und gerade für Unternehmer. Denn sie stehen vor vielfältigen Herausforderungen. Einmal müssen sie selbst für sich als Pri­vatier vorsorgen, dann haben sie als verantwortungsvoller Arbeitgeber auch die Vorsorge ihrer Mitarbeiter im Auge, und letztlich gilt es Vermögensstrukturen aufzubauen, die eine Nachfolgeregelung steuerlich bestmöglich gestalten lassen.

Was empfehlen Sie Unternehmern, in der Vorsorge zu unternehmen?
Generell sollte eine Vorsorgeplanung frühzeitig beginnen, auch wenn am Anfang der Geschäftsausbau im Fokus steht. Die sich ändernden Rahmenbedingungen im Laufe einer Unter­nehmerkarriere bedürfen zudem einer regelmässigen Bewertung und entsprechender Anpassung. Das A und O ist eine ganz­heitliche Vermögensbetrachtung, die zudem transparent und objektiv erfolgen sollte. 

Gehört das nicht zum Standard in der Vorsorge­planung?
Oft sind die Verwaltung des Vermögens in Form von Bank­guthaben und die Verwaltung des Vorsorgekapitals voneinan­der getrennt, was einen ganzheitlichen Ansatz massiv erschwert. Hier setzen wir als führende Bank in diesem Bereich an. Um die Rendite nach Steuern zu optimieren, wird das gesamte Vermögen – das heisst sowohl das freie private Guthaben als auch das gebundene Vorsorgegeld – analysiert. Was sich einfach anhört, bedingt viel Erfahrung und eine hochmoderne IT-Infrastruktur. Die Vorteile liegen auf der Hand: Einzelne Anlageinstrumente können sowohl aus regulatorischer als auch aus steuerlicher Sicht den Portfolios richtig zugeordnet werden. Konkret heisst dies, dass dem Vorsorgekonto Finanzanlagen mit erhöhten Erträgen (Coupons, Dividenden) und dem Privatkonto Vermögen mit Wertsteigerungspotenzial zugewiesen werden. Das Ergebnis ist ein durchschnittliches Performanceplus von 0,50 bis 1,50 Prozent pro Jahr – ohne dass ein höheres Risiko in Kauf genommen werden muss. 

Negativzinsen bedeuten für Sparer eine Vermögensentwertung; sie reduzieren nicht nur Altersguthaben, sondern auch die Optionen für Investments. Welche Möglichkeiten der Geldanlage empfehlen Sie in der aktuellen Gemengelage?
In diesem langsam wachsenden Niedrigzinsumfeld müssen die Portfolios diversifiziert und widerstandsfähig sein. Wir bevorzugen Carry-Strategien wie Schwellenländer-Schulden, globale Hochzinsanleihen und Immobilien gegenüber Aktien. Sie bieten eine zusätzliche Portfoliorendite bei einem ausgewogenen Risiko. Die Anleger brauchen darüber hinaus einen angemessenen Portfolioschutz in Form von Gold und US-Treasuries, um die unvorhersehbaren Herausforderungen zu meistern. Das Coronavirus ist der erste Test des Jahres mit dem Potenzial für erhebliche kurzfristige Verluste. Solche Schocks sind über­wiegend temporär und die Kurserholung ist signifikant – ins­besondere mit geld- und fiskalpolitischer Unterstützung –, sobald die Marktaktivitäten wieder aufgenommen werden.

Handelskonflikte, vor allem zwischen den USA und China, die weltweite Konjunkturabschwächung, das rezessive Umfeld in Deutschland und eine Erstarkung des Frankens gegenüber dem Euro sind keine In­dikatoren für Optimismus. Wie beurteilen Sie die Lage der Schweiz für die nächsten Jahre?
Insgesamt befindet sich die Wirtschaft in einem gesunden Zustand mit sehr niedriger Arbeitslosigkeit und einem ange­messenen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in den letzten Jahren. Aber die Auswirkungen des Handelskrieges und der starken Konjunkturabschwächung in Deutschland haben in der Tat erste Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft. Unsere Prognose ist vor dem Hintergrund der gesunden Ausgangslage und der bemerkenswerten Stabilität der Schweizer Wirtschaft grundsätzlich konstruktiv. Wir beobachten jedoch aufmerk­sam die Entwicklung des Handelskrieges zwischen den USA und China angesichts der Risiken, die dieser für die Weltwirtschaft mit sich bringt und vor dem Hintergrund des begrenzten po­litischen Handlungsspielraums in der Schweiz, falls es zu einem längeren Abschwung kommen sollte.

Welche Steuerungsinstrumente erachten Sie als sinnvoll, um die Schweizer Wirtschaft vor einem Abschwung zu bewahren?
Die SNB hat bereits verschiedene Instrumente zum Schutz der Schweizer Wirtschaft eingesetzt. Obwohl sie im Falle eines Abschwungs weitere Massnahmen ergreifen kann – zum Beispiel eine weitere Senkung der Zinsen noch tiefer in den negativen Bereich oder zusätzliche Interventionen am Devisenmarkt, um eine starke Aufwertung des Schweizer Frankens zu verhindern –, werden die Grenzen der Geldpolitik sicherlich deutlich. Die Fiskalpolitik kann angesichts des grossen fiskalischen Spielraums in der Schweiz, wo die Staatsverschuldung in den letzten Jahren stark gesunken ist und zu den niedrigsten in den In­dustrieländern gehört, ein wirksameres Steuerungsinstru­­ment sein. Eine aktivere Fiskalpolitik hätte durch die Entlastung der Geldpolitik eine Reihe von positiven Auswirkungen: Höhere Investitionen können zu höherem Wachstum und höheren Zinsen führen und damit auch die Risiken der Finanzstabilität be­grenzen, die aus der anhaltenden Jagd nach Renditen in einem Umfeld extrem tiefer Schweizer Zinsen resultieren. Fiskalpolitik zugunsten von Privatpartnerschaften etwa im Bereich der Infrastruktur könnte dabei helfen, die Zukunfts­fähigkeit unseres Landes zu sichern.

Was können Banken dazu beitragen?
Die Schweizer Banken sind in der Regel sehr gut kapitalisiert, was es ihnen ermöglicht, die eidgenössische Wirtschaft zu unterstützen und in Zeiten des Abschwungs weiterhin Kredite an Firmen, einschliesslich KMU, zu vergeben.

Die Lombard-Odier-Gruppe wurde 1796 gegründet, sie besteht also seit mehr als 200 Jahren, die Geschäftsstelle in Zürich seit 30 Jahren. Welches waren die wichtigsten Meilensteine der letzten Jahrzehnte?
Sie haben unsere Niederlassung am Utoquai im Seefeld erwähnt, die 1989 eröffnet wurde. Dies war sicherlich ein sehr wichtiger Schritt für unser Unternehmen in der Deutschschweiz. Mittlerweile hat sich Zürich zu einem zentralen Standort entwickelt. In der ausserhalb von Genf grössten Niederlassung arbeiten 120 Mitarbeiter in den Büros am Utoquai und seit 1999 auch an der Sihlstrasse. Ein anderer Meilenstein, um nochmals auf das Thema Vorsorge zu sprechen zu kommen, war die Gründung eines Vorsorgefonds 1911 für die Teilhaber und später 1926 die Gründung einer der ersten Pensionskassen für Mit­arbeiter in der Schweiz. Dies machte uns zu Pionieren bei Vor­sorgelösungen.

Lombard Odier hat im Jahr 2019 einen gesteigerten Reingewinn und eine Zunahme der Kundenvermögen um 16 Prozent erzielt. Was waren die Gründe für dieses sehr gute Ergebnis?
Das Ergebnis reflektiert die Auswirkungen einer starken Entwicklung der Nettoneugelder in allen unseren Geschäftsbe­reichen, die Effekte positiver Märkte sowie die Vorteile der strategischen Vermögensallokation für unsere Kunden. Wir haben uns 2019 weiterhin darauf konzentriert, eine herausragende Anlageberatung und Dienstleistungen für alle unsere privaten und institutionellen Kunden zu erbringen.

Sie setzen weiter auf den Wachstumskurs vor allem in der Deutschschweiz. Welche Strategie verfolgen Sie dabei?
Die Deutschschweiz ist für uns ein Wachstumsmarkt und von strategischer Bedeutung. Deshalb wollen wir unsere Präsenz weiter stärken und den Kundenkreis ausbauen. Mit unserem spezifisch auf Schweizer Kunden ausgerichteten Produktangebot und einer neuen Führungsstruktur unter der Leitung von Dr. Andreas Arni, der per 1. Dezember 2019 zu uns gestossen ist, sind wir bestens für das weitere Wachstum aufgestellt.

Welche Herausforderungen, Chancen und Risiken hat Ihr Bankgeschäft durch die Digitalisierung?
Technologie ist eine wichtige Säule des Geschäftsmodells von Lombard Odier. Fast ein Drittel unserer Mitarbeiter sind Technologiespezialisten. Wir haben eine Technologieplattform und eine digitale Benutzeroberfläche aufgebaut, die als eine der besten der Branche gilt. Wir arbeiten konsequent daran, andere Privatbanken in unsere Plattform einzubinden, da sie den Mehrwert sehen und zu uns kommen. Wir setzen weiterhin auf die persönliche Beziehung und den exzellenten Serviceansatz, den unsere Kunden seit Langem schätzen, oft über viele Ge­nerationen hinweg. Gleichzeitig sind wir stets bestrebt, diese Be­ziehungen auszubauen, indem wir das Potenzial von Spitzentechnologien und Innovationen nutzen, die für unsere Kun­den Mehrwert schaffen. In einem zunehmend wettbewerbs­orientierten Markt werden die Gewinner diejenigen sein, die das optimale Gleichgewicht zwischen traditionellen Ansätzen und sicherer Spitzentechnologie finden.

Im Zusammenhang mit der EU ist es vor allem der Rahmenvertrag, der die Gemüter erhitzt. Welche Auswirkungen hätte eine Annahme oder Ablehnung des Vertrages für Ihre Branche?
Wir brauchen ein Rahmenabkommen. Es ist nötig, die Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz zu klären, um so die Unsicherheit in unserem Verhältnis zu beseitigen und Rechtssicherheit zu schaffen. Der Preis der Isolation wäre viel zu hoch. Wir sind zu klein, um unsere Produkte und Dienstleistungen nur innerhalb des Landes zu verkaufen. Man weiss aufgrund vieler Studien, wie sehr die Schweiz von den bilateralen Verträgen profitiert hat. Dabei geht es nicht nur um die Wirtschaft und den Bankensektor, sondern auch um die Ausbildung, die Forschung, die Produktivität, die Auswahl an Produkten sowie um Konsumentenpreise. Besonders für die Attraktivität des Forschungsplatzes ist es wichtig, an den vom EU-Rahmenprogramm geförderten Forschungsprojekten teilnehmen zu können. Und gerade für die Schweiz und ihre KMU sind Forschung und Wissenschaft langfristig extrem wichtig. Für den Finanzsektor und insbesondere für die kleineren Institute ist es zentral, dass wir ein Rahmenabkommen haben. 

Herr Odier, Sie werden spätestens im Jahr 2023 Ihr Amt als Senior Managing Partner an Hubert Keller übergeben. Wieso dieser Schritt? 
Die Bank ist in einer starken Verfassung. Auch in der Partnerschaft haben wir uns erneuert und  mit den richtigen Leuten verstärkt. Wir verfolgen eine langfristige und nachhaltige Planung. Mit Hubert Keller wird die Kontinuität sichergestellt, aber auch die konsequente Ausrichtung auf unsere Investmentkompetenz. Unsere Verantwortung ist es, mit dem Unternehmen sorgsam umzugehen, es in starker Verfassung zu halten und an die kommenden Generationen weiterzugeben. Wir haben eine Verpflichtung und ein Versprechen gegenüber unseren Kunden – viele sind über Generationen hinweg bei uns.

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