Herr Pauchard, vor gut drei Jahren haben Sie die Leitung des CSEM übernommen. Zuvor waren Sie bei der Verpackungsmaschinen-Firma Bobst als Forschungs- und Entwicklungsleiter sowie Chief Technology Officer tätig. Was hat Sie dazu bewogen, von einem Unternehmen zu einer öffentlich-privaten Non-Profit-Organisation zu wechseln?
Es ist eine spannende Herausforderung Industrie und Akademie zu verknüpfen. Im Vergleich zu der Tätigkeit in einem Unternehmen befasst sich CSEM mit vielen verschiedenen Branchen und Bereichen. Es ist eine interessante, sehr vielseitige Tätigkeit. Dazu halte ich es für sinnvoll, Schweizer Unternehmen zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen.
Das Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique (CSEM) ist vor vier Jahrzehnten aus dem Zusammenschluss von drei Neuenburger Unternehmen hervorgegangen. Was war der Unternehmenszweck?
Anfang der 1980er-Jahre hatte die Uhrenindustrie Probleme mit der Quarztechnik, die in der Schweiz erfunden, aber nicht direkt in die Industrie transferiert wurde. Um Lösungen zu entwickeln, entschied sich der Bundesrat für die Gründung eines Technologietransferzentrums. Im Jahr 1984 entstand das Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique (CSEM) aus den drei Mikrotechnologieinstituten Centre Électronique Horloger (CEH), der Fondation Suisse pour la Recherche en Microtechnique (FSRM) und dem Laboratoire Suisse de Recherches Horlogères (LSRH). Zahlreiche namhafte Schweizer Unternehmen haben das neue Zentrum von Beginn an unterstützt, viele wurden Teilhaber und pflegen bis heute eine intensive Beziehung mit CSEM.
Wie hat sich das Centre dann weiterentwickelt?
Seit 1984 haben wir tausende Unternehmen unterstützt, auch Start-ups, letztes Jahr allein 250 Betriebe. Wir beruhen auf zwei Pfeilern, der erste ist angewandte Forschung. Wir bekommen etwa 40 Prozent unseres Budgets vom Bund, um die Entwicklung von Innovationen zu unterstützen. Hinzu kommen Beiträge von Kantonen. Es braucht oft fünf bis acht Jahre, um eine neue Technik zur Marktreife zu bringen. Wenn es so weit ist, setzen wir unseren zweiten Pfeiler ein: den Technologietransfer.
Was konkret ist heute die Aufgabe des CSEM und wie sind Sie aufgestellt?
Es ist unsere Mission, die Innovationskraft von Schweizer Unternehmen zu fördern und die Wirtschaft durch die kontinuierliche Zusammenarbeit mit führenden Hochschulen, Forschungsinstituten und Industriepartnern zu stärken. Wir verstehen uns also als Brücke für einen effizienten Technologie- und Know-how-Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, und eben auch als Innovationstreiber. Dafür beschäftigen wir mittlerweile über 600 Mitarbeitende an sechs Standorten in der Schweiz.
Auf welche Forschungsschwerpunkte setzen Sie?
Wir setzen auf drei strategische Forschungsprogramme. Zunächst die «Digitale Technologien», darunter fallen wiederum sechs Bereiche, zum Beispiel Industrie 4.0, künstliche Intelligenz oder auch Quantentechnologie. «Präzisionsfertigung» ist der zweite Bereich, ebenfalls mit sechs Bereichen. Stichwörter hier sind mikroelektromechanische Systeme, Photonik oder auch Life Science. Dabei unterstützen wir unter anderem Mikrofertigungsbetriebe in ganz Europa bei der Entwicklung hochspezialisierter Produkte und der Einführung flexibler, autonomer und erweiterter Produktionsanlagen. Der dritte und neuste Forschungsbereich ist «Nachhaltige Energie». Hier beschäftigen wir uns mit Innovationen und Lösungen zur Optimierung von Integration, Speicherung, Überwachung, Steuerung und Wartung erneuerbarer Energien.
Wie sind diese drei Bereiche gewichtet?
Im ersten und zweiten Bereich engagieren wir uns je zu etwa 40 Prozent. Nachhaltigkeit umfasst etwa 20 Prozent unserer Tätigkeit.
Werden sich in Zukunft diese Gewichtungen zugunsten der nachhaltigen Energien ändern?
Im Moment nicht. «Digitale Technologien» sind aktuell besonders wichtig. Im Bereich KI unterstützen wir sehr viele Firmen, zum Beispiel bei der Qualitätskontrolle. Zwei Beispiele: Die Firma Renata SA produziert in der Schweiz eine Million Knopfbatterien pro Tag. Wir entwickelten für die Qualitätskontrolle jeder einzelnen Batterie eine KI-Analyse. Ein wichtiges Thema ist auch die Herkunft eines Produktes. Für die Firma Gübelin AG haben wir eine KI-unterstützte Lösung für die Herkunftsanalyse von Edelsteinen entwickelt.
Wie gestaltet sich eine Zusammenarbeit mit Firmen konkret?
Wir arbeiten sehr flexibel auf die Firma abgestimmt, je nach Wunsch bearbeiten wir einzelne Prozesse oder wir übernehmen die Entwicklung von Produkten bis zur Marktreife. Kurz: Alles, was wir bei der angewandten Forschung machen, dient dem Technologietransfer. Wir wollen nichts entwickeln, das später in der Schublade landet.
Unterstützen Sie die Firmen auch im digitalen Bereich?
Wir begleiten Unternehmen durch die digitale Transformation mit unseren Angeboten «Chief Digital Officer-CDO-as-a-service» und «Expert-as-a-service». Wir prüfen die digitale Strategie des Unternehmens und bringen es mit den passenden Entwicklungspartnern zusammen.
Unterstützen Sie die Unternehmen auch finanziell?
CSEM vergibt kein Kapital, aber wir helfen dabei, Investoren oder Darlehen zu finden.
Arbeiten Sie mit anderen Organisationen zusammen oder gibt es in Europa Schwierigkeiten wegen des Rahmenvertrages?
Wir arbeiten mit vielen Institutionen im In- und Ausland zusammen, zum Beispiel mit der ETH, anderen Universitäten und Fachhochschulen. Wir können immer noch sehr erfolgreich an EU-Projekten teilnehmen, was aber aufgrund der aktuellen Situation mit viel Aufwand verbunden ist. Aber bei einigen Domänen sind wir ganz ausgeschlossen, zum Beispiel bei Quantum, dessen Ziel es ist, ein europäisches Quantenökosystem zu entwickeln. In dem Bereich können wir mit der EU nichts machen.
Auch in der Schweiz gibt es eine Quantum-Initiative. Sind Sie daran beteiligt?
Ja, ich sitze in der Schweizer Quantenkommission.
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU?
Für Forschungsarbeiten ist die Zusammenarbeit mit den EU-Teams extrem wichtig. Wir können es uns nicht leisten, zu lange von qualifizierten Entwicklungsfachleuten in der EU distanziert zu sein. Solche Projekte brauchen viel Zeit und in der EU haben wir wertvolle Kontakte. Ohne diese sind wir plötzlich isoliert im europäischen Raum und das ist nicht die beste Ausgangslage, um innovative Technik zu entwickeln. Wir sind etwa zu elf Prozent an EU-Projekten beteiligt, zum Beispiel im Bereich Fotovoltaik. Allein können wir nicht alles machen. Unter anderem ist die Schweiz aber ein wichtiger Zulieferer für die europäische Autoindustrie.
Arbeiten Sie auch mit aussereuropäischen Unternehmen zusammen?
Wir haben Partner in der ganzen Welt, von den USA bis Südkorea. Wir arbeiten viel im Bereich sichere Zeitmessung, Stichwort Galileo-Batterie, die man zum Beispiel für Tauchgeräte verwenden kann. Wir haben auch einen guten Kontakt zu Firmen, die Atomuhren herstellen, in der Atomuhrentechnik ist die Schweiz führend.
In einigen Bereichen ist Asien, vor allem China, eine grosse Konkurrenz. Die Chinesen haben schon die deutschen Fotovoltaikentwicklungen übernommen und produzieren heute als Billigkonkurrenz. Besteht diese Gefahr auch für die Schweiz?
Asien verfügt über etwa 95 Prozent des Fotovoltaik-Marktes und ein grosser Teil davon wird in China produziert. Es bestehen aber auch in Europa wieder neue Projekte. In der Schweiz gibt es viele KMU oder Start-ups, die Nischenprodukte in dem Bereich produzieren und mit denen wir zusammenarbeiten. Drei Beispiele: Meyer Burger Technology AG, die innovative Solardachziegel anbietet. 3S, Swiss Solar Solutions, produziert farbige Solar-Panels und eröffnete eine neue Produktionslinie in Thun, basierend auf einem von Innosuisse geförderten Projekt. Insolight produziert Agrifotovoltaik für Gewächshäuser.
Wie ist das Potenzial im Nachhaltigkeitsbereich?
Da bestehen grosse Herausforderungen. Beispielsweise entwickeln wir Batterien der nächsten Generation und unterstützen Projekte in der Schweiz und Europa, um die Abhängigkeit von aussereuropäischen Ländern zu vermindern. Man diskutiert heute in Europa und in der Schweiz über einen Batteriepass für einheitliche Standards, der auch über das Produktionsdatum und die Inhaltsstoffe informiert. Dafür setzt sich die circular-economy-initiative ein. In China gibt es diesbezüglich schon ein Riesenprogramm. Viele dieser Errungenschaften basieren auf der Expertise von Christophe Ballif und seinem Team. Er ist der Leiter unserer Sustainable-Energy-Aktivitäten und ist Pionier im Bereich der Fotovoltaik. Er erhielt 2016 den renommierten Becquerel-Preis und wurde erst letzten Monat in Shanghai als Global Solar Scientist ausgezeichnet.
Gibt es in Bezug auf Innovation Alleinstellungsmerkmale der Schweiz?
Unser Vorteil ist ein sehr gutes Bildungssystem. Es besuchen uns immer wieder Vertreter aus dem Ausland, die von uns lernen wollen. Ein Problem ist aber, dass wir immer mehr Studenten an den Fachhochschulen haben, aber die Geldmittel nicht entsprechend erhöht werden. Ausserdem fehlen uns Ingenieure. Wir verfügen auch über einen hohen Anteil an internationalen Firmen, die viel in Forschung und Entwicklung investieren, sowie eine intelligente und exportorientierte Industrie. In Deutschland gibt es das auch, aber in Frankreich und Spanien weniger. Studien haben aber gezeigt, dass die KMU ihre Investitionen für Forschung in den letzten 15 Jahren reduziert haben. Sie leiden im Moment.
Auch in Deutschland verschlechtern sich die Rahmenbedingungen für KMU. Was wären die Folgen, wenn sich das analog in der Schweiz so entwickeln würde?
Studien vom SERI, dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation, sowie von SATW, der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften, zeigen, dass Innovationsentwicklung intern immer schwieriger wird. Die Teams werden kleiner. Deswegen arbeiten 26 Prozent der Unternehmen bei ihren Innovationen mit Partnern zusammen. Man sollte diese KMU wirklich intensiv unterstützen, sonst besteht die Gefahr, dass man die Produktion in der Schweiz verliert.
Wie könnte man denn in Deutschland und natürlich auch in der Schweiz die Produktion wieder ins Land zurückholen?
Die Covidkrise war schon ein Signal dafür, dass es notwendig ist, auf die Lieferketten zu achten und die Abhängigkeit von anderen Ländern zu verringern, weil sonst Engpässe und Mängel entstehen. Zum Beispiel hatte die Autoindustrie zeitweise keinen Zugriff auf Bauteile. Einige Firmen haben daraus gelernt und schlossen Verträge ab mit anderen Herstellern in Europa oder in den USA. Es gibt auch viele Projekte, um neue Produktionszentren für Batterien aufzubauen. Zum Beispiel produzieren wir hunderte Millionen Chips mit schweizerischer Fotovoltaik, die man zum Beispiel in Kopfhörer einbauen kann.
Wie können Sie die Erfindungen Ihrer Kunden schützen?
Das gelingt uns sehr gut, zum Beispiel mit Patenten. Für uns ist die Sicherheit extrem wichtig, in dem Bereich arbeiten wir sehr professionell, und wir haben in die IT-Sicherheit viel investiert. Unsere Mitarbeiter müssen Kurse über Vertraulichkeit besuchen und es gehört zu unseren Spezialitäten, Clouds und Hardware abzusichern. Unsere Angestellten arbeiten nur für spezielle Kunden, auf die Daten von anderen haben sie keinen Zugriff.
Entwickeln Sie auch Sicherheitssysteme für Unternehmen?
Natürlich, aber nicht für Allerweltssysteme wie Microsoft usw., sondern für spezielle Anwendungen. Unsere Spezialität ist es, Sicherheit nahe an der Hardware zu bieten, zum Beispiel für Autoschlüssel. Oder wir entwickeln Lösungen für die Fernsteuerung von grossen Konstruktionsmaschinen, das wird immer häufiger praktiziert.
Wem gehören die Erfindungen, die CSEM mitentwickelt?
Erfindungen, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden, gehören CSEM. Alles, was wir in Kooperation mit einem Unternehmen entwickeln, gehört diesem.
Welche Wünsche hätten Sie für die politischen Rahmenbedingungen?
Uns beschäftigen die Finanzen für die nächste Periode 2025 bis 2028. Der Bund muss sparen. Trotzdem muss man im Kopf behalten, dass Innovation ein Investment ist. Oft übersieht man, dass viel Gewinn durch Investitionen in Innovation und Bildung entsteht.
Können Sie uns dazu Zahlen nennen?
In der Schweiz bekommt man für die Erfindungen des CSEM für einen Franken 15 Franken zurück, bei der ETH nur fünf Franken. Das Einkommen des CSEM stammt zu 60 Prozent aus der Schweiz, 20 Prozent kommen aus Europa und der Rest aus anderen Kontinenten. Wir sind aber keine gewinnorientierte Organisation, stattdessen investieren wir Überschüsse in Forschung und Entwicklung.
Wie entstehen solche Unterschiede der Gewinne wie zwischen ETH und CSEM?
Die Investitionen durch den Bund sind wie anfangs erwähnt wichtig, um die angewandte Forschung sicherzustellen. Zudem können sie auch die aktuell rückläufigen Investitionen der KMU in Forschung und Entwicklung abfedern, um langfristig als Land nicht ins Hintertreffen zu geraten.
Der Bund arbeitet derzeit an einer Schweizer Gesetzgebung für die Regulierung der künstlichen Intelligenz, angelehnt an den «AI Act» der EU. Wie beurteilen Sie diese Bestrebungen?
Es ist notwendig, dass man die Probleme rund um die künstliche Intelligenz, etwa das Urheberrecht, genau analysiert und gesetzliche Grundlagen entwickelt.
CSEM vergibt Preise. Nach welchen Kriterien geschieht das?
Für technische Innovationen vergeben wir 100 000 Franken für Start-ups. Der Durabilis-Preis, der im März 2007 ins Leben gerufen wurde, prämiert Projekte von Studentinnen und Studenten, die Überlegungen zum Thema Nachhaltigkeit beinhalten. Am CSEM Business Day präsentieren wir konkrete Beispiele aus der Praxis. Dieses Jahr findet er am 14. November statt als Special Edition aufgrund unseres 40-Jahr-Jubiläums.