Interviews

Interview mit Felix Thun-Hohenstein

«Nachhaltiger Erfolg erfordert nachhaltiges Denken»

Felix Thun-Hohenstein, CEO von 3M Schweiz und Österreich, über Mitarbeiter und Kunden als Innovationsquelle, die Entwicklung und Besonderheit des Schweizer Marktes und sein Vorbild Nicolas G. Hayek.
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Herr Thun-Hohenstein, die meisten Menschen bringen 3M sofort mit Post-it in Verbindung. Stört Sie das?

Jedes Unternehmen ist dankbar, wenn ein Produkt aus dem eigenen Haus so beliebt ist, dass fast jeder es kennt. Traurig wäre nur, wenn die Leute dächten, 3M stelle nur oder in erster Linie Post-it her.

Wie gross ist die Produktpalette von 3M?

Über 50 000 – und das Portfolio wächst durch Innovationen und Akquisitionen stetig weiter.

3M ist eines der am stärksten diversifizierten Unternehmen weltweit. Was sind die wichtigsten Geschäftsfelder?

Unter dem Dach von 3M sind zirka 40 mittelgrosse globale Geschäftseinheiten vereint. Wir stellen Schleifmittel, Klebstoffe, Arbeitsschutzprodukte und Filtrationstechnologien für die Industrie her. Wir sind im Bereich Wundversorgung, Infektionsprävention und Dentaltechnologie ein wichtiger Player im Gesundheitswesen. Wir produzieren Folien, die etwa in der Verkehrssicherheit oder auf Bildschirmen in der Unterhaltungselektronik eingesetzt werden und sind stark im Energiesektor, im Bürozubehör sowie im Bereich Sicherheit.

Thema Sicherheit – welche Produkte stammen konkret von Ihnen?

Wenn Sie bei der Einreise in die USA einen Fingerprint abgeben müssen, geschieht dies mit 3M-Technologie. Auch die Passlese-Geräte könnten ein 3M-Fabrikat sein. Zudem sind wir Weltmarktführer im Bereich Atemschutzmasken und Gehörschutz. Das Schweizer Orchester Basel Sinfonietta etwa setzt auf Gehörschutzstöpsel von uns.

Mit welchen dieser Produkte kommt denn ein Mensch in der Schweiz am meisten in Kontakt?

Unsere Consumer-Produkte wie Scotch- und Command-Klebelösungen, das eben schon erwähnte Post-it, Scotchbrite und Nexcare zeigen die häufige Verwendung von 3M-Produkten im Alltag auf. Auch im Spital, in der Hauskrankenpflege oder beim Zahnarzt werden Sie häufig auf die Marke 3M stossen. Meistens sind unsere Produkte aber für den Konsumenten nicht sichtbar, spielen aber eine wichtige Rolle – sozusagen «3M inside». Es besteht z. B. eine grosse Wahrscheinlichkeit, dass der Bildschirm Ihres Fernsehers, Laptops, Tablets oder Smart-Phones durch einen Brightness-Enhancement-Film der 3M versehen ist, ein Flugzeug teilweise mit unseren Klebstoffen verklebt ist oder Ihre Strom- oder Breitbandleitungen durch 3M-Verbindungen laufen.

Gibt es ein Produkt, das Sie besonders fasziniert?

3M hat Folien entwickelt, die Licht ohne grosse Verluste transportieren und verteilen können. Hier sehe ich ungeheuer spannende Möglichkeiten für ganz neue Zugänge zu Beleuchtungslösungen – energiesparend und mit ganz tollen neuen Design-Möglichkeiten.

Wachstumstreiber bei 3M sind zum Grossteil Innovationen. 40 Prozent des Umsatzes erzielen Sie mit Produkten, die es vor fünf Jahren noch nicht gab. Wie ist das möglich?

Unsere wichtigsten Innovationsquellen sind unsere Kunden und unsere Mitarbeiter – es ist für uns deshalb sehr wichtig, eine Kultur des Dialogs, der Zusammenarbeit über geografische und funktionale Grenzen hinweg und der Eigeninitiative zu pflegen. Gleichzeitig haben wir sehr gute Innovationsprozesse, um unsere Mitarbeiter zu unterstützen.

Was bedeutet das konkret?

Einerseits gibt es viele globale Fragestellungen, die unsere Gesellschaft lösen muss – sogenannte Megatrends. Wir beschäftigen uns intensiv mit den Auswirkungen dieser Megatrends wie die Veränderung der Alterspyramide, die Energie- & Ressourcen-Verknappung oder zum Beispiel der Erneuerungsbedarf der Infrastruktur in der westlichen Welt. Gleichzeitig verfolgt unsere Corporate-Forschungsabteilung die wichtigsten Technologie-Trends und Entwicklungen – beides ergibt in Kombination mit den etwa 45 bestehenden Technologie-Plattformen, die das derzeitige Know-how der 3M ausmachen, eine gute Basis für kreative neue Lösungen. Diese werden auch stark im Zusammenhang mit den spezifischen Fragen unserer regionalen Kunden und Märkte entwickelt. In den USA wird für Amerikaner, in Europa für Europäer und in Asien für Asiaten geforscht und produziert. Wir haben eine Reihe von Forschungslabors in Europa – das grösste befindet sich in Deutschland.

Welche Kriterien muss ein Produkt erfüllen, damit es letztendlich am Markt auch erfolgreich sein kann?

Der Weg von der Idee über Konzept, Umsetzbarkeit, Entwicklung, Markt-Tests bis zur Kommerzialisierung wird bei der 3M durch sogenannte «Gate-Reviews» begleitet, in denen das Projekt in sechs Schritten auf den Prüfstand gestellt wird. Von 100 Ideen werden vielleicht ein oder zwei tatsächlich umgesetzt.

Identifikation mit dem Unternehmen wird bei 3M grossgeschrieben. Wie funktioniert das in einem Betrieb mit so verschiedenen Bereichen?

Wir teilen gemeinsame Werte und Ziele. Der wichtigste Antreiber ist die Innovation. Bis 2017 sollen bei 3M 16 der 40 Milliarden Umsatz mit Produkten erwirtschaftet werden, die es heute noch gar nicht gibt. Wir können also unsere künftigen Umsatzträger heute noch gar nicht kennen. Das ist eine grosse Aufgabe, die jeden einzelnen Mitarbeiter herausfordert.

Neben Innovation ist Nachhaltigkeit ein grosses Thema. 3M gehört nach eigenen Angaben zu den grünsten Unternehmen der Welt. Wie schafft sie das?

3M hat schon in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts mit Umweltschutzprogrammen begonnen – das wichtigste Programm läuft seit damals und heisst 3P – «Pollution Prevention Pays». Diese sehr frühe Erkenntnis, dass nachhaltiges Handeln auch wirtschaftlich sinnvoll ist, hat sich in den Werten und der Kultur des Unternehmens gefestigt und ist daher jedem Mitarbeiter ein Anliegen.

Was genau bedeutet das in der Praxis?

Wir sehen drei Aspekte: nachhaltiges Wirtschaften – das bedeutet, unseren Kunden mit unseren Lösungen zu helfen, nachhaltig zu wachsen und unseren Investoren eine nachhaltige Rendite und Dividende zu sichern. 3M zahlt seit 1916 ohne Unterbrechung Dividenden. Der zweite Aspekt ist der Erhalt und Schutz unserer Umwelt durch Reduktion von Ressourcen und Emissionen – wir haben zum Beispiel in den letzten 20 Jahren unsere Lösemittel-Emissionen um 95 Prozent und unsere Treibhausgas-Emissionen um 72 Prozent reduziert. Der dritte Aspekt ist die soziale Verantwortung des Unternehmens gegenüber der Gesellschaft, in der wir arbeiten. Einerseits hat 3M eine hoch dotierte Foundation, die soziale Projekte weltweit unterstützt – auf der anderen Seite versucht jede Niederlassung auch lokal einen Beitrag zu leisten. In der Schweiz unterstützen wir zum Beispiel Kispex.

3M setzt auf Nachhaltigkeit, soziales Gewissen, Mitarbeiterzufriedenheit. Zugleich ist die Firma aber börsenkotiert – wie gelingt der Spagat zwischen Ethik und Befriedigung der Investoren?

Da muss nicht unbedingt ein Konflikt bestehen. Wir suchen langfristige Investoren, die auch an einem nachhaltigen Erfolg interessiert sind. Nachhaltiger Erfolg erfordert ein nachhaltiges Denken.

Das Thema Arbeitsschutz wird bei 3M grossgeschrieben. Welche neuen Produkte oder Bestrebungen sind im Gange?

Im Arbeitsschutz gibt es immer zwei Hauptthemen – Sicherheit und Akzeptanz. Die grösste Fragestellung in vielen Bereichen ist immer noch, ob die Mitarbeiter auch bereit sind, Arbeitsschutzprodukte konsequent zu tragen, um sich zu schützen. Wir arbeiten hier seit Jahren konsequent an den zwei Schlüsselfaktoren; erstens gutes Training, um die Risiken zu verstehen und den richtigen Schutz auszuwählen, zweitens attraktive Produkte mit hohem Tragekomfort, die jeder gerne trägt.

Die Gesellschaft wird immer älter. Welche Rezepte haben Sie für diese Entwicklung?

Dieser Trend hat für uns doppelte Bedeutung – einerseits ergeben sich ganz neue Anforderungen an unsere Produkte und Lösungen, auf die wir in der weiteren Entwicklung achten müssen. Auf der anderen Seite ergeben sich auch Chancen – unsere Mitarbeiter sind auch nach der Pensionierung noch lange gesund und aktiv – und wir können ihre Erfahrung daher noch länger nutzen. Diese Erfahrung ist ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil unserer westlichen Welt – den dürfen wir nicht verlieren. Wir arbeiten daher an verschiedenen Modellen, das Know-how unserer Mitarbeiter auch über die Pensionierung hinaus zu nutzen.

Die demografische Entwicklung wie auch der wirtschaftliche Fortschritt führen zu einem wachsenden Energiebedarf. Hat 3M intelligente Lösungen für die sich daraus ergebenden Probleme?

Es gibt verschiedene Ansätze, die Produktion alternativer Energie wirtschaftlicher zu machen. 3M bietet Lösungen, die Effizienz von Solar- und Thermal-Panelen zu steigern. Was wenige wissen ist, dass ein Grossteil der Energie beim Transport verloren geht – hier bietet 3M Hochspannungskabel mit höherer Kapazität und geringeren Verlusten sowie neue Batterietechnologien, die die Speichermöglichkeiten der Energie verbessern. Und schlussendlich geht es um den Verbrauch – hier bietet 3M Fensterfolien, die die Wärmebildung bei Sonneneinstrahlung reduziert. Das Kühlen der Gebäude braucht etwa die dreifache Energiemenge wie das Heizen – ein guter Grund, in Folien zu investieren, die das Aufheizen von vornherein verhindern.

Was können sogenannte Smart Grids beisteuern?

Intelligente Energienetzwerke können mehrfach helfen – einerseits gibt es bei der Produktion im Solar- und Windbereich grosse Schwankungen. Diese müssen im Netz durch konventionelle Kraftwerke ausgeglichen werden. Hier brauche ich intelligente Netze, die den Energiedurchlauf an eine Zentrale melden. 3M bietet intelligente Kabelverbindungen, die diese Aufgabe übernehmen. Ein intelligentes Netzwerk kann aber noch viel mehr bieten – wenn zum Beispiel private Heizungssysteme in ein solches Netzwerk integriert werden, könnten diese je nach Strompreis und Bedarf gesteuert werden. Eine Grundvoraussetzung sind hier Breitbandnetze, für die 3M Lösungen anbietet.

3M Schweiz feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Wie hat sich der hiesige Markt entwickelt?

Der Schweizer Markt ist sehr wichtig für 3M, da hier viele äus­serst innovative Unternehmen tätig sind. Wir haben deshalb auch eine höhere Penetration im Vergleich zu Westeuropa. Die Entwicklung in den letzten 18 Monaten war natürlich etwas gedämpft durch den starken Schweizer Franken; zum Glück entwickelt sich der Euro ja jetzt wieder positiv.

Wie unterscheidet sich der Markt Schweiz von anderen Ländern?

Durch sehr hohes Qualitätsbewusstsein, einer beachtlichen Anzahl von hoch spezialisierten, innovativen, global agierenden Unternehmen und einer sehr guten unternehmerischen Kultur – alles Aspekte, die für 3M sehr wichtig sind.

Herr Thun-Hohenstein, Sie arbeiten seit 28 Jahren bei 3M. Was hat Sie so lange im Unternehmen gehalten?

Die Vielfalt, die Kultur und der Zugang zu den Mitarbeitern. 3M ist in Sachen Personal ein altmodisches Unternehmen. Unser Ziel ist es, gute Mitarbeiter zu halten und zu entwickeln, oft über ein Arbeitsleben lang. Für Innovation braucht es nicht neue Köpfe, sondern Gestaltungsspielraum. Bei mir persönlich war es so, dass ich jedes Mal, wenn ich mich nach etwas Neuem umsehen wollte, intern wieder eine spannende neue Aufgabe erhielt.

Welche Herausforderung finden Sie besonders spannend?

Das Tempo, mit dem sich die Dinge momentan verändern. Es ist nicht einfach, sicherzustellen, dass man selber und das Team dieses Tempo richtig einschätzen und mit der Veränderungsgeschwindigkeit mithalten. Um ein Beispiel zu geben: Man schätzt, dass die Adaptionsrate von Tablets ungefähr achtmal so schnell sein wird wie die von Mobiltelefonen – mit enormen Auswirkungen auf die Arbeits-, Informations- und Kommunikationsweise der Menschen.

Kürzlich haben Sie Nicolas G. Hayek als Vorbild bezeichnet. Weshalb?

Er hatte die Fähigkeit, nicht nur visionäre Ideen zu haben, sondern diese auch erfolgreich umzusetzen und mit grossartigem Marketing zum Erfolg zu führen. Das ist für mich beispielgebend. Bei 3M beschäftigen wir uns tagtäglich mit der Entwicklung und Vermarktung von Innovationen – ich weiss daher, wie schwierig diese Aufgabe ist. Wir brauchen weltweit viele «Hayek-Jünger», um erfolgreich zu bleiben. «

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