Herr Thun-Hohenstein, die meisten Menschen bringen 3M sofort mit Post-it in Verbindung. Stört Sie das?
Jedes Unternehmen ist dankbar, wenn ein Produkt aus dem eigenen Haus so beliebt ist, dass fast jeder es kennt. Traurig wäre nur, wenn die Leute dächten, 3M stelle nur oder in erster Linie Post-it her.
Wie gross ist die Produktpalette von 3M?
Über 50 000 – und das Portfolio wächst durch Innovationen und Akquisitionen stetig weiter.
3M ist eines der am stärksten diversifizierten Unternehmen weltweit. Was sind die wichtigsten Geschäftsfelder?
Unter dem Dach von 3M sind zirka 40 mittelgrosse globale Geschäftseinheiten vereint. Wir stellen Schleifmittel, Klebstoffe, Arbeitsschutzprodukte und Filtrationstechnologien für die Industrie her. Wir sind im Bereich Wundversorgung, Infektionsprävention und Dentaltechnologie ein wichtiger Player im Gesundheitswesen. Wir produzieren Folien, die etwa in der Verkehrssicherheit oder auf Bildschirmen in der Unterhaltungselektronik eingesetzt werden und sind stark im Energiesektor, im Bürozubehör sowie im Bereich Sicherheit.
Thema Sicherheit – welche Produkte stammen konkret von Ihnen?
Wenn Sie bei der Einreise in die USA einen Fingerprint abgeben müssen, geschieht dies mit 3M-Technologie. Auch die Passlese-Geräte könnten ein 3M-Fabrikat sein. Zudem sind wir Weltmarktführer im Bereich Atemschutzmasken und Gehörschutz. Das Schweizer Orchester Basel Sinfonietta etwa setzt auf Gehörschutzstöpsel von uns.
Mit welchen dieser Produkte kommt denn ein Mensch in der Schweiz am meisten in Kontakt?
Unsere Consumer-Produkte wie Scotch- und Command-Klebelösungen, das eben schon erwähnte Post-it, Scotchbrite und Nexcare zeigen die häufige Verwendung von 3M-Produkten im Alltag auf. Auch im Spital, in der Hauskrankenpflege oder beim Zahnarzt werden Sie häufig auf die Marke 3M stossen. Meistens sind unsere Produkte aber für den Konsumenten nicht sichtbar, spielen aber eine wichtige Rolle – sozusagen «3M inside». Es besteht z. B. eine grosse Wahrscheinlichkeit, dass der Bildschirm Ihres Fernsehers, Laptops, Tablets oder Smart-Phones durch einen Brightness-Enhancement-Film der 3M versehen ist, ein Flugzeug teilweise mit unseren Klebstoffen verklebt ist oder Ihre Strom- oder Breitbandleitungen durch 3M-Verbindungen laufen.
Gibt es ein Produkt, das Sie besonders fasziniert?
3M hat Folien entwickelt, die Licht ohne grosse Verluste transportieren und verteilen können. Hier sehe ich ungeheuer spannende Möglichkeiten für ganz neue Zugänge zu Beleuchtungslösungen – energiesparend und mit ganz tollen neuen Design-Möglichkeiten.
Wachstumstreiber bei 3M sind zum Grossteil Innovationen. 40 Prozent des Umsatzes erzielen Sie mit Produkten, die es vor fünf Jahren noch nicht gab. Wie ist das möglich?
Unsere wichtigsten Innovationsquellen sind unsere Kunden und unsere Mitarbeiter – es ist für uns deshalb sehr wichtig, eine Kultur des Dialogs, der Zusammenarbeit über geografische und funktionale Grenzen hinweg und der Eigeninitiative zu pflegen. Gleichzeitig haben wir sehr gute Innovationsprozesse, um unsere Mitarbeiter zu unterstützen.
Was bedeutet das konkret?
Einerseits gibt es viele globale Fragestellungen, die unsere Gesellschaft lösen muss – sogenannte Megatrends. Wir beschäftigen uns intensiv mit den Auswirkungen dieser Megatrends wie die Veränderung der Alterspyramide, die Energie- & Ressourcen-Verknappung oder zum Beispiel der Erneuerungsbedarf der Infrastruktur in der westlichen Welt. Gleichzeitig verfolgt unsere Corporate-Forschungsabteilung die wichtigsten Technologie-Trends und Entwicklungen – beides ergibt in Kombination mit den etwa 45 bestehenden Technologie-Plattformen, die das derzeitige Know-how der 3M ausmachen, eine gute Basis für kreative neue Lösungen. Diese werden auch stark im Zusammenhang mit den spezifischen Fragen unserer regionalen Kunden und Märkte entwickelt. In den USA wird für Amerikaner, in Europa für Europäer und in Asien für Asiaten geforscht und produziert. Wir haben eine Reihe von Forschungslabors in Europa – das grösste befindet sich in Deutschland.
Welche Kriterien muss ein Produkt erfüllen, damit es letztendlich am Markt auch erfolgreich sein kann?
Der Weg von der Idee über Konzept, Umsetzbarkeit, Entwicklung, Markt-Tests bis zur Kommerzialisierung wird bei der 3M durch sogenannte «Gate-Reviews» begleitet, in denen das Projekt in sechs Schritten auf den Prüfstand gestellt wird. Von 100 Ideen werden vielleicht ein oder zwei tatsächlich umgesetzt.
Identifikation mit dem Unternehmen wird bei 3M grossgeschrieben. Wie funktioniert das in einem Betrieb mit so verschiedenen Bereichen?
Wir teilen gemeinsame Werte und Ziele. Der wichtigste Antreiber ist die Innovation. Bis 2017 sollen bei 3M 16 der 40 Milliarden Umsatz mit Produkten erwirtschaftet werden, die es heute noch gar nicht gibt. Wir können also unsere künftigen Umsatzträger heute noch gar nicht kennen. Das ist eine grosse Aufgabe, die jeden einzelnen Mitarbeiter herausfordert.
Neben Innovation ist Nachhaltigkeit ein grosses Thema. 3M gehört nach eigenen Angaben zu den grünsten Unternehmen der Welt. Wie schafft sie das?
3M hat schon in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts mit Umweltschutzprogrammen begonnen – das wichtigste Programm läuft seit damals und heisst 3P – «Pollution Prevention Pays». Diese sehr frühe Erkenntnis, dass nachhaltiges Handeln auch wirtschaftlich sinnvoll ist, hat sich in den Werten und der Kultur des Unternehmens gefestigt und ist daher jedem Mitarbeiter ein Anliegen.
Was genau bedeutet das in der Praxis?
Wir sehen drei Aspekte: nachhaltiges Wirtschaften – das bedeutet, unseren Kunden mit unseren Lösungen zu helfen, nachhaltig zu wachsen und unseren Investoren eine nachhaltige Rendite und Dividende zu sichern. 3M zahlt seit 1916 ohne Unterbrechung Dividenden. Der zweite Aspekt ist der Erhalt und Schutz unserer Umwelt durch Reduktion von Ressourcen und Emissionen – wir haben zum Beispiel in den letzten 20 Jahren unsere Lösemittel-Emissionen um 95 Prozent und unsere Treibhausgas-Emissionen um 72 Prozent reduziert. Der dritte Aspekt ist die soziale Verantwortung des Unternehmens gegenüber der Gesellschaft, in der wir arbeiten. Einerseits hat 3M eine hoch dotierte Foundation, die soziale Projekte weltweit unterstützt – auf der anderen Seite versucht jede Niederlassung auch lokal einen Beitrag zu leisten. In der Schweiz unterstützen wir zum Beispiel Kispex.
3M setzt auf Nachhaltigkeit, soziales Gewissen, Mitarbeiterzufriedenheit. Zugleich ist die Firma aber börsenkotiert – wie gelingt der Spagat zwischen Ethik und Befriedigung der Investoren?
Da muss nicht unbedingt ein Konflikt bestehen. Wir suchen langfristige Investoren, die auch an einem nachhaltigen Erfolg interessiert sind. Nachhaltiger Erfolg erfordert ein nachhaltiges Denken.